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Lassana Bathily (rechts) bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft mit Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve (links) und Premier Manuel Valls.

Foto: EPA/IAN LANGSDON

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Ein sichtlich ergriffener Franzose.

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An diesem Dienstagabend ist der Held auch ein Star: Scheinwerferblitze empfangen Lassana Bathily, der als einer von wenigen nicht in einer schwarzen Limousine, sondern zu Fuß im Innenministerium eintrifft. Im brechend vollen Festsaal begrüßt Innenminister Bernard Cazeneuve den wortkargen Hauptgast und erzählt, wie der 24-Jährige in einem Sahel-Dorf im Westen Malis aufgewachsen sei, um als Jugendlicher seinem Vater nach Frankreich zu folgen.

Lange habe ihm die Polizeipräfektur die Aufenthaltsbewilligung verweigert; erst ein Gericht korrigierte dies wegen "offensichtlicher Fehleinschätzung", wie Cazeneuve einräumt. Bathily fand daraufhin in einem jüdischen Supermarkt am Stadtrand von Paris einen Job.

Kunden im Kühlraum versteckt

Der 9. Jänner begann wie ein normaler Arbeitstag. Cazeneuve beschreibt die mittlerweile bekannten Ereignisse nur noch kurz: Als der Geiselnehmer in das koschere Geschäft stürzt, rät Bathily geistesgegenwärtig mehreren Kunden, sich ins Untergeschoß zu begeben und sich dort im abgeschalteten Kühlraum zu verstecken. Oben hält der Attentäter Ahmedi Coulibaly, der wie Bathily malische Wurzeln hat, die übrige Klientel fest und erschießt vier Menschen. Bathily weiß, dass es einen Hintereingang gibt, und bietet den Versteckten – darunter eine Mutter mit einem Kleinkind – an, er wolle sie nach draußen zu geleiten versuchen. Sie wollen das Risiko aber nicht eingehen. Da macht sich Bathily allein auf zu der lebensgefährlichen Unternehmung – und kann der Polizei entscheidende Angaben machen.

Zum Dank verleiht ihm Cazeneuve die französische Staatsbürgerschaft. "Willkommen bei Ihnen, willkommen bei uns", sagt er zu Bathily, der sich kaum traut, den Blick vom Boden zu heben.

Zu tosendem Applaus tauschen die beiden ungleichen Männer Wangenküsschen aus, dann ergreift auch Premier Manuel Valls das Wort. "Schauen Sie, all diese Minister, Abgeordneten, die Bürgermeisterin von Paris, die malischen Gäste, die Würdenträger der muslimischen, jüdischen und christlichen Religion", improvisiert er. "Aber im Grunde gibt es hier keine Minister, keine Abgeordneten, keine unterschiedliche Herkunft oder Religion. Es gibt nur Frankreich."

"Ich bin kein Held, ich bin Lassana"

Natürlich muss auch der Geehrte ein paar Worte sagen. Er liest sie ab, dankt allen, bezeichnet sich als stolz und gedenkt seines "Freundes", des getöteten Mitarbeiters Yohan Cohen. "Wir sind alle gleich, über alle Glaubensgemeinschaften hinweg", sagt Bathily. "Ich bin kein Held, ich bin Lassana."

Dann muss der "Held von Paris", wie ihn die Medien nennen, noch in die Kameras lächeln. Vielleicht wird ihm nicht einmal bewusst, wie wichtig diese Bilder für Frankreich sind. Sie zeigen einen jungen Afrikaner, der keine französische Bildung erhalten hat, aber vormacht, was das erste Gebot der französischen Republik ist: Ègalité, die Gleichheit aller.

Und, noch entscheidender: Die Bilder ergänzen und korrigieren die Fahndungsbilder von Terroristen aus der Banlieue. Die Geschichte des malischen Muslims, der das Leben anderer schützte, ist erzählenswerter als die des Terroristen Coulibaly. Denn sie zeigt, dass die Front zwischen Gut und Böse nicht zwischen den Religionen verläuft; sie entlarvt auch das Konzept vom "Clash der Zivilisationen" als Unsinn.

Bathily als Symbol

Bathily ist mehr als ein Held; er ist auch ein Symbol, und im Festsaal wollen sich selbst die hohen Minister mit dem bescheidenen Neu-Franzosen ablichten lassen. Kippaträger drängen zu ihm und danken ihm unter Tränen.

Etwas abseits erzählt der Chef der Polizeitruppe Raid, Jean-Michel Fauvergue, die Geschichte des 9. Jänner zu Ende: Als Bathily ins Freie getreten sei, habe man ihn zuerst in Handschellen abgeführt; dann aber habe er der Polizei nicht nur entscheidende Angaben über die Geiseln und den Attentäter machen können, sondern auch einen Schlüssel übergeben. Das habe die Erstürmung des Ladens erst ermöglicht und ein Blutbad verhindert.

"Lass", wie ihn seine Freunde nennen, hört kaum mehr zu. Er brauche etwas Zeit zum Überlegen, bekennt er. Man merkt es ihm an, die Ereignisse der letzten Tagen sind nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Wie könnte es auch anders sein. Der junge Mann wolle nun Abstand gewinnen, Angehörige in Mali besuchen. Viel erholsamer dürfte der Empfang des Pariser Helden in seinem Heimatland allerdings nicht ausfallen. (Stefan Brändle aus Paris, derStandard.at, 21.1.2015)