Die Milch ist ein ganz erstaunlicher Verwandlungskünstler. Im Rohzustand meiner Meinung nach eher unaufregend, kann und will ich mir ein Leben ohne ihre vielen Gesichter nicht vorstellen. Sie entzückt mich fast täglich als Joghurt oder Butter, als Blauschimmel- oder Bergkäse bin ich ihr völlig verfallen und als Kaymak lässt sie mich immer wieder wehmütig an schöne Reisen denken. Nicht alle, aber verblüffend viele ihrer Verwandlungen kann der Heimkoch nachvollziehen. Er braucht dafür nichts, als ein bisschen Zeit und manchmal etwas Säure.

Kurze Milchtheorie - wie immer nach Harold McGee

Milch enthält zwei wesentliche Proteingruppen: Kasein und Molkeproteine. Normalerweise treiben diese in kleineren Grüppchen (Kasein) oder allein (Molkeproteine) in ihr herum. Wenn man möchte, dass Mich gerinnt, also fest wird, muss man die Proteine dazu bringen, sich zu größeren Gruppen zu verbinden. Das geht auf mehrere Arten: die einfachste ist, den PH-Wert der Milch zu verändern und sie zu säuern. Das Ergebnis ist bei uns als Sauermilch bekannt. Zweitens kann man ihr Enzyme zusetzen, die das Kasein dazu bringen, Gruppen zu bilden - in der Käseproduktion geschieht das per Lab, einem Stoff, der aus Kälbermägen gewonnen wird. Ingwer (>> Milch, Ingwer, Zucker: Pudding-Magie in zehn Minuten), Kiwis und Melonen tun's mitunter aber auch.

Welche Milch?

Für die meisten der folgenden Milch-Experimente ist es relativ egal, ob Sie Rohmilch oder pasteurisierte Milch verwenden, ob die Milch homogenisiert wurde oder nicht oder ob es sich um Mager- oder Vollfettmilch handelt. Wer mit Rohmilch arbeitet, kann mitunter aber einige Überraschungen erleben. Weil Rohmilch all jene Bakterienkulturen enthält, die die Kuh, der Stall oder der Bauer ihr mitgegeben hat, verhält sie sich etwas unberechenbar, wenn sie reift - schließlich weiß niemand so genau, was in ihr drinnen ist. Wenn Sie sie säuern, kann das Ergebnis ganz tadellos sein, es kann aber auch schrecklich schmecken. Pasteurisierte Milch hingegen ist ein unbeschriebenes Blatt Papier, das sie ganz nach Lust und Laune bespielen können.

Foto: Tobias Müller

Homogenisierte Milch wiederum wurde mit sehr hohem Druck auf eine Platte gespritzt, sodass sich die Struktur des Fetts verändert und sich das Fett nicht vom Wasser trennt. Von homogenisierter Milch können Sie keinen Rahm abschöpfen und daher aus ihr auch keine Butter machen. Wenn Sie aber Ricotta oder Topfen machen, beeinflusst das Ihr Ergebnis nicht. Auch der Fettgehalt der Milch spielt keine riesige Rolle - wenn Sie Milch gerinnen lassen, geht es Ihnen um die Proteine, nicht ums Fett. Außerdem lässt sich der Fettgehalt recht leicht beeinflussen, etwa, indem Sie ihrer Milch Obers untermischen.

Butter

Foto: Tobias Müller

Packen Sie einen halben Liter (Sauer)Rahm in einen Häcksler, geben Sie die Scheibeneinlage statt der Klingen hinein und schleudern Sie das Ganze für etwa fünf Minuten - fertig ist Ihre Butter.

Foto: Tobias Müller

Sportbegeisterte können Ihren Rahm alternativ auch in ein Gurkenglas packen und ordentlich und lange schütteln. Die Erschütterung zerstört die Membranen der Fettkügelchen und lässt sie so zusammen kleben und immer größer werden. Wenn Sie wollen, können Sie Ihre Butter nach dem Mixen/Schütteln noch auswringen um mehr Buttermilch heraus zu bekommen, sie schmeckt aber auch ohne Fett-Wringerei gut.

Foto: Tobias Müller

Ist die Butter besser als die aus dem Supermarkt? Kommt auf Ihren Rahm an, aber wahrscheinlich nein. Trotzdem sollte das jeder mal probiert haben. Es ist faszinierend.

Sauermilch, Sauerrahm...

Sauermilch zu machen ist das einfachste Milch-Experiment: Nehmen Sie Ihre Milch, gießen Sie einen Schuss (es reicht wirklich ganz wenig) Buttermilch oder Sauerrahm dazu und lassen Sie sie bei Zimmertemperatur zwei, drei Tage stehen. Das wars. Das Ganze funktioniert natürlich auch mit Rahm statt Milch als Ausgangsprodukt und führt dann zu Sauerrahm statt Sauermilch.

Foto: Tobias Müller

Die Buttermilch oder der Sauerrahm, die Sie am Anfang dazu gießen, geben Ihrer Sauermilch Starthilfe: Sie sorgen dafür, dass die richtigen Bakterien präsent sind und die Milch säuern, bevor sie verdirbt. Sie können Reste Ihrer selbst gemachten Sauermilch dafür verwenden, die nächste Charge Milch zu säuern. Mit der Zeit wird sich ihre Kultur verändern, die Milchsäurebakterien Ihrer Gegend werden das Kommando übernehmen und Ihrer Milch ein ganz eigenes Bakterien-Terroir verleihen. Meine Sauermilch, mit der ich hier in Sydney seit drei Wochen spiele, ist mit jedem Mal säuern schneller sauer, saurer und fester geworden.

Foto: Tobias Müller

Sie können Ihre Sauermilch einfach so wie Joghurt löffeln, mit Zucker/Honig/Marmelade mischen, auf Salate klecksen - oder aber sich noch weiter mit ihr spielen.

…Topfen...

Packen Sie zwei Lagen Küchenrolle in ein Sieb, gießen Sie Ihre Sauermilch hinein und lassen Sie das Ganze zwischen einer halben Stunde und zwölf Stunden abtropfen. Das Ergebnis ist je nach Tropfdauer ein mehr oder weniger cremiger bzw. bröseliger Frischkäse - in Österreich auch Topfen genannt. Aus einem Liter Milch bekommen Sie, je nach Abtropf-Dauer, etwa 400 Gramm Frischkäse. Je mehr Molke Sie abtropfen lassen oder auspressen, desto weniger sauer wird ihr Topfen sein. Die Molke selbst können Sie ebenfalls verwenden, wenn Sie gern Cocktails mixen: Gießen Sie sie in Eiswürfel-Behälter und frieren Sie sie ein. Schütteln Sie Ihren nächsten Daiquiri oder anderen Sour damit und freuen Sie sich über extraschönen Schaum.

Foto: Tobias Müller

Tun Sie mit Ihrem Topfen, was Sie mit jedem anderem Topfen auch tun würden (Palatschinken? Knödel? Kräuteraufstrich?) und fühlen sich dabei ein bisschen stolzer, weil Sie ihn selbst gemacht haben. Oder aber gehen Sie aufs Ganze und lassen Ihren Topfen noch etwas weiter verrotten.

…und Sauermilchkäse

Aus Topfen werden traditionell verschiedenste Sauermilchkäse hergestellt. Ich habe mich an einer theoretisch sehr einfachen Variante, dem Murtaler Steirerkäs nach dieser Anleitung versucht.

Ich habe meinen Topfen in kleine Brocken zerteilt und an einem gut belüfteten warmen Ort liegen gelassen, bis er "stechend" (laut Rezept) oder nach altem nassen Putzfetzen (Eigenwahrnehmung) gerochen hat und glasig geworden ist. Im australischen Spätsommer, in dem ich mich gerade befinde, hat das gerade mal zwei Tage gedauert, im österreichischen Frühfrühling könnte es ewas länger dauern.

Foto: Tobias Müller

Einfach so genossen, hat er erstaunlich angenehm und ein bisschen nach Parmesan geschmeckt. Dafür, dass er nicht gesalzen war, hatte er beachtliche Würzkraft. Ich könnte mir gut vorstellen, ihn über diverse Gemüse, Salate oder Pasta zu bröckeln. Mein anschließender Schmelzversuch ist leider gescheitert. Der Käse ist nicht zerronnen, sondern einfach nur knusprig geworden. Auch ganz und gar nicht schlecht. Weitere Experimente werden folgen.

Ricotta

Ricotta selber machen dauert etwa zehn Minuten und das Ergebnis schmeckt ungleich besser als die Ware aus dem Supermarkt. Hier ist so ziemlich alles dazu gesagt worden, es folgt daher nur eine sehr kurze Kurzfassung: Gießen Sie Milch in einen Topf, bringen Sie sie auf etwa 75 bis 85 Grad und gießen Sie pro 1/4 Liter Milch acht bis zehn Milliliter Essig dazu.

Foto: Tobias Müller

Rühren Sie vorsichtig um und sehen Sie zu, wie Ihre Milch sich wie durch Zauberhand verwandelt. Gießen Sie das Ganze in ein Sieb mit Küchenrolle und lassen Sie es einige Minuten abtropfen.

Foto: Tobias Müller

Fertig ist ihr für den Aufwand ziemlich guter Ricotta. Wer seinen Ricotta üppiger mag, der mischt vor dem Erhitzen einen Schuss Rahm unter seine Milch. Packen Sie Ihren Ricotta in selbst gemachte Ravioli aus frischem Pastateig oder geben Sie Honig und geräucherte Nüsse drüber und genießen Sie ihn als Dessert. Noch warm schmeckt er jedenfalls am allerbesten.

Foto: Tobias Müller

Anmerkung: Was hier beschrieben wurde, schmeckt zwar erstaunlich nach Ricotta, ist streng genommen aber keiner. Ricotta wird hergestellt, indem die Molke der Käseproduktion nochmals aufgekocht und abgeseiht wird - daher der Name, der "nochmals Gekochte".

Bei der Käseproduktion wird Milch Lab zugesetzt, ein Enzym aus dem Kälbermagen, dass zwar Kasein gerinnen lässt, nicht aber die Molkeproteine. Sie gerinnen erst beim zweiten Aufkochen und bilden den Ricotta.

Sie können das mit der Molke probieren, die Ihnen beim Sauermilch machen übrig bleibt - allerdings ist das Ergebnis sehr sauer und sie brauchen ungefähr zwei Liter Molke, um eine einigermaßen sinnvolle Menge Ricotta zu bekommen. Aus der Ricotta-Molke nach obigem Prozess lässt sich kein weiteres Mal Ricotta kochen. Offenbar lässt der Essig alle Milchproteine gerinnen, während Milchsäure-Bakterien hauptsächlich das Kasein stocken lassen. Wenn Sie Lebensmittelchemiker sind: ich freue mich über erhellende Postings. (Tobias Müller, derStandard.at, 15.3.2015)