Heidi Kastner:
Wut. Plädoyer für ein verpöntes Gefühl

K&S Verlag
ISBN: 978-3-218-00929-4
128 Seiten, 15,40 Euro

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Die Wut zulassen heißt Grenzen setzen, meint Heidi Kastner.

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Wut und Aggression sind unzertrennlich. Wo die beiden hintreten, wächst kein Gras mehr. Hier gilt es für Betroffene in Deckung zu gehen. "Diese unterstellte Symbiose ist ein fataler Irrtum", meint die Psychiaterin und Neurologin Heidi Kastner, die mit ihrem Buch ein geächtetes Gefühl ins rechte Licht rücken will.

Das heißt konkret: Während Wut eine von mehreren Basisemotionen und damit Teil der "conditio humana" ist, handelt es sich bei der Aggression um ein Verhalten. Diese fundamentale Unterscheidung gilt es zu beachten, wenn wir eine gesunde Portion Wut in unser Leben integrieren wollen. Wut darf demnach nicht mit Aggression gleichgesetzt werden. "Auszuzucken und wo dagegenzuschlagen ist eine Handlung, Wut hingegen ein Gefühl", bringt es Kastner auf den Punkt.

"Seinen Emotionen freien Lauf zu lassen ist unpopulär und unvereinbar mit dem Diktat der Political Correctness, die unsere Gefühlsäußerungen in ein enges Korsett zwängt", sagt die Psychiaterin. Denn das dauerhafte Unterdrücken von Wut tut nicht gut: Es führt zu Ohnmacht, Resignation und Verzweiflung und macht ein gelingendes Zusammenleben unmöglich.

Lebensenergie

Um zu zeigen, wie sich über Jahre aufgestaute Wut in gewaltvollen Impulsreaktionen ihren Weg bahnt, ist die Autorin nicht zimperlich: Mit zum Teil äußerst drastischen Schilderungen führt sie dem Leser die fatalen Folgen vor Augen, wenn unterdrückte Wut in pure Gewalt umschlägt. Dabei schöpft Kastner aus dem reichhaltigen Repertoire menschlicher Irrungen und Wirrungen, mit denen sie als Gerichtsgutachterin konfrontiert ist.

Statt Wut zu stigmatisieren, empfiehlt Kastner, ihre wichtigen Funktionen wahrzunehmen: Wut vermittelt klare Grenzen, setzt Warnsignale, befreit von Spannungen, ermöglicht präzise Einsichten in unsere Schwachstellen und fordert uns zu Veränderungen auf –entweder an uns selbst oder den Lebensumständen. "Wut fordert und fördert Lebendigkeit", so die Conclusio der Autorin.

Kastner will ihr Plädoyer keineswegs als Rechtfertigung für tätlich aggressives Verhalten verstanden wissen. In den meisten Fällen braucht es nur ein, zwei Wörter: "Nein!" oder "Es reicht!" (Günther Brandstetter, derStandard.at, 7.4.2015)