Die Vjosa ist einer der letzten Wildflüsse Europas. Auf 270 Kilometern schlängelt sie sich ohne Regulierungen oder Staudämme.

Foto: Bledi Hoxha

Tirana - In der albanischen Hauptstadt Tirana legte Riverwatch gemeinsam mit Euronatur und Eco Albania ein Papier vor, das die Auswirkungen von Kraftwerksprojekten im Einzugsgebiet der Vjosa zeigt. Insgesamt sind 33 Wasserkraftwerke an Europas letztem großen Wildfluss und seinen Zuflüssen geplant. Sechs davon sollen in Griechenland realisiert werden, wo die Vjosa Aoos heißt. Der Widerstand gegen diese Projekte nimmt zu, und eine alternative Idee findet immer mehr Zuspruch: die Gründung eines Nationalparks.

Eine neue albanische Initiative unterstützt diese Vision. Bislang ist die Vjosa auf 270 Kilometer Länge frei von Verbauungen. Sie fließt vom griechischen Pindosgebirge bis hinab zur Adria. Ihr Flussbett ist stellenweise bis zu zwei Kilometer breit, und auch ihre Zuflüsse sind weitgehend unberührt. Das ist einzigartig in Europa und stellt eines der letzten Refugien für Fische, Muscheln, Insekten und Vögel dar.

Zuflüsse aufgestaut

Doch damit könnte es bald vorbei sein. Eine umfassende Analyse der NGOs ergab, dass praktisch alle Zuflüsse der Vjosa aufgestaut und abgeleitet werden sollen. Drei Projekte sind bereits im Bau. "Das ist so, als ob man sämtliche Äste eines Baumes kappt, dann stirbt letztlich der ganze Baum", sagt Ulrich Eichelmann von Riverwatch und Koordinator der Kampagne "Rettet das Blaue Herz Europas".

Laut Riverwatch bauen österreichische und italienische Firmen die Wasserkraftwerke. "Finanziert mit Geldern der Österreichischen Entwicklungsbank und der Weltbanktochter IFC, wird mitten im Nationalpark Hotovës-Dangelli der Fluss Langarica abgeleitet und trockengelegt", kritisiert Eichelmann.

"Wir müssen diese Flut an Staudämmen stoppen", fordert Gabriel Schwaderer, Geschäftsführer von Euronatur. Stattdessen sollte seiner Meinung nach zusammen mit der örtlichen Bevölkerung ein Nationalpark errichtet werden, um dieses europäische Naturjuwel zu erhalten. "Das würde den Menschen im Tal eine nachhaltige Zukunftsperspektive geben. Aber das geht nur ohne Dämme", sagt der Umweltaktivist.

Vjosa-Tag im Mai

Um diese Idee zu unterstützen, hat sich in Albanien eine neue Initiative, Friends of Vjosa, gegründet. "Wir müssen den Wert der Vjosa bekannter machen und auch ihre Bedrohung. Viele bei uns wissen nichts davon", sagt Olsi Nika, Leiter der albanischen Naturschutzorganisation Eco Albania. Erste Politiker, Künstler und Wissenschafter haben sich der Initiative bereits angeschlossen. Im Mai ist in Tirana zudem ein Vjosa-Tag geplant, an dem die Bewohner des Vjosatals in die Hauptstadt kommen, um die Schönheit und Vielfalt ihres Flusses zu bewerben. Und sie werden sich klar für einen Vjosa-Nationalpark aussprechen.

630 Wasserkraftwerke

In der Zähmung der letzten wilden Flüsse Europas schlummert jedoch viel Potenzial. Insgesamt sind zurzeit mehr als 630 Wasserkraftwerke zwischen Slowenien und Albanien geplant. Rechnet man noch die Kleinkraftwerke dazu, steigt die Zahl auf etwa 2000 Wasserkraftprojekte. Im Moment muss Albanien laut Damian Gjiknuri, dem Minister für Energie und Industrie, 35 bis 40 Prozent seines Stroms importieren. Die Energieversorgung des Landes habe daher für ihn Vorrang. (Julia Schilly, DER STANDARD, 21.3.2015)