Der Studienbeginn ist für viele junge Menschen eine Zeit des Umbruchs. Der Auszug aus dem elterlichen Heim, raus aus dem langweilig gewordenen Schultrott und hinein in ein neues Leben, das einem die Chance gibt, sich selbst neu zu erfinden.

Eine Geschichte, die auch das französische Entwicklerstudio Dontnod Entertainment ("Remember Me") in seinem neuesten Werk erzählt, das ein Coming-of-age-Drama mit einer Mystery-Geschichte und übernatürlichen Elementen verquickt. Der GameStandard hat die Lernsachen eingepackt und die erste Episode des fünfteiligen Werks erforscht.

Hinweis: Achtung, dieser Text enthält Spoiler.

Screenshot: Life Is Strange
Screenshot: Life Is Strange

Das Spiel versetzt in die Rolle von Maxine Caulfield, genannt "Max", eine hoffnungslos in Sofortbildkameras vernarrte junge Frau, die es nach fünf Jahren in Seattle zurück nach Oregon verschlägt. Und zwar in ihre alte Heimat, den fiktiven Ort Arcadia Bay. Dort studiert sie Fotografie an der Blackwell Academy. Und dort unterrichtet auch ihr Idol, der Starfotograf Mark Jefferson.

In Jeffersons Fotografieklasse setzt die Handlung schließlich auch ein. Max schreckt aus einem lebendig wirkenden Albtraum hoch und landet mitten im Bildungsalltag und seinen Tücken. Diese erste Szene führt nicht nur einige Personen ein, sondern zeigt auch, dass Dontnod versucht, den Haupthandlungsstrang in das tägliche Geschehen einzuweben.

Das besteht aus Zukunftsängsten der Studentin, die nicht so recht an ihr eigenes künstlerisches Talent glauben möchte, der Pflege von Freundschaften wie auch Intrigen und Beziehungskisten.

Screenshot: Life Is Strange
Screenshot: Life Is Strange (Panorama-Stitch von derStandard.at)

Bei der Gestaltung mancher Charaktere blitzt das eine oder andere Klischee durch, wie man es aus diversen Filmen mit Schul- oder Collegesetting kennt. Von der reichen, eingebildeten Musterschülerin über den gemobbten Außenseiter bis zur verständnisvollen Freundin ist die ganze Bandbreite abgebildet, aber selten in einem übertriebenen Ausmaß.

Mitten hinein in einen Beinahe-Nervenzusammenbruch von Maxine am Damenklo platzt auf einmal ein Streit zwischen ihrer ehemaligen besten Freundin Chloe Price und dem psychisch labilen Blackwell-Studenten Nathan Prescott. Augenscheinlich geht es um Geld und Drogen. Zuerst zu ängstlich, um etwas zu unternehmen, entdeckt die Heldin im Angesicht eines Mordes, dass sie in der Lage ist, die Zeit zurückzudrehen. Nach der spontanen Ereignisumkehr findet sie sich wieder in der Fotografieklasse, zu jenem Zeitpunkt, an dem sie aus ihrem Traum hochgeschreckt ist.

Foto: Life Is Strange
Screenshot: Life Is Strange

Ab diesem Moment setzt "Life Is Strange" das Element der Zeitreise auch kontinuierlich ein und stellt den Spieler vor Entscheidungen, die teils langfristige Konsequenzen haben sollen. Kurzfristige Auswirkungen der verschiedenen Optionen lassen sich oft erproben. Innerhalb der gleichen Szene kann man die eigenen Entschlüsse durch einen Zeitsprung auch korrigieren. Wie sehr sie sich letztlich auf die Erzählung auswirken, bleibt abzuwarten, zumal man mit Episode 1 von "Life Is Strange" nicht länger als anderthalb bis zwei Stunden befasst ist.

Die Zeitreisen dienen aber auch zum Lösen von Rätseln. So lassen sich etwa Dialogoptionen freischalten, die man erst nach dem erstmaligen Durchlaufen einer Gesprächssituation erhält. Da Maxine – von der Klo-Szene abgesehen – sich selbst beim Zurückspulen des Geschehens nicht von der Stelle bewegt, werden auf diesem Weg auch Logikaufgaben gestellt. Dabei lohnt sich genaueres Hinschauen und Beobachten der Campus-Welt, denn die Beeinflussung mancher Ereignisse erfolgt optional. So kann man etwa eine Mitstudentin davor bewahren, von einem entflogenen Football getroffen zu werden, was sich irgendwann positiv auswirken könnte.

Der Mechanismus erinnert ein wenig an die Implementation des Rewind-Konzeptes bei "Prince of Persia: Sands of Time" und dem Knobel-Plattformer "Braid". Ein erfreuliches, frisches Spielelement, das allerdings etwas inflationär genutzt wird.

Screenshot: Life Is Strange
Screenshot: Life Is Strange

Spielerisch hat sich Dontnod offenbar bei Telltale Games eine Scheibe abgeschnitten, laufen doch "Life Is Strange" und Spiele wie die "Game of Thrones"- oder "The Walking Dead"-Umsetzung oft ähnlich ab. Das College-Drama suggeriert zwar mehr Freiheit in Bewegung und Handlung, bietet sie aber nur beschränkt. Mitunter wird man offensichtlich in Richtung bestimmter Lösungen gelotst, dazu lässt sich auch der grundsätzliche Verlauf der Haupthandlung nicht beeinflussen.

Das macht das Spiel erzählerisch jedoch gut wett und bietet trotz nicht mehr ganz aktueller Grafiktechnologie schöne und glaubhafte Kulissen in einem Stil, der ebenfalls den Games von Telltale nicht unähnlich ist. Das Repertoire reicht von einem einsamen Leuchtturm über das Schulgelände bis zum Haus von Chloe, deren Freundschaft zu Maxine sich nach der fünfjährigen Unterbrechung wieder entspinnt.

Zu den Alltagssorgen der Heldin gesellen sich weitere Aufgaben. Während der genaue Hintergrund des Streits zwischen Chloe und Nathan vorerst ungeklärt bleibt, rückt Rachel Amber in den Vordergrund. Sie ist vor allem einem halben Jahr spurlos verschwunden, ihr Gesicht ziert seitdem Vermisstenanzeigen, die überall in der Blackwell Academy aushängen. Und auch Max' Albtraum erweist sich nicht als singuläres Ereignis.

Screenshot: Life Is Strange
Screenshot: Life Is Strange

Wer die Spiele aus dem Hause Telltale bislang schon mochte, wird sich in "Life Is Strange" schnell zu Hause fühlen. Freunde ähnlich gelagerter Filme, so sie mit dem niedrigen Grad an Interaktivität leben können, kommen ebenso auf ihre Kosten.

Auch weil das Dotnod-Werk akustisch glänzt und sehr gut vertonte Dialoge bietet. Außerdem lädt der genial zum Geschehen passende Soundtrack mit Titeln von Künstlern wie Syd Matters, Amanda Palmer und Bright Eyes dazu ein, nostalgisch-verklärt auf den eigenen Aufbruch ins Erwachsenenleben zurückzublicken. (Georg Pichler, derStandard.at, 6.2.2015)

Die erste Episode von "Life is Strange" mit dem Titel "Chrysalis" ist für Windows, Xbox 360, Xbox One, PlayStation 3 und PlayStation 4 erschienen. Der zweite der insgesamt fünf Teile soll im März veröffentlicht werden.