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Auch in Österreich gibt es Friedensmahnwachen und bizarre Systemkritik.

Foto: APA/dpa/Frank Rumpenhorst

Ich habe eine Safari unternommen. Sie führt mich zu einer bizarren "Friedensbewegung", die in montäglichen Sermonen "für den Frieden" und "gegen das System" ihren Antisemitismus nicht einmal zu vertuschen versucht, und endet bei einem obskuren Gerichtshof.

Die Safari beginnt in meinem Bioladen. Man könnte sagen: grüner, fairer und nachhaltiger als dort geht nicht. Das "netswerk.steyr" verwöhnt mich auf Facebook in der Regel mit Rezepten für Kürbisaufläufe und Tipps für umweltfreundliches Wäschewaschen. Und eben auch mit dem Hinweis auf einen Vortrag des "Freeman Austria" in Steyr.

"Freier Bewohner des Planeten Erde"

Der "Freeman" zieht mich auf Anhieb in seinen Bann: outfitmäßig ein Düringer-Wannabe, inklusive Ziegenbärtchen. Der Mann kann singen, unter anderem einen Wahlkampfsong für Frank Stronach. Er kann reden, unter anderem auf den montäglichen "Friedensmahnwachen" in Österreich. Und: Er pfeift auf das System. Davon zeugt die "Freeman-Erklärung". In einem mehrseitigen bizarren Brief an die Regierung ließ er wissen, dass er fortan als "natürliches, spirituelles, liebendes Wesen" und "freier Bewohner des Planeten Erde" zu existieren trachte. Steuern zahlen war gestern, für allfällige Belästigungen durch Vertreter der "Firma Österreich" erlaube er sich – gezeichnet Johannes Ewald Kreißl –, einen Stundensatz von 5.000 Euro in Rechnung zu stellen. Ein "Freeman" kleckert nicht.

Der "Freeman" tingelt durch Gasthöfe und Kinosäle und zu "Montagmahnwachen", die er "Montagsharmonien" nennt. Seine Botschaften können einem mitunter recht sauer aufstoßen. Sie folgen einem altbekannten Rezept, wenn es darum geht, die Schuldigen zu nennen. "Dann hat man den Zweiten Weltkrieg gehabt, da kann man auch googeln, wer daran verdient hat", sagt der "Freeman" (siehe Video).

"Freie Energiemaschine" statt Zinsen

Der "Freeman" hat schon gegoogelt. Wenn es ans Eingemachte geht, nennt er wieder Namen: Der Euro gehöre den Rothschilds und den Rockefellers (Video). Die Rockefellers! Wenn man den "Freeman" eine Zeitlang begleitet oder bei den "Friedensmahnwachen" die Ohren steif hält, lernt man auch neue Familien kennen. Familien mit jüdischen Namen. Und viele neue und gute Ideen für Österreich: Eine "Freie Energiemaschine" wäre um wohlfeile 10.000 Euro pro Stück für jeden Österreicher zu haben. Die sollten wir uns zum Beispiel leisten, anstatt Zinsen zu bedienen. Oder handfeste Anweisungen: "Wir sollten die Regierung verhaften lassen … der Strache hätte sowieso gerade die meisten Stimmen, der soll derweil als Opposition die Regierungsgeschäfte führen" (Video).

"Sheriff" der Fantasiejustiz

Für die Legislative wäre jedenfalls gesorgt in "Freemans" neuer Weltordnung. Der sogenannte "International Common Court of Law of Justice" in Wien (ICCJV) hat bereits seine Arbeit aufgenommen. Unter anderem mit einem Haftbefehl gegen Erwin Pröll. Ein "Sheriff" der Fantasiejustiz aus den USA wollte den Haftbefehl im Sommer exekutieren. Der "Freeman" hätte dem etwas übermotivierten Herrn vielleicht sagen können, dass ein Haftbefehl gegen Pröll in Niederösterreich nicht gut ankommt. Das können sich maximal Faschingsgilden einmal im Jahr erlauben. Die Grundlage des "Hohen Gerichts" ist das Naturrecht, das – erraten – über jedem anderen Recht steht.

Dem "Freeman" ist die Absurdität offensichtlich bewusst, die Unterstützung für den "Sheriff" und den Naturrecht-Gerichtshof geschieht etwas verhalten. Ein Spendenaufruf für den im Sommer verhafteten "Sheriff" auf Facebook ist er der Sache aber schuldig. Vielen Leuten gefällt das. Ich frage den "Freeman" auf Facebook, vor wem ich mehr Angst haben soll: vor selbsternannten Sheriffs oder vor Leuten, die dafür Geld spenden. Der Freeman rät mir: Angst sollte ich vor Leuten haben, "die wählen gehen". Ich bohre nach: Was sei denn die Alternative zum demokratischen Rechtsstaat? Der Freeman sagt: "Ein geistig-sittliches System."

Naturgesetz-Gerichtshof vergibt Jobs

Derzeit dürfte sich der Naturgesetz-Gerichtshof zumindest finanziell erfangen haben. Seit 25. November sind auf dessen Facebook-Seite Jobs ausgeschrieben: Gesucht werden "Sheriffs, um verurteilte Richter und Politiker festzunehmen". Weiter heißt es: "Wir suchen Männer und Frauen mit Erfahrung in Kampfsport, Personenschutz, Militär- und Polizeiangelegenheiten. Auch rufen wir aktive Polizisten, Grenzschützer und Soldaten auf, sich zu melden. Wir suchen auch Menschen, die andere ausbilden können, um Festnahmen zu begleiten."

Wir lernen: Das Naturrecht ist kein Ponyhof. Auch die "sittlich-geistige" Bewegung kommt ohne Kampferfahrung nicht aus. Ich male mir aus: "Freeman" als Justizminister. Der Herr der "Sheriffs". Die Gewaltentrennung wird vermutlich etwas unscharf verlaufen.

Meinung bilden

Ohne meine Nahversorger von dem der Nachhaltigkeit und Fairness verpflichteten "netswerk.steyr" wäre ich nie auf den "Freeman" gestoßen. Ich vermute ein Missverständnis dahinter. Meine Empörung über die Empfehlung für den "Freeman-Talk" stößt allerdings auf Unverständnis. "Treue Kunden" immerhin hätten den "Freeman" empfohlen. Jeder solle sich seine Meinung bilden.

"Open Micro"

Ich begebe mich trotzig noch eine Zeitlang auf die Spuren des "Freeman Austria". Sie führen mich zu montäglichen Mahnwachen in Linz und Wien. Ich klicke mich durch stundenlange Youtube-Aufnahmen. Eine junge Dame berichtet vom Schamanismus-Seminar am Wochenende und mahnt, dass wir erst mit uns selbst Frieden schließen müssen, ehe wir uns über Palästinenser, Syrien und Co. den Kopf zerbrechen können. Nach dem Vortrag umarmen sich die Friedenswächter. Hugs for Peace. Ein paar Tränen kullern. Ein junger Mann klagt, dass Milch das gesundheitsschädlichste Lebensmittel überhaupt sei. Viele warnen vor Impfungen und "Big Pharma". Unverfänglich scheinende basisbewegte Selbstversorgercommunitys und Tauschkreise werden vorgestellt. Ein junger Mann baut einen kleinen Altar vor sich auf und bellt im Schneidersitz die Götter um Frieden an.

Unverfängliches Esoterikgeschwurbel vernebelt das unvermeidlich Unverschämte, das kommt wie das Amen im Gebet. Irgendwann an einem der vielen Montage in Wien, Linz oder Graz ergreift jemand das "Open Micro" und bringt die Namen Rothschild, Rockefeller oder Warburg ins Spiel, wenn das Elend der Welt und deren Urheber und die Feinde des Friedens beklagt werden. Putin steigt meistens recht gut aus. Die NATO und "der Westen" samt Ostküste nicht.

Keine Widerrede

Mancher hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Der von der Wirtschaftsuniversität Wien wegen nebulöser Äußerungen zum Holocaust kurzfristig suspendierte Professor Franz Hörmann – einer der intellektuellen Anchormen der Bewegung – streut seine kruden Thesen vom "verzinsten Schuldgeldsystem" als Ursache aller Krisen mittlerweile wohlbedacht. Der Autor Harvey Friedman verkündet, dass wir ohne dieses "Schuldgeldsystem" 40 Prozent mehr Geld im Börserl hätten. Und gleichzeitig 40 Prozent mehr Freizeit. Ausgelacht wird er dafür nicht. Rothschild kommt diesen soignierten Herren nicht über die Lippen. Das "Beim-Namen-Nennen" erledigen andere Redner. Die tun das bereitwillig. Woche für Woche. Ohne ernsthafte Widerrede.

Alarmierte Gegenöffentlichkeit

In Deutschland sind die Friedensmahnwachen längst ein Thema in deutschen Medien ("Oh, wie bös ist das System"). Der offene oder verdeckte Antisemitismus in den Reden wird zerpflückt. Die Anwesenheit von NPD-Kadern wird aufgedeckt. Die Hintermänner und deren wirtschaftliche Verknüpfung mit rechten Verlagen werden vorgeführt. Eine alarmierte Gegenöffentlichkeit stellt sich mit einem gut dosierten Mix aus sachlicher fundierter Kritik, beißender Satire und mutigen Auftritten gegen die "Mahnwichtel". In Österreich ticken die Uhren bedächtiger. Das rechtsesoterische Geschwurbel vor dem Parlament geht allwöchentlich und ungestört über die Bühne. Am 6. Dezember rüstet die Szene für die erste globale Friedensmahnwache. "Wir sind alle eins", verheißt die Webseite. Ich bin da – darauf lege ich Wert – nicht mitgemeint. (Christian Kreil, derStandard.at, 5.12.2014)