Sein Name steht für Konzeptmode. Er selbst hört das Wort weniger gern. Hussein Chalayan will Mode machen, die auch getragen wird.

Foto: Hussein Chalayan

Kollektionen, die in die Modegeschichte eingegangen sind: ganz unten Chalayans fernbedienbares Kleid von 2006, darüber die LED-Kollektion von 2007. Die ersten beiden Bilder stammen aus dem Jahr 2000, das untere zeigt den berühmten Tischrock.

Foto: Hussein Chalayan

STANDARD: Erinnern Sie sich an Ihren ersten Tag an der Modeuni?

Chalayan: Das war 1989. Es war ein großes Privileg, einen Studienplatz in Central Saint Martins in London zu ergattern, es gab hunderte Bewerbungen, aber nur wenige wurden genommen. Die Uni war in Soho, damals noch eine richtig wilde, sehr schwule Gegend. Wir waren ein kleines Grüppchen ganz unterschiedlicher Studenten, allesamt große Selbstdarsteller.

STANDARD: Der Hussein Chalayan von damals, was war das für ein Typ?

Chalayan: Einer, der sehr darauf achtete, was er anhatte. Mir war wichtiger, was meine Kollegen von mir dachten, als das, was meine Professoren meinten. Wir gingen jeden Tag aus, feierten, aber arbeiteten auch viel.

STANDARD: Was haben Sie an der Uni gelernt?

Chalayan: Die Uni lehrt einen nichts, sie schafft Räume. Lehrer können einem eine Richtung vorgeben, aber ich glaube nicht, dass sie einem viel beibringen können. Entweder man hat es oder nicht. An der Uni kann man das letzte Mal so richtig experimentieren, später trägt man zu viel Verantwortung, um das machen zu können.

STANDARD: Aber es geht doch auch darum, die Grundlagen eines Handwerks zu erlernen, Einblicke in Marketing, PR, Vertriebswesen zu bekommen.

Chalayan: Früher war das alles nicht so strukturiert. Natürlich sah man seinen Lehrern über die Schulter, wenn sie nähten oder Schnitte anfertigten. Aber in erster Linie geht es darum, sich für Projekte zu begeistern. Das Handwerk bringt man sich dann selbst bei, ansonsten kommt man nicht zu seinem Ziel. Wissen Sie, wenn man eine Modeuni besucht, ist das eine Art von Lifestyle. Man muss Dinge erleben, verschiedene Kulturen aufsaugen, man muss ausgehen, man muss arm sein!

STANDARD: Arm sein?

Chalayan: Ja, wer arm ist, ist kreativ. Arm zu sein ist ein wichtiger Aspekt englischer Kultur. Schauen Sie sich die Popkultur an, reiche Schnösel spielen da historisch gesehen kaum eine Rolle.

STANDARD: Das hört sich nach einem kreativen Ghetto an. Die Wirklichkeit im Modebusiness ist eine ganz andere.

Chalayan: Ich selbst hatte großes Glück, weil meine Abschlusskollektion viel Aufmerksamkeit erregte.

STANDARD: Sie ist heute noch legendär: Sie vergruben die Mode zusammen mit Eisenschrott im Garten, um zu sehen, wie der Verrottungsprozess das Material veränderte.

Chalayan: Ja, die Presse stürzte sich darauf. Ich konnte eine Auslage in der Modeboutique Browns gestalten, die Musikerin Björk beauftragte mich, Kleider für sie zu entwerfen, der Bruder eines Freundes investierte in mein Label. Eine Sache führte zur nächsten, ich hatte eigentlich nie einen Plan.

STANDARD: Glauben Sie, dass eine Karriere wie die Ihre heute noch möglich ist?

Chalayan: Ich rate Studenten ab, gleich mit einem eigenen Label loszulegen. Es gibt so viele Designer, und ein eigenes Unternehmen aufzuziehen kostet wahnsinnig viel Geld. Ich habe selbst schwierige Zeiten erlebt, die ersten zehn Jahre waren ein einziger Lernprozess. Es ist besser, zuerst gewisse Erfahrungen zu machen, und wenn man dann meint, immer noch ein eigenes Label gründen zu wollen, soll man es machen. Aber es gibt auch viele andere Möglichkeiten, als Designer zu arbeiten. Was ich wirklich langweilig finde, ist, wenn Designer ein eigenes Label gründen müssen und dann genau dasselbe machen wie alle anderen auch.

STANDARD: Wie hat sich die Modeindustrie seit Ihren Anfängen verändert?

Chalayan: Grundlegend! Die zwei wichtigsten Punkte sind: die Digitalisierung der Branche und die Bedeutung, die Celebritys in der Mode spielen. Und noch ein dritter Punkt: die Macht der Konglomerate, zu denen die verschiedenen Marken gehören.

STANDARD: Was bedeutet das für Modemacher?

Chalayan: Unter anderem, dass sie sich mit ganz anderen Halbwertszeiten herumschlagen müssen. Früher dauerte es sechs Monate, bis ein Kleid nach seiner Laufstegpräsentation in den Geschäften hing, heute schaffe ich es nicht einmal nach Hause, und ich sehe es bereits im Internet. Die sogenannte Demokratisierung der Mode bedeutet, dass einen heute jeder jederzeit kopieren kann. Als Designer muss man mit Promis konkurrieren, die mit unglaublichen Budgets eigene Kollektionen entwerfen bzw. entwerfen lassen. Mit Konzernen, die alle Möglichkeiten haben. Es geht nicht mehr darum, was man kann, sondern darum, wer man ist und ob man Teil einer großen Maschinerie ist.

STANDARD: Um Kreativität geht es nur mehr am Rande?

Chalayan: So ist es. Früher waren die Waffen nicht so ungleich verteilt.

STANDARD: Sie klingen sehr pessimistisch.

Chalayan: Die andere Seite der Medaille ist die, dass Mode heute nicht mehr einem kleinen, exklusiven Kreis vorbehalten ist.

STANDARD: Sie haben sich selbst lange zwischen Mode und Kunst positioniert, ihren Kollektionen hängte man das Label Konzeptmode um.

Chalayan: Das sind Begriffe, die andere kreiert haben, ich habe einfach nur das gemacht, was ich gemacht habe.

STANDARD: Manche Ihrer Kollektionen gingen in die Modegeschichte ein. Möbelstücke, die zu Kleidern wurden, Kleider, die fernsteuerbar waren oder die wie Lampen leuchteten. Übertrug sich die Resonanz der Presse auch auf den Markt?

Chalayan: Das waren Kollektionen, die ich auf dem Laufsteg zeigte, da ging es darum, eine kulturelle Erfahrung zu inszenieren, mit der Kollektion, die anschließend in den Geschäften hing, hatte das wenig zu tun. Zeitungen und Magazine müssen sich verkaufen, sie wollen spektakuläre Bilder zeigen. Als ich den Tischrock zeigte, war er in allen Zeitungen zu sehen. Dadurch wurde ich als Inszenierungskünstler abgestempelt, als Designer ist das ein Problem.

STANDARD: Hat sich daran etwas geändert?

Chalayan: Die digitale Verbreitung der Kollektion hilft, dass man viel ausgewogener wahrgenommen wird. Die Menschen sehen die gesamte Kollektion und nicht nur die wenigen Bilder, die Redakteure aussuchen.

STANDARD: Welche Talente muss ein guter Modedesigner haben?

Chalayan: Das Wichtigste ist, dass man einen Sinn für den Körper hat. Und man muss Musik verstehen und mögen.

STANDARD: Musik?

Chalayan: Ja, Musikströmungen bestimmen maßgeblich, wie wir uns kleiden. Wenn man bestimmte Musik hört, dann kleidet man sich auch auf bestimmte Weise. Zumindest ist das in London so.

STANDARD: Heute geht doch alles durcheinander.

Chalayan: Ich bin in den Achtzigern aufgewachsen, Musik und Mode waren für mich immer eins. Und dann sollte man als Modemacher ein Gefühl für Gegensätze, für Hybride, fürs Geschichtenerzählen haben. Und ganz allgemein für Lifestyle. Ich kenne wirklich niemanden, der sich für Mode interessiert, der sich nicht auch darum kümmert, was er isst, wie er wohnt, wohin er reist oder welche Ausstellung gerade läuft.

STANDARD: Sie sind jetzt Modeprofessor hier in Wien. Was bedeutet Ihnen Wien in modischer Hinsicht?

Chalayan: Meine Referenzen sind jene Designer, die hier zuvor unterrichtet haben, von Karl Lagerfeld bis Raf Simons. Was mich an Wien interessiert, ist, wie junge Menschen hier leben, wie sie ticken, was sie motiviert.

STANDARD: Haben Sie den Eindruck, Wien sei eine Modestadt?

Chalayan: Durchaus. Nicht in dem Sinn von London oder Paris, aber die Stadt hält ein Versprechen bereit. Helmut Lang kommt von hier, und ohne Lang ist die Mode der letzten Jahrzehnte nicht vorstellbar. (Stephan Hilpold, Rondo, DER STANDARD, 16.1.2015)