Herbert W. Franke: "Der grüne Komet"
Broschiert, 235 Seiten, € 11,90, p.machinery 2014
Mit ihrem surrealen Antiquitätenladenlook gehören die SF-Cover Thomas Frankes für mich zu den schönsten im deutschsprachigen Raum. Den könnte p.machinery von mir aus gerne öfter engagieren, denn oft sind die Cover des Verlags so zuckerlbunt, dass ich erst mal eine gewisse Hemmschwelle überwinden muss. In diesem Fall soll der Franke-Look wohl betonen, dass wir es hier mit Zeitgeschichte zu tun haben: "Der grüne Komet" ist der erste Band einer auf 28 (feeett!) Bände angelegten Werkausgabe zu Herbert W. Franke.
Der aus Wien stammende Franke war ein echter Pionier der deutschsprachigen Science Fiction nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie drückt man es am besten aus? So: Er kann sich noch an das Zeitalter vor Wolfgang Jeschke erinnern. Wir sprechen also wirklich von Old School. Franke-Experte Hans Esselborn würdigt den Physiker, Höhlenforscher, Elektronik-Künstler und SF-Autor Herbert W. Franke in einem Nachwort, das an intensiver Auseinandersetzung mit dessen Werk nichts zu wünschen übrig lässt.
Aus dem Ideenlabor
Begonnen hatte die sich über ein halbes Jahrhundert erstreckende SF-Karriere Frankes 1960 mit diesem Storyband, der satte 65 Kurzgeschichten bzw. Kürzestgeschichten enthält. Um die wenigstens zum Teil vorzustellen, greife ich jetzt ausnahmsweise mal zum sogenannten "Listen-Tool" (mehr dazu später). Here we go:
+ "Start": Ein Astronaut bereitet sich zum Aufbruch ins All vor und gewinnt dabei eine unbequeme Einsicht über sich selbst.
+ "Der Auftrag": Ein Klinikpatient erzählt, wie er mit seiner PR-Agentur das Science-Fiction-Genre populär machte ... und warum er überschnappte, als er den Grund erfuhr, warum er damit beauftragt worden war.
+ "Kalziumaktivierung": Ein Techniker will sich an der Welt rächen, nachdem ihn ein missglückter Versuch zur lebenden Atombombe gemacht hat.
+ "Präparat 261": Der medizinische Fortschritt hat es ermöglicht, ein Gehirn ohne Körper am Leben zu erhalten - doch niemand scheint sich darüber Gedanken gemacht zu haben, dass darin noch ein Bewusstsein existiert.
+ "Das Ei": Der Erzähler opfert sich für ein Alien, das ultraharte Röntgenstrahlung zum Überleben braucht.
+ "Invasion": Aliens führen grausame Experimente an armen Planetariern durch - die Heimatwelt der Aliens heißt Erde.
+ "Die Raupen": Auf einem fremden Planeten treten Menschen in eine bislang unbekannte Stufe ihrer biologischen Entwicklung ein (der letzte, der etwas in diese Richtung schrieb, dürfte wohl Larry Niven gewesen sein).
+ "Fahrt zum Licht": Wesen vom Rand des Sonnensystems verfallen auf ihrem Kurs zur Sonne der Sucht nach Licht und streben wie Motten ihrem Verderben entgegen.
+ "Zweitexemplar": Eine Klongeschichte, die trotz Alter und Kürze das Thema so realistisch behandelt, wie es Hollywood ein halbes Jahrhundert später immer noch nicht gelingt ("Die Insel" ...).
+ "Meteoriten": Zwei sehr unterschiedliche Berichte von vermutlich ein und der selben Raumfahrt, tragisch der von "TB", geschönt der von "B" (jetzt müsste mir nur noch wer erklären, wofür "B" und "TB" stehen könnten).
+ "Der Entschluss": Was tut eine Maschinenstadt, wenn ihr letzter menschlicher Bewohner verstorben ist?
+ "Frau vom andern Stern": Die Ehe mit einer Außerirdischen als Metapher für das Gefühl, alle Bindungen an das frühere Leben zu verlieren.
+ "Schicksal": Winzige Wesen werden versehentlich von Giganten zerquetscht, die sich Menschen nennen.
+ "Der grüne Komet": Der Versuch, eine Fernzukunft des Universums zu zeichnen, in der alle bekannten Strukturen und Zustände in etwas psychedelisches Neues übergegangen sind.
Zack, zack!
Das war jetzt ein ziemliches Stakkato, nicht wahr? Aber genauso liest sich der Band auch: Die Geschichten sind jeweils nur zwei bis drei Seiten lang - gerade ausreichend, um einen Gedankengang auszuführen. (Und wenn man nach dem Nachwort geht, sind die Geschichten auch so geschrieben worden, nämlich innerhalb von zwei Wochen.) Franke, der stets einen schlanken, nüchternen Stil bevorzugte, konnte diese Vorliebe hier auf die Spitze treiben. In seinen Worten: "Also kein neuer Stil, mit dem ich die Literaturkritiker beeindrucken wollte, sondern eine vereinfachte, auf das nötigste beschränkte Kurzform."
Eingeleitet wird jede Episode mit einstimmenden Worten, die mitunter an die "Twilight Zone" erinnern ("Über die Kräfte, die die Atome zusammenhalten und aneinanderbinden, wissen wir einiges, wenn auch nicht alles. Die Kräfte, die den Menschen zum Handeln zwingen, sind uns noch weitgehend unbekannt."). Und am Ende, da steht fast immer eine Pointe. Wie es damals in SF-Kurzgeschichten eben so üblich war. Heute tut das kaum noch jemand - teils, weil das auf Dauer etwas schematisch wirkt. Teils aber wohl auch, weil den AutorInnen irgendwann einfach die Pointen ausgegangen sind. Und auch hier riecht man manche "überraschende" Wendung schon meilenweit gegen den Wind: der Fluch des Lesens mit zeitlichem Abstand.
Was ist schon "trivial"?
Esselborns Nachwort habe ich bereits für sein Fachwissen gelobt - was aber nicht heißt, dass ich mit jeder Aussage voll übereinstimmen würde. Für entbehrlich halte ich beispielsweise, Franke ständig "trivialer Science Fiction" gegenüberzustellen. Es stimmt, in vielen von Frankes Erzählungen erweisen sich auf den ersten Blick monströse Aliens als freundlich und die Menschen als grausam. Und Franke nutzt seine Mini-Plots für Überlegungen, wie sich neue technische Entwicklungen oder Begegnungen mit dem Fremden auf den Menschen auswirken.
Aber trotzdem. Für praktisch jedes von Esselborn genannte Kennzeichen "trivialer SF" ließen sich auch hier Beispiele finden. Womit ich nicht Franke runterziehen, sondern anregen möchte, das ganze verzopfte und etwas hochnäsige Konzept von "trivialer Literatur" einfach zu kübeln. Dann muss man sich nicht mehr verrenken, um es zu beweisen ... fast so sehr verrenken wie ein Satz Esselborns, der sich darauf bezieht, wie in der Geschichte "Gewalt" eine Frau zum Austragen eines Alien-Embryos gezwungen wird, und der weitergeht mit den Worten: aber es geht dabei nicht um physische Gewalt. Soso.
Zeichen der Zeit
Purer Pulp jedenfalls sind einige Episoden um ein wiederkehrendes Protagonistenduo: Bei den Kurzabenteuern der Raumfahrer Kai und Ben habe ich mich - internetverdorben, wie ich bin - irgendwann nur noch gefragt, ob die beiden wohl am Ende heiraten werden. Aber Slash-Literatur war damals noch unbekannt, und Franke sah seine Tätigkeit ohnehin sehr ernsthaft, wie sein aus dem Jahr 1957 stammendes Manifest "Zur Bewertung von Science Fiction" zeigt.
In diesem etwas didaktischen Begleitwort zu "Der grüne Komet" listete der Autor einst auf, welche Kriterien gute Science Fiction von schlechter zu unterscheiden hätten. Mündend in der Feststellung: "Vielleicht sind die an ein ideales Ergebnis gestellten Ansprüche auch zu groß für den durchschnittlichen Leser. Den wollen wir ja vor allem gewinnen, und wir werden das nur erreichen, wenn wir ihm zunächst nichts Fremdes, zu Ungewöhnliches liefern, sondern ihn vom Gewohnten her in unsere Richtung zu lenken versuchen." - Wie gesagt: Old School. Zeitgeschichte. Oder in Esselborns Worten: ein bahnbrechendes Werk der deutschsprachigen Science Fiction in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.