Bild nicht mehr verfügbar.

Inbegriff eines Spornosexuellen: Cristiano Ronaldo.

Foto: AP Photo/Manu Fernandez

Lange waren es hauptsächlich Frauen, die sich mit unerreichbaren Schönheitsidealen konfrontiert sahen. Zunehmend betrifft das aber auch Männer: "Früher wurden Männer nach ihrem Intellekt und ihrer Funktion beurteilt", sagt Barbara Mangweth-Matzek von der Innsbrucker Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin. Das habe sich verändert: "Die Anforderungen der Gesellschaft laufen zunehmend über eine ästhetische Schiene. Und Männer reagieren."

Das merkt man auch an den Idealen, nach denen Männer trachten: Lange war vom "metrosexuellen" Mann wie David Beckham die Rede, der viel Wert auf sein Äußeres legt. Vor gut einem Jahr wurde dann der "spornosexuelle" Mann geboren. "Sporno" - das ist eine Mischung aus den Wörtern Sport und Porno. Angeblich wollen Männer aussehen wie eine Mischung aus Sportler und Pornostar. Verkörpert wird dieses Ideal zum Beispiel von Fußballspielern wie Cristiano Ronaldo, der sich bei jeder Gelegenheit sein T-Shirt vom Leib reißt um seinen muskulösen Körper zur Schau zu stellen.

Bezug auf Sexualität

Ist das nur ein Modewort? "Ich sehe in solchen Begrifflichkeiten mehr als nur Trends", sagt Corinna Fritz, Psychologin an der Salzburger Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Auffallend am Begriff "Spornosexualität" sei der starke Bezug auf die Sexualität und der exzessive Körperkult, der zunehmend zum Massenphänomen werde.

Vom Begriff "sporno" hat Mangweth-Matzek zwar noch nie etwas gehört, Männer würden aber immer öfter pathologisches Essverhalten entwickeln.

Das männliche Pendant zum weiblichen Schlankheitswahn ist für Mangweth-Matzek der Adonis-Komplex: Während Frauen meist mit Diäten nach Schlankheit streben, tendieren Männer eher zu Sport. Vom Adonis-Komplex Betroffene halten sich für zu schmächtig und trainieren exzessiv. So wie restriktive Diäten kann das der Einstieg in eine Essstörung sein, sagt die Expertin.

Trennung und Depression

Betroffene Männer würden beispielsweise extrem abnehmen oder unter Essanfällen leiden. Auch zu Anabolika und Steroiden würde gegriffen, um das Muskelwachstum zu stimulieren. Die Männer würden sich auch stark zurückziehen, weil sie nur noch Sport betreiben. Daher würden oft auch Beziehungen in die Brüche gehen. All das könne zu Depressionen führen.

"Wenn jemand in der Midlife-Crisis plötzlich mit Extremsportarten beginnt, dann kann häufig eine Pathologie entstehen", warnt Mangweth-Matzek. Das gesellschaftliche Problem: Während man mit Diäten Verdacht auf eine Essstörung erregt, erntet man für exzessives Sporteln stattdessen gesellschaftliche Anerkennung. Oft würde das Problem daher erst so spät erkannt, dass die Störung schon weit fortgeschritten ist. "Da kann man dann nicht mehr einfach mit einer kurzzeitigen Therapie helfen, weil die ganze Lebensführung der Betroffenen darauf abzielt."

Zurück zu "sporno": Aus entwicklungspsychologischer Sicht sind solche Etikettierungen gerade für Jugendliche relevant, sagt die Psychologin Corinna Fritz. Denn besonders im Jugendalter würden sich am Körper sehr rasche Veränderungen vollziehen, eine bewusste und umfassende Umstrukturierung des überholten Selbstbilds sei unumgänglich, sagt Fritz.

Kaum zu erreichende Ideale

Die Psychologin warnt vor "sehr überzogenen, kaum zu erreichenden Idealen", die Jugendliche anstreben: "So werden destruktive Entwicklungen gefördert." Denn aus Versuchen, einem muskelbepackten Ideal zu entsprechen oder durch das Scheitern daran, könnten Erkrankungen wie Depressionen oder eben der Adonis-Komplex entstehen.

Letzterer tritt zwar auch bei älteren Männern auf, sagt Mangweth-Matzek. Der Expertin fallen aber zunehmend junge Buben auf, die ins Fitnessstudio gehen: "Das finde ich auffallend, weil das Fitnessstudio nicht unbedingt ein Sport ist, den man mit jugendlichem Alter in Verbindung bringt." Dabei gehe es vielen darum zu zeigen: "Ich bin mit etwas unzufrieden und mache jetzt etwas dagegen."

Das sei per se nicht verwerflich - wie streng das Fitnessprogramm dann aber umgesetzt wird, hängt von der Persönlichkeitsstruktur ab: "Manche sagen: Okay, ich bin zufrieden damit, nicht wie Arnold Schwarzenegger auszusehen. Andere verlieren sich darin."

"Männliche Form von Anorexie"

Aus einem Adonis-Komplex kann beispielsweise eine Muskeldysmorphie, eine Störung des Selbstbilds, entstehen: Ohnehin schon muskelbepackte Bodybuilder fühlen sich zu schmächtig und zu klein und zeigen sich in Extremfällen nur noch mit mehreren Schichten Kleidung, um muskulöser zu erscheinen. Zehn Prozent der Wettkampf-Bodybuilder seien davon betroffen, schätzt Mangweth-Matzek: "Das ganze Leben dreht sich um den Aufbau von Muskeln. Das ist die männliche Form von Anorexie." Betroffene ernähren sich nur noch proteinreich, fettarm und hochkalorisch: "Diese Menschen gehen nicht mehr in ein normales Restaurant, weil sie eine ganz besondere Essenskomposition benötigen", sagt Mangweth-Matzek.

Wieviel Prozent der Männer an einem Adonis-Komplex leiden, ist laut der Expertin schwer zu sagen. Essstörungen bei Männern seien ein Tabu. Auch das Instrumentarium, um eine Essstörung überhaupt festzustellen, sei noch viel zu sehr auf Frauen ausgerichtet. In den letzten Jahren habe sich in dem Bereich viel getan, die Forschung müsse aber noch nachziehen, sagt Mangweth-Matzek: "Man könnte sagen, dass der Adonis-Komplex im Grunde ein Emanzipationsphänomen der Männer ist." (Franziska Zoidl, 9.6.2015)