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Die russische Raumfahrt bietet derzeit einen trostlosen Anblick. Zum Jahresende sollte der Weltraumbahnhof Baikonur von einem neuen Vorzeigeraumhafen abgelöst werden, doch massive Verzögerungen und Korruption kommen dem Bauprojekt in die Quere.

Foto: AP / Dmitry Lovetsky

Als die Sojus-Rakete vor wenigen Tagen in Baikonur mit einer Kopie des von Rotarmisten 1945 auf dem Reichstag gehissten Siegesbanners abhob, hoffte der Kreml auf ein wenig Symbolismus. Die Flagge sollte den russischen Kosmonauten auf der Internationalen Raumstation (ISS) als Staffage dienen, wenn sie ihren Landsleuten am 9. Mai zum 70. Jahrestag des Siegs im Zweiten Weltkrieg gratulieren.

Doch der erhoffte Triumph hat sich für die russische Raumfahrtagentur Roskosmos zu einer millionenschweren Pleite entwickelt. Schon kurz nach dem Start verlor das Kontrollzentrum im Sternenstädtchen Koroljew bei Moskau den Funkkontakt zur Sojus. Zwei Tage trieben Rakete und die ihr angehängte Raumfähre Progress-M27M steuerlos im All umher - allen Versuchen der Bodenstation zum Trotz, den Kontakt wiederherzustellen.

Noch bevor die Raketentrümmer im Ozean versunken sind - erwartet wird der Absturz zwischen dem 7. und 11. Mai -, haben Mitarbeiter von Roskosmos das Ausmaß der Katastrophe beziffert. Umgerechnet 90 Millionen Euro hat der verunglückte Start gekostet, nur ein Teil davon ist versichert. Die sechsköpfige Besatzung der ISS - drei Russen, zwei Amerikaner und eine Italienerin - muss trotz der verlorenen 2,5 Tonnen Ladung erst einmal nicht ihre Rationen kürzen. Der nächste Versorgungsflug ist im Juni geplant und wird von einer Falcon-9-Rakete und einem Dragon-Raumschiff des privaten US-Unternehmens SpaceX durchgeführt. Verzögern könnte sich allerdings die Ende Mai geplante Wachablösung, wenn zuvor nicht die Ursachen des Sojus-Absturzes geklärt und behoben sind.

Megaprojekt in der Krise

Es ist nicht die einzige Baustelle für Roskosmos: Die zweite heißt "Wostotschny" in Russlands Fernem Osten und soll als neuer Weltraumbahnhof perspektivisch Baikonur in der kasachischen Wüste ablösen und somit Russlands Raumfahrtprogramm unabhängig von anderen Staaten machen. Wostotschny liegt in einer wenig bewohnten Region, ist verkehrstechnisch aber besser erschlossen als Baikonur. Nachteil diesem gegenüber wäre die geringere Startlast der Raketen aufgrund der nördlicheren Lage.

Sieben Milliarden Euro soll der Bahnhof kosten, der erste Start ist bereits zum Jahresende vorgesehen. Allein, die Fertigstellung des Megaprojekts verzögert sich wohl, die Arbeiten sind hinter dem Zeitplan zurück. Der Startplatz ist laut Roskosmos erst zu 74 Prozent fertig.

Schon im vergangenen Herbst hatte Präsident Wladimir Putin "sehr viele Probleme dort" eingeräumt und wegen der astronomischen Korruption bei den Ausschreibungen mit der Einschaltung der Sicherheitsorgane gedroht. Doch auch danach bewegte sich nicht viel. Die Arbeiter traten in den Streik, weil sie teilweise monatelang nicht bezahlt wurden.

Erst als bei Putins TV-Audienz im April ihm ein Bauarbeiter das Leid klagte, wurde die Staatsanwaltschaft aktiv. Inzwischen hat sie 20 Verfahren wegen Verstößen gegen das Arbeitsrecht eingeleitet.

Laut dem für Rüstung und Raumfahrt zuständigen Vizepremier Dmitri Rogosin ist der Zeitrückstand beim Bau allerdings kein Problem: Er will im Sommer Studenten-Bautrupps zur Verstärkung schicken. Ähnliches gab es zuletzt in den 80er-Jahren, als Komsomolzen die Baikal-Amur-Magistrale bauten.

Wegen der zahlreichen Skandale geriet Rogosin, der in der Vergangenheit großmundig die eigenständige Mondkolonisierung bis 2030 und Marsexpeditionen angekündigt hat, unter Druck. Bislang hat der Vizepremier im Kreml noch Rückhalt. Spekulationen über Rogosins Rücktritt lehnte Putins Pressesprecher Dmitri Peskow jedenfalls vorläufig ab. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 2.5.2015)