Tim Mälzer im "Off Club" in Hamburg.

Foto: Bertold Fabricius

Tim Mälzer wurde 1971 im deutschen Elmshorn geboren. Nach seiner Kochlehre im Hotel Intercontinental in Hamburg arbeitete er unter anderem in London, wo er auch Jamie Oliver kennenlernte. Den Off Club in Hamburg hat er einem Freund abgekauft. Ursprünglich sollte das Restaurant "Fuck Off Club" heißen, was Mälzer so erklärt: "Wir machen einfach das, worauf wir Bock haben."

Foto: Bertold Fabricius

In kurzer Zeit so viel loszuwerden wie möglich – das zählt zu einer von Tim Mälzers großen Stärken. Und diese stellt er sowohl im Interview als auch bei seiner anschließenden Bühnenshow bei den "Chefdays 2015" Anfang Juni in Graz unter Beweis. Ans Aufhören denkt er noch lange nicht – ganz im Gegenteil.

Der bekannte TV-Koch hat erst vergangene Woche ein neues Restaurant, das Hausmanns, in Düsseldorf eröffnet. Das gleichnamige Lokal am Frankfurter Flughafen betreibt Mälzer ebenso sowie die Restaurants Bullerei und Off Club in Hamburg. Nun wagt sich der Gastronom und Koch nach Österreich. Im Wiener MAK eröffnet er im Herbst ein neues Restaurant.

STANDARD: Sie kochen im Restaurant, bei Shows, im Fernsehen – hat man da überhaupt noch Lust, sich privat an den Herd zu stellen?

Tim Mälzer: Privates Kochen ist das beste Kochen überhaupt. Manchmal gehe ich einkaufen und koche, obwohl ich gar keinen Hunger habe. Aber wenn ich meine Freundin oder meine Freunde beim Essen beobachte und sehe, dass sie es genießen, macht mich das unglaublich glücklich. Neulich war ich richtig gerührt, als ich für meine Freunde Hühnerfrikassee gekocht habe und sie hatten so einen guten Ausdruck im Gesicht beim Essen. Ich liebe es, wenn die Leute dann auch noch Essen einpacken und mit nach Hause nehmen. Ich bin kein Spitzenkoch. Aber ich bin ein guter Handwerker und kann mit Essen emotionalisieren. Das macht mir viel Freude.

STANDARD: Reicht es, ein guter Handwerker zu sein? Will man nicht auch irgendwann zu den Spitzenköchen gehören?

Mälzer: Für mich ist das nichts. Aber nicht, weil ich es blöd finde – meine Kollegen machen da einen richtig guten Job, und ich habe tiefsten Respekt – aber es ist eben nicht meines. Warum soll ich mich einem Ranking stellen? Das ist, wie wenn ich zu dir sage, was waren die zehn besten Sexabenteuer deines Lebens. Kannst du da ein Ranking machen? Wahrscheinlich nicht, weil jedes Einzelne geil war. Wozu ein Ranking für so etwas Emotionales machen? Einen Hundertmeterlauf kann man messen – Essen kann ich nicht messen. Entweder es schmeckt mir, oder eben nicht.

Der Off Club in Hamburg.
Foto: off club/joern pollex

STANDARD: Wie wurde eigentlich aus dem Koch Mälzer der Fernsehstar Mälzer?

Mälzer: Ich habe in einem Restaurant gearbeitet und hatte keine Speisekarte. Ich habe ja immer sehr spontan gekocht. Also musste ich viel mit den Gästen reden, und das kann ich ja bekanntlich ganz gut. Irgendwann bin ich dann einfach entdeckt worden.

STANDARD: Fragen Sie sich manchmal, ob Sie den richtigen Weg gegangen sind?

Mälzer: Klar, das frage ich mich immer wieder. Regelmäßig stelle ich mir aber auch die Frage, ob ich noch richtig unterwegs bin oder ob die Eitelkeit überwiegt.

STANDARD: Ist Eitelkeit so schlecht?

Mälzer: Na ja, die Frage ist, ob ich eitel bin, weil ich denke, dass ich so ein geiler Typ bin, oder weil ich was zu erzählen habe. Ich sitze einmal im Jahr mit meinen Managern zusammen, und wir stellen uns gemeinsam die Frage: Habe ich noch eine Aussage, oder bin ich nur noch ein Vermarktungsobjekt? Hier die Balance zu halten ist sehr schwer.

STANDARD: Wie reagieren Sie auf Kritik von Branchenkollegen?

Mälzer: Jeder soll das machen, was er gut findet. Ich habe noch nie gesagt, ihr seid doof, und ich bin gut. Wenn jemand meine Arbeit blöd findet, ist es völlig legitim – aber deshalb ist es nicht falsch. Da habe ich eine Tai-Chi-Mentalität. Ich habe schon beinahe jede Beschimpfung über mich gelesen. Wenn ich mir das zu Herzen nehmen würde, müsste ich mir eigentlich einen Strick nehmen. Natürlich tut das manchmal auch weh, aber für jeden, der mich nicht leiden kann, gibt es hoffentlich jemand anderen, der mich und meine Arbeit mag. Ich will die Menschen einfach begeistern – nicht für mich, sondern für das Thema Essen und Trinken.

Bild nicht mehr verfügbar.

Tim Mälzer im aufblasbaren Koch-Outfit auf einer Messe in Köln im Jahr 2007.
Foto: apa/carstensen

STANDARD: Sie werden oft als der deutsche Jamie Oliver bezeichnet – zu Recht?

Mälzer: Ganz und gar nicht. Wir sind befreundet und haben eine ähnliche Herangehensweise – wir ticken gleich. Ich habe aber meine eigenen Ansätze. Trotzdem muss ich mich nicht von Jamie differenzieren, denn das, was er macht, ist hervorragend.

STANDARD: Öffentlich setzen Sie sich immer wieder für bewusste Ernährung ein. Was genau läuft Ihrer Meinung nach falsch?

Mälzer: Wir leben in einer Überflussgesellschaft und können unser eigenes Handeln beeinflussen. Dafür brauchen wir aber Informationen. Ich versuche, diese Informationen so auf den Tisch zu legen, dass die Menschen selbst entscheiden können, was sie essen. Wenn du den Fokus verlierst, dich auf Ernährung zu konzentrieren, wird es schwierig. Ich bin in der glücklichen Lage, dass es mir finanziell gut geht und ich in der Öffentlichkeit stehe. So kann ich den Menschen bewusste Ernährung näherbringen.

STANDARD: Trägt die Ernährungsindustrie nicht auch ein bisschen mit Schuld? Sie selbst haben ja einmal behauptet, dass der Grad an minderwertigen Inhaltsstoffen in der Nahrung steigt.

Mälzer: Ich bin kein Schuldzuweiser. Es ist einfach eine Facette, die ich sehe. Am Ende des Tages zwingt mich natürlich niemand, etwas zu essen. Man muss den Bürger nur in manchen Bereichen schützen. Ich würde aber nicht die Industrie dafür verantwortlich machen, dass sich die Menschheit unbewusst ernährt. Sie soll sich nur ihrer Verantwortung bewusst sein – Transparenz ist dabei extrem wichtig. Ich trage ja bei der Produktauswahl auch eine Verantwortung meinen Gästen gegenüber. Auch wenn ich denke, dass 80 Prozent meiner Gäste den Unterschied wahrscheinlich nicht schmecken würden, nehme ich diese sehr ernst.

STANDARD: In der Spitzengastronomie beobachtet man immer wieder neue Food-Trends. Muss man das Essen immer neu erfinden?

Mälzer: Ja, das ist schon ein Phänomen. Aber schließlich braucht man auch etwas, worüber man schreiben kann. Ein Wiener Schnitzel wird irgendwann auch zu langweilig. Manche Dinge kommen und gehen, viele bleiben aber auch und prägen sich ein. Die Nouvelle Cuisine beispielsweise wird immer noch sehr negativ gesehen, obwohl sie so viel für unsere Ernährung, für unsere Technik und unser Produktverständnis getan hat.

STANDARD: Die nordische Küche ist im Moment sehr angesagt, wenn man auf die Speisekarten von Spitzenrestaurants schaut. Eigentlich ist die Idee ja recht simpel, oder?

Mälzer: Die nordische Küche hat sich eine eigene Identität verschafft, ähnlich wie die alpine Küche. Das finde ich gut. Du musst keine exotischen oder edlen Produkte mehr einkaufen, sondern kannst mit den Sachen arbeiten, die du hast. Manchmal muss man dann eben auch extreme Dinge machen, wie das zum Beispiel das "Noma" in Kopenhagen macht. Wenn die einfach nur Milchsuppe gekocht hätten, hätte wohl niemand darüber gesprochen.

Tim Mälzer in Aktion.
SAT.1

STANDARD: Im Herbst eröffnen Sie ein neues Restaurant im Wiener MAK. Wird die alpine Küche hier ein Thema sein?

Mälzer: Das wäre denkbar, aber darüber rede ich noch nicht. (grinst)

STANDARD: Einen Küchenchef gibt es schon. Kommt er aus Wien?

Mälzer: Ja klar. Das muss auch sein. Ich bin ja nur Gast in dieser Stadt und will mich hier nicht aufspielen. Ich muss die Stadt erst kennenlernen mit all ihren Facetten. Auf keinen Fall will ich hier irgendein Konzept reinpressen. Ich habe eine Idee, eine Vorstellung – die wird Entwicklungszeit brauchen.

STANDARD: Ist das Wiener Projekt jetzt das Trostpflaster für Ihr geplantes Restaurant Heimat in New York, das Sie nun doch nicht realisiert haben?

Mälzer: Ja, auch wenn New York nicht gestorben ist für mich. Im Moment ruht das Konzept aber. Ich bin dafür an einem Italiener in New York beteiligt.

STANDARD: Ist das nicht ein schwacher Trost? Wien kann man ja nicht wirklich mit dem Big Apple vergleichen. Was reizt Sie an der österreichischen Bundeshauptstadt?

Mälzer: Ich mag Wien einfach total gern. Ich stehe auf anstrengende Städte, Wien ist so eine Stadt. Die Menschen hier haben einfach Charakter und Persönlichkeit. Der spezielle Humor, der manchmal drüber ist, die Opulenz und der Hang zum Morbiden. Das gefällt mir. Ich denke, dass ich hier auch reinwachsen kann. In Berlin würde ich zum Beispiel niemals einen Laden aufmachen. Ich verstehe die Stadt einfach nicht. Bei Wien ist das anders.

STANDARD: Was können die Österreicher besser in der Küche?

Mälzer: Die Österreicher haben einfach einen größeren Respekt vor der Handwerksküche. Das ist ein Geschenk, das man bewahren sollte. Ich finde auch den Weg der alpinen Küche intelligent. Man braucht nicht an jeder Ecke ein Steak-Haus oder einen Sushi-Laden. Die Wirtshauskultur ist nicht durch, man muss sie nur neu definieren. Der Vorteil an Österreich ist außerdem, dass es keine großen Metropolen gibt und man sich auf das Wesentliche konzentrieren kann.

STANDARD: Welche Projekte stehen in nächster Zeit noch an?

Mälzer: Demnächst will ich eine Rock-'n'-Roll-Kneipe übernehmen, und es gibt auch wieder einige Fernsehprojekte, wie eine Sendung mit Spitzenkoch Tim Raue. Ich habe eben immer neue Projekte, weil ich so wahnsinnig begeisterungsfähig bin und keine Angst vor dem Scheitern habe. (Alex Stranig, Rondo, 25.6.2015)