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Schöne neue Welt: Die Vermessung der Bevölkerungsgesundheit hat begonnen.

Foto: AP/Nigel Treblin

Wien - Wer mit 45 Jahren in Österreich an Diabetes leidet, hat ein dreifach erhöhtes Risiko, im weiteren Leben an Demenz und ein zehnfach erhöhtes Risiko, später an Bluthochdruck zu erkranken. Das ist das Ergebnis der Analyse von Gesundheitsdaten der österreichischen Bevölkerung, die ein Forscherteam der MedUni Wien in Kooperation mit dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger ausgewertet hat. Damit lässt sich eine ziemlich exakte und personalisierte Risiko-Einschätzung für gewisse Erkrankungen ablesen, sagen die Forscher vom Institut für die "Wissenschaft Komplexer Systeme" der MedUni Wien.

Im Rahmen der Untersuchung wurde jede Erkrankung, jede ärztliche Behandlung und Diagnose, egal ob beim Hausarzt, beim Facharzt oder im Spital, von rund acht Millionen Österreicher in den Jahren 2006 und 2007 analysiert. Damit konnten die Wissenschafter ein mathematisches Modell erstellen, aus dem sich vorhersagen lässt, wie hoch das zukünftige Erkrankungsrisiko für jede einzelne Krankheit in unterschiedlichen Teilen der Bevölkerung ist, abhängig von Alter und Geschlecht der Patienten. Diese Analyse soll den Wissenschaftlern zufolge weltweit die erste dieser Art gewesen sein.

Personalisierte Erkrankungsrisiken

In ihrer Studie erfassten die Forscher unter der Leitung von Peter Klimek und Stefan Thurner insgesamt 1.642 Erkrankungen aus den anonymisierten Daten. "Aus unseren Ergebnissen lässt sich eine ganz genaue 'Erkrankungs-Demografie' für Österreich ablesen", erklärt Thurner. "Man kann zum Beispiel genau sehen, an welchen weiteren Erkrankungen, mit welcher Wahrscheinlichkeit und auch wann im weiteren Leben etwa 25-Jährige, die heute Diabetes haben, in zehn Jahren leiden werden", ergänzt der Wissenschaftler.

In einer weiteren Studie untersuchten Klimek und Thurner in Kooperation mit Alexandra Kautzky-Willer von der Gender Medicine Unit an der Medizinischen Universität Wien, inwiefern sich die personalisierten Erkrankungsrisiken für Diabetes-Patienten von jenen der Restbevölkerung unterscheiden. Die Forscher konnten dabei mehr als 100 "Erkrankungspaare" identifizieren. - Bekannte, und auch weniger bekannte: So ließ sich zum Beispiel eine bisher umstrittene Verbindung zwischen Diabetes und dem Parkinson-Syndrom eruieren. Das Risiko hierfür ist mehr als zweifach erhöht. Zudem ist etwa das Risiko für koronare Herzkrankheiten siebenfach erhöht, jenes für die Lungenerkrankung COPD dreifach erhöht und jenes für eine Depression fünffach erhöht.

Schöne neue Welt der Gesundheitspolitik

Das könnte so weit führen, dass behandelnde Ärzte über Risiko-Scores künftig personalisiert präventiv therapieren oder vorbeugend mögliche Folgeerkrankungen "abfragen" können, an die man eigentlich nicht in erster Linie denkt. "Wenn etwa Diabetes in seltenen Fällen mit Schlafstörungen assoziiert ist, könnte der behandelnde Arzt den Patienten trotzdem präventiv fragen, ob er schlecht schläft, um späteren schweren Schlafstörungen frühzeitig vorzubeugen", erklärt Thurner. Das Risiko, später an Schlafstörungen zu erkranken, ist für junge Diabetes-Patienten zum Beispiel doppelt so hoch wie für Nicht-Diabetiker.

Außerdem lässt sich mit den nun vorliegenden Daten für die heimische Gesundheitspolitik relativ genau prognostizieren, welche Kosten auf das Gesundheitssystem statistisch gesehen in Zukunft zukommen und wo es Sinn machen würde, Vorsorgeprogramme zu starten. "Aber natürlich immer vorausgesetzt, dass sich an der grundsätzlichen Qualität der medizinischen Versorgung in Österreich nichts ändert", gibt Klimek zu bedenken. (APA/red, derStandard.at, 9.4.2015)