Die Zustellung von Lebensmitteln ist ein Marktplatz der Träume und Ängste.

Foto: Illu/Lukas Friesenbichler

Sein erstes Geld hat sich Umut Kivrak bei alten Damen aus der Nachbarschaft verdient: Er erledigte ihre täglichen Einkäufe. Dann beendete er die Schule, reiste, machte sich selbstständig, mananagte Events, arbeitete für große Konzerne, gründete kleine Start-ups, warf sich ins E-Business und tüftelte an Webshops. Jetzt ist er Ende 20, ein alter Hase in der österreichischen Start-up-Szene und sieht die Zeit gekommen, um zu seinen Wurzeln zurückzukehren, zum Shoppen. Und Kivrak tut es erneut für andere. Basis dafür ist sein Online-Shop Yipbee. Und diesmal soll es was richtig Großes werden.

Von Wien und Linz will Yipbee nach Graz und Salzburg expandieren und bald auch in deutschen Ballungsräumen wachsen. Ziel ist es, monatlich tausende kleine Aufträge zu übernehmen, von Leuten, die die Lebensmitteleinkäufe selbst nicht erledigen wollen oder können.

Persönliche Dienstleistung

Kivrak rekrutiert dafür eine Truppe an Studenten, Pensionisten, Hausmännern und -frauen – Österreicher, die sich was dazuverdienen wollen und dafür quer durch verschiedene Supermärkte ziehen. Zuvor werden sie noch ausgebildet. Schließlich sei Wissen gefragt, etwa über gut durchzogenes Fleisch, die perfekt gereifte Avocado oder Milch mit längerer Haltbarkeit, die sich deswegen gerne im hintersten Regal verbirgt. "Die persönliche Dienstleistung ist im Vordergrund", sagt Kivrak.

Yipbee ist in guter Gesellschaft. Wie frische Schwammerln schießen Start-ups rund um den Lebensmittelhandel aus dem Boden. Vor die Haustür gelieferte Gemüsekisten sind Old School. Die Neuen in der Branche hieven Supermärkte ins Internet. Sie bündeln tausende regionale Hersteller und vertrauen auf Masse und Tempo.

Fast jeder fünfte Euro im Handel fließt ins Web. Die Ersten waren die Bücher, die sich im großen Stil online verflüchtigten. Sperrige Güter wie Möbel schaffen derzeit gerade den Durchbruch. Nahrungsmittel sind die Nächsten, denen eine große Zukunft im Internethandel prophezeit wird.

Es ist ein Tummelplatz der Träume und Ängste. Kein Supermarktkonzern, der nicht an Zustelllösungen abseits der Filialen tüftelt. Und kein internationaler Onlineriese, den der Milliardenmarkt rund ums Essen nicht reizt. Da können Pioniere noch so viel Geld verbrennen.

Kühne Zahlenspiele

Drei Prozent der Lebensmittel des täglichen Bedarfs werden in den kommenden fünf Jahren im Web gekauft, glauben die Vorsichtigen. Die Optimisten rechnen mit einem Zehntel, die Kühnen kalkulieren mit bis zu 30 Prozent. Weniger als ein Prozent ist es derzeit.

Markus Böhm zählt zu den Kühnen. "Es wird erdrutschartige Verschiebungen geben", sagt er. Der Oberösterreicher stieg innerhalb weniger Jahre zum Geschäftsführer von Pfeiffer auf. Der Großhändler betreibt die Supermarktketten Zielpunkt und Unimarkt und beackert seit eineinhalb Jahren emsig Geschäftsfelder im Web.

Böhm ist davon überzeugt, dass Österreichs stationäre Lebensmittelhändler ein Drittel ihrer Umsätze an alternative Vertriebskanäle verlieren werden. Und aus seiner Sicht hat dies Folgen für das bestehende Netz an Supermärkten: Flächenbereinigung stehe bevor.

Böhm setzt vor allem auf die Generation der heute 15-Jährigen, auf jene also, die nach dem Start von Google geboren wurden. "Wenn sie einen Hausstand gründen, wird's spannend." Und er will in Österreichs Online-Lebensmittelhandel die Marktführung. Im Spätsommer eröffnet Zielpunkt einen Webshop und verspricht, alle Bundesländer zu bedienen - mit einem weit größeren Sortiment, als es stationäre Filialen bieten. Unimarkt vertreibt bereits übers Internet. Zusätzlich zur Hauszustellung sind bis 2016 gut 50 Abholstationen geplant.

In drei bis fünf Jahren soll das alles rentabel sein, glaubt Böhm. Starke Resonanz gebe es bei Kunden, mit denen keiner so wirklich gerechnet habe: "Wir haben viele Anfragen von Seniorenverbänden – sie ersuchen um Einschulung."

Explosion

Einer, der den Lebensmittehandel vor großen Umbrüchen sieht, ist auch Harald Gutschi, Chef von Otto Österreich, obwohl der Versandhausriese selbst nicht in die Branche einsteigt. "Die Leute wollen ihre Freizeit genießen, nicht einkaufen gehen. Da helfen auch längere Öffnungszeiten nichts."

Natürlich dümple das Geschäft anfangs vor sich hin. "Aber mit der ersten durchdachten Lösung ändern sich schlagartig die Spielregeln. Der Markt ist kurz vor der Explosion." In Großbritannien bereitet der Diskonter Aldi den Webverkauf vor. Amazon Fresh steht bereits seit längerem vor den Toren Europas – noch zögern die Amerikaner, die großen Lebensmittelketten aber sind alarmiert.

Otto selbst eröffnete vor 15 Jahren den ersten virtuellen Supermarkt. Und sperrte ihn wieder zu. Strategisch passen die Lebensmittel nicht rein, sagt Gutschi. "Zu geringe Margen, zu teure Logistik, zu hohe Komplexität durch die Kühlkette. Für uns lässt sich kein profitables Geschäftsmodell bauen."

Sorgen um Jobs

Die Platzhirsche unter den Supermärkten sieht er den Weg ins Internet freilich verschlafen. Und auch er rechnet mit einer sinkenden Zahl an stationären Filialen. "Ihre Dichte ist in Wahrheit zu hoch, das gilt auch für Diskonter."

Kaum ein Land in Europa hat eine höhere Abdeckung mit Lebensmittelmärkten als Österreich. Verlagert sich das Geschäft ins Internet, schürt das Sorgen um Jobs in den Shops. So rege hinter den Kulissen an Onlinemodellen gearbeitet wird, offen vorantreiben will es kaum einer. "Keine Pläne, über die wir reden können", heißt es etwa bei Lidl. Auch Spar will noch nichts wirtschaftlich Sinnvolles gefunden haben. "Gibt es etwas, kann es aber schnell gehen", ergänzt eine Sprecherin. Rewe ist mit Lieferungen via Internet deutlich weiter und treibt seit kurzem Bipas Onlineverkauf voran.

"Mitspielen muss jeder, aber bis zur Revolution braucht es Zeit", resümiert Sascha Berens. Der Experte des Kölner Handelsinstituts EHI reiht sich unter die Vorsichtigen. Starke Verlagerungen, wie es sie im Buchhandel gab, erwartet er im Lebensmittelmarkt nicht. Dazu sei dieser zu groß und stationär zu gefestigt. Außer dem Fachhandel habe das Onlinegeschäft noch keiner kostendeckend im Griff. Ganz abgesehen von Nachwehen wie der Flut an Verpackungsmüll.

Heikle Ökobilanz

Bedenken, dass die Hauszustellung Ballungsräume ins Verkehrschaos stürzt, hält Otto-Chef Gutschi für Unsinn. "Onlinehandel ist wie Busfahren." Auch wenn er es nicht beweisen könne: Unter dem Strich sei die Ökobilanz eine bessere, vor allem wenn er an Spaßfahrten vieler Österreicher im Auto zu den Supermärkten denke.

Yipbee-Gründer Kivrak jedenfalls will bis zur Revolution nicht mehr warten. Er hofft auf große Partner aus dem Lebensmittelhandel. Und auf strategische Geldgeber. Denn derzeit arbeitet er bei Yipbee noch von der Hand in den Mund. (Verena Kainrath, DER STANDARD, 4.4.2015)