Designer Karl Lagerfeld im Dezember 2014 anlässlich der 'Metiers d'Art'-Show in Salzburg.

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STANDARD: Für Ihre Kollektion haben Sie den Trachtenjanker zum Ausgangspunkt genommen ...

Lagerfeld: Die Kollektion ist davon inspiriert, hat aber nichts damit zu tun. Sie spielt mit Elementen der Tracht und Elementen des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs. Sie ist eine Vision. Die Chanel-Jacke entstand hier in dieser Gegend, Coco Chanel wurde vom Liftboy des Hotel Mittersill dazu angeregt.

STANDARD: Haben Sie selbst einen Bezug zur Tracht?

Lagerfeld: Zu den Kleidern weniger, zu Lederhosen ja. Ich habe als Kind nichts anderes als Lederhosen von Lanz getragen. Meine ganze Kindheit über haben mich meine Eltern in Loden und Lederhosen gesteckt, da habe ich sogar Bilder davon. Loden ist ein toller Stoff. In einem meiner Häuser habe ich meine Möbel mit Loden überzogen.

STANDARD: Das heißt, Tracht ist für Sie positiv besetzt?

Lagerfeld: Ich liebe sie. Die Leute in Österreich tragen auch heute noch Tracht, nicht nur die arbeitende Bevölkerung, auch der alte Adel. Das ist ein Look, der alle andere Folklore überlebt hat.

STANDARD: Heute tragen auch junge Leute wieder Tracht. Begrüßen Sie das?

Lagerfeld: Der Look des Oktoberfestes ist nicht toll. Früher gab es Dirndln mit Seidenschürzen, das war wunderbar. Ein Dirndl habe ich keines in meiner Kollektion, dafür braucht es mich nicht.

STANDARD: Haben Sie sich, um diese Kollektion zu erarbeiten, mit der Historie der Tracht auseinandergesetzt?

Lagerfeld: Nein, warum? Ich habe alles im Kopf. Viele Designer machen Recherchereisen. Da kommt nichts dabei heraus. Wissen Sie: Das Wichtige ist nicht, was es einmal war, sondern was man daraus macht. Die Realität interessiert mich nicht.

STANDARD: Haben Sie schon öfters mit Tracht gearbeitet?

Lagerfeld: Nein. Letztes Jahr war unsere Métier-d'art-Show in Dallas, ich habe davor auch noch nie eine Indianerkollektion gemacht. Ich habe so viele Dinge in meinem Leben gesehen, ich brauche keine aktuelle Inspiration.

STANDARD: Sie waren früher öfters bei den Salzburger Festspielen ...

Lagerfeld: Ja, aber ich gehe nicht mehr zu Festspielen. Die Leute hängen mir zum Halse raus. Ich gehe gar nicht mehr in die Öffentlichkeit.

STANDARD: Was für Erinnerungen haben Sie daran?

Lagerfeld: Gute. Salzburg ist eine der schönsten Städte Europas. Den Rosenkavalier habe ich hier in Österreich das erste Mal gesehen, das ist meine Lieblingsoper, den Text kenne ich auswendig. Diesen Sommer habe ich in einer österreichischen Zeitung, auf deren Titelblatt ich mit meiner Katze abgebildet war, gelesen, dass es eine Premiere des Rosenkavalier gibt. Die Besucher meiner Show bekamen deswegen auch das Libretto des Rosenkavalier geschenkt.

STANDARD: Vermissen Sie es nicht, in die Oper zu gehen?

Lagerfeld: Nein, ich mag die Stimmen von Lotte Lehmann und Elisabeth Schwarzkopf lieber als das Geschrei von heute. Die Gesangstechnik hat sich geändert. Irgendwie ist da heute etwas Romantisches verlorengegangen. Bei den meisten Inszenierungen gefallen mir auch die Kostüme und die Dekoration nicht. Ich würde nur in die Oper gehen, wenn ich unsichtbar wäre.

STANDARD: Ihre Kollektion beschwört die Handwerkskunst auf dem höchsten Niveau.

Lagerfeld: Da sind Sachen dabei, die sind unglaublich. Die sind technisch so raffiniert, das kann heute nur mehr Chanel bewerkstelligen, weil wir die Handwerksbetriebe aufgekauft haben, als sie vom Untergang bedroht waren. Als Chanel vor vier Jahren den Federbetrieb Lemarié aufgekauft hat, waren dort 15 Leute beschäftigt. Heute sind es 100.

STANDARD: Edelweiß im Haar, Taschen, die wie Lederhosen wirken. Wie ironisch ist Ihre Kollektion?

Lagerfeld: Wenn man so etwas ohne Ironie macht, dann ist das hoffnungslos. Wir wollen hier ja keinen Heimatfilm inszenieren.

STANDARD: Sie jetten von einem Projekt zum nächsten. Haben Sie irgendwann auch Zeiten, in denen Sie nichts machen?

Lagerfeld: Nein, bei mir gibt es keine freien Tage. Gott sei Dank. Ich würde mich sonst langweilen. Ich bin ja nicht gezwungen, Dinge zu machen, die mich nicht interessieren. Ich hab Schwein gehabt.

STANDARD: Sie haben so gut wie keine High Heels in der Kollektion. Auch bei den letzten Kollektionen nicht ...

Lagerfeld: ... es gibt doch schon genug Modehäuser, die diese Red-Carpet-Sachen machen, diesen Nuttenstyle. Wir machen lieber etwas anderes. Die Zeiten ändern sich, Des Meeres und der Liebe Wellen, so heißt ein Grillparzer-Stück.

STANDARD: Und das sagt Ihnen Ihr Gefühl, was gerade richtig ist?

Lagerfeld: Ja, ich mache kein Marketing. Es ist alles meine Entscheidung. Als ich Chanel übernahm, hat der Besitzer gesagt: Es läuft nicht gut, machen Sie, was Sie wollen, und wenn es nicht klappt, dann verkaufe ich.

STANDARD: Es ist dann sehr schnell gut gelaufen.

Lagerfeld: Ja, das ist es. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 12.12.2014)