Maurer/Luftschacht
Maurer/Luftschacht
Foto: Maurer/Luftschacht
Maurer/Luftschacht

Im Bundeskanzleramt, kurz vor den Wahlen: Die augenscheinlich schwerst alkoholabhängige und kettenrauchende Kanzlerin versucht ihren Schakl Feuerbach von einem ominösen Mega-Projekt zu überzeugen, das ihr den Machterhalt sichern soll. Szenenwechsel. Eine Baustelle im Untergrund: Ein Baggerfahrer, ein Ingenieur und eine "Frau Doktor" versuchen, einen Weg durchs Erdreich zu bohren und zu sprengen – doch nur einer weiß offiziell vom Ziel der Mission. Sprung ins nächste Setting. Auf einem Kutter mitten im Meer: Der Fischer Giuseppe und seine beleibte, nimmersatte Frau Maria werden unversehens von enormen Wellen heimgesucht, die ihnen wortwörtlich die Sprache verschlagen.

Soweit die Schauplätze von Leopold Maurers herzergreifend lustigem Politsatire-Comic "Kanal". Verbunden sind die Szenerien durch Sprech- bzw. Geräuschblasen, die scheinbar mühelos über sämtliche Panelgrenzen hinweg von einem Ort zum anderen schweben können. Grenzen sprengen, Barrieren überwinden – das ist auch ganz im Sinn der Kanzlerin. Sie will das von ihr regierte, nicht weiter benannte Binnenland einfach ans Meer anschließen. (Nicht nur aufgrund dieser aberwitzigen Idee kommt man nicht umhin, eindeutig österreichische Züge in diesem fiktiven Setting zu erkennen.) Der Kanal, der durch die Alpen führen und die Adria vor die Haustür bringen soll, ist schon längst im Bau, allerdings unter größter Geheimhaltung. Jetzt müssen bloß noch Ministerrat und die Medien überzeugt werden.

Sonnenbrand am Alpenstrand

"Nicht nur der Wähler, auch der Politiker ist im statistischen Durchschnitt ein Trottel", lautet einer der Lieblingssätze der versoffenen Kanzlerin, die trotz ihres Alkoholismus noch erstaunlich konsistente Reden voller Politjargon-Plattitüden schwingen kann, ohne dass ihre Marge Simpsons-Turmfrisur auch nur ins Wanken gerät. Der Kanal nutze der Wirtschaft, schaffe Arbeitsplätze, kurble den Heimattourismus an und bringe überhaupt nichts als Lebensglück, Wohlstand und Wachstum, argumentiert die Kanzlerin – im Auge immer ihr hauptsächliches Ansinnen, als Krösus, oder besser gesagt Krösin, in die Geschichte einzugehen.

Daran kann sie auch der anarchistisch geprägte Bauarbeiter nicht hindern, der seine Sabotage mit dem "Ton Steine Scherben"-Zitat "Macht kaputt, was euch kaputt macht" rechtfertigt. Mit mehr als platten Tricks kriegt sie ihr Kabinett auch so herum, das megalomanische Projekt zu unterstützen. Und ein paar Demonstranten auf der Straße stellen schließlich keine ernsthafte Opposition dar. Die machen auch nicht viel mehr, als den unverkennbar an die FPÖ-Lyrik angelehnten Slogan "Meeresstrand im Binnenland" in "Sonnenbrand am Alpenstrand" abzuwandeln.

Absurde Politik

Auf herrlich überzeichnete Art legt der Wiener Leopold Maurer die Absurditäten der Politik frei und hält der Demokratie einen Spiegel vor, der jeder noch so gruseligen Fratze einen komischen Anstrich gibt. Mit wenigen Figuren skizziert Maurer eine politische Landschaft aus rein populistisch agierenden Regierungsmitgliedern, den sie umgebenden Jasagern, autoritätsgläubigen Beamten, einem im Grunde sprachlosen Volk und zahnlosen Medien. Ein sehr unterhaltsamer Auftakt zum "Superwahljahr" 2015!

Mit seinem reduzierten Zeichenstil, trockenem Witz und bitterböser Ironie gehört Maurer zu den herausragenden Protagonisten der kleinen, aber feinen Riege österreichischer Comic-Künstler. Das hat er schon mit seinen vorherigen grafischen Novellen "Miller und Pynchon" (2009) und "Mann am Mars" (2011) bewiesen – allesamt bei Luftschacht erschienen, dem einzigen österreichischen Verlag, der derzeit auf regelmäßiger Basis hochqualitative Comics im Programm hat.

Urösterreichisch und bizarr

Urösterreichisch ist auch die Geschichte um den Kanal zum Meer, klug inszeniert und garniert mit erfrischenden Ausflügen ins Bizarr-Fantastische. Denn das größenwahnsinnige Unterfangen hat weitreichende Auswirkungen. Während sich die Kanzlerin unter den Schreibtisch säuft, lösen die Wellen, die die Grabungen schlagen, seltsame Vorgänge aus - nicht nur im Ozean, sondern auch im Untergrund, wo seltsame Geister geweckt werden. Und irgendwie scheint der Kanal wurmlochartige Verbindungen herzustellen, die das Raum-Zeit-Gefüge durcheinanderbringen.

Letztlich fällt der Traum vom Meereszugang buchstäblich ins Wasser – und mit ihm die Kanzlerin, frei nach dem Motto "Wer andern eine Grube gräbt..." (Karin Krichmayr, derStandard.at, 14.1.2015)