Das King Abdulaziz Center for World Culture in Dhahran: In der großen Plaza kam auf mehr als 10.000 Quadratmeter Wandfläche Stampflehm zum Einsatz.

Foto: Rendering Snøhetta

Ich wundere mich manchmal über das schlechte Image von Lehm", sagt Martin Rauch, graumelierte André-Heller-Locken, ein Lächeln wie ein Sonnenschein. "In unseren Breitengraden gilt Lehm, vor allem Stampflehm, immer noch als Armeleutebaustoff, doch im Grunde genommen ist es ein großartiges und vielfältiges Material und einer der wichtigsten Baustoffe der Welt."

Mehr als ein Drittel der Menschheit leben in Lehmhäusern. Besonders verbreitet ist die Bauweise in Nord- und Zentralafrika, auf der gesamten Arabischen Halbinsel sowie im Iran. Doch die Tage dieses vielleicht ältesten Baustoffs der Menschheitsgeschichte sind bereits gezählt, denn in seinen Ursprungsländern gerät Lehm nach und nach in Vergessenheit. Wo Geld ist, da sind kurze Zeit später auch Stahl, Glas, Ziegel und Beton.

Lehmbau-Lobbyist

Da kommt Martin Rauch, Geschäftsführer der Lehm Ton Erde Baukunst GmbH, gerade recht. Der Vorarlberger Architekt, der mittlerweile auf dem halben Erdball tätig ist und mit so namhaften Büros wie Marte.Marte, Matteo Thun, Herzog & de Meuron, Snøhetta und Olafur Eliasson zusammenarbeitet, ist ein Lehmbau-Lobbyist im besten Sinne. "Gerade in jenen Ländern, aus denen die Lehmbaukultur ursprünglich stammt, gibt es oft kein Know-how", sagt Rauch. "Die Leute wissen nicht mehr, wie man mit Stampflehm baut. Dann springen wir ein, fliegen in den Süden und bilden die Handwerker und Bauarbeiter aus. Ist das nicht absurd?"

Zu den bisherigen Lehmbauten, die Rauch mit seinen Mitarbeitern stets eigenhändig errichtet, zählen Einfamilienhäuser, Schulen, Museen, Bürogebäude, Gewerbehallen, Kirchen, Friedhofsbauten und Hotels. Erst letztes Jahr stellte Rauch in Hirschegg, Steiermark, für den Vorarlberger Architekten Hermann Kaufmann das Naturhotel Chesa Valisa fertig. Und 2012 baute er - gemeinsam mit den Schweizern Jacques Herzog und Pierre de Meuron - für den Schweizer Kräuterzuckerlkönig Ricola eine Lagerhalle.

Ideale Lagerbedingungen

Das "Ricola Kräuterzentrum" in Laufen bei Basel ist eine archaische, 110 Meter lange, 30 Meter breite und elf Meter hohe Halle aus Stahlbeton und Stampflehm. Nicht ohne Grund: "Nachdem der Lehm ein perfekter Klimaregulator ist, brauchen wir in dieser Lagerhalle keine Be- und keine Entfeuchtungsanlage. Die Luftfeuchtigkeit reguliert sich ganz von selbst." Die Ricola-Experten sind glücklich: Je nach Jahreszeit und Witterung beträgt die Luftfeuchte zwischen 50 und 60 Prozent. Ohne Technik und ohne Maschine, versteht sich. Ideale Lagerbedingungen für die Lutschbonbons in spe.

Und jetzt Saudi-Arabien. Schon seit einigen Jahren werkelt Rauch - gemeinsam mit dem Osloer Büro Snøhetta - am King Abdulaziz Center for World Culture (siehe Foto). Der riesige, futuristisch anmutende Bau in Dhahran, benannt nach dem vor einer Woche verstorbenen saudischen König Abdullah Ibn Abdulaziz Al Saud, ist ein Konglomerat aus Kulturzentrum, Theater, Kino, Veranstaltungshalle, Galerien und Büro-Tower. In der 120 mal 80 Meter großen Plaza, die all die unterschiedlichen Bauteile miteinander verbindet, sowie im Eingangsbereich kam auf mehr als 10.000 Quadratmeter Wandfläche Stampflehm zum Einsatz.

"Die Luftfeuchtigkeit am Persischen Golf schwankt enorm", so Rauch. "Mal ist die Luft nass wie ein Schwamm, mal ist es trocken heiß bei 45 bis 50 Grad Celsius. Der Lehm fungiert hier als Regulator zwischen den Extremen. Wie wir aus der traditionellen Architektur in diesem Kulturraum nur zu gut wissen, kann man dank dicker Lehmwände auf so manche Klimaanlage verzichten." Im Herbst dieses Jahres soll das King Abdulaziz Center nach fünfjähriger Bauzeit eröffnet werden.

Hand am Material

Weniger königlich-feudale Bauherren sind die Spezialität von Anna Heringer. Die Liebe zum Lehm begann bei der mit dem Aga Khan Award ausgezeichneten Architektin bei einem einjährigen Entwicklungshilfe-Aufenthalt in Bangladesch. Seitdem ist sie immer wieder dorthin zurückgekehrt, ihre Diplomarbeit - die METI Handmade School in Rudrapur - wurde 2006, gemeinsam mit einer Heerschar Freiwilliger, erdige Realität. Der Selbstbau mit der Hand am Material ist dabei bis heute Heringers Grundüberzeugung geblieben.

"Ein Haus aus Lehm kann man nicht aus der Ferne planen, man muss selbst vor Ort sein." Dass der Wissenstransfer beim Bauen keine Einbahnstraße ist, zeigen die Projekte, die Heringer in der westlichen Hemisphäre realisiert: An der Elite-Uni Harvard entstand gemeinsam mit Studenten eine "Mud Hall", an der ehemaligen Berliner Mauer eine "Mud Wall", und letztes Jahr brachte sie sogar westafrikanisches Lehmbau-Wissen nach Westösterreich.

Lehmende Erkenntnis

Für den Hauptsitz des Energieversorgungsunternehmens Omicron Electronics in Klaus, Vorarlberg, entwickelte Heringer gemeinsam mit Martin Rauch Mitarbeiterräume, die mit der sonst üblichen Neonlicht-Nadelfilz-Konferenzraum-Tristesse wenig zu tun haben. Ein leichter, schwebender "Zeppelin" in Gestalt eines mit indischen Textilien bespannten Holzskelettes und ein erdschwerer, archaischer, kartoffelartig wirkender "Monolith" aus Lehm mit einem ausgehöhlten Inneren. In diese sanftraue Geborgenheit dürfen sich in Kürze die Omicron-Elektroniker embryonal knotzend zum entspannten Brainstorming zurückziehen. Vorbild für dieses Projekt war eine Lehmbautechnik aus Ghana. Dank österreichischer Bauvorschriften musste der handgefertigte Kuppelbau mit Stahlringen verstärkt werden.

Die lehmende Erkenntnis: Ganz ist man in Europa noch nicht für den Import des so billigen wie klimatisch vorteilhaften Baustoffes gerüstet. Dabei ist dieser in unseren Breiten ein alter Bekannter, der auch den weltweiten wechselnden Witterungen tadellos trotzen kann. Im deutschen Weilburg an der Lahn steht ein sechsgeschoßiges Stampflehmhaus aus dem Jahr 1836. Der Bau ist gut beieinander und wird immer noch bewohnt. Und in der jemenitischen Stadt Schibam gibt es acht- und neunstöckige Lehmhochhäuser, die bis zu 500 Jahre alt sind. Sie stehen noch immer. (Wojciech Czaja und Maik Novotny, DER STANDARD, 31.1.2015)