Bild nicht mehr verfügbar.

In Österreich wird das Brustkrebs-Screening allen Frauen ab 40 empfohlen.

Foto: ap/FRANKA BRUNS

Das ist zu früh, meint EbM-Experte Gerald Gartlehner. Er nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

Foto: georg h. jeitler/donau-uni krems

Mammografie – die Röntgenuntersuchung der Brust – kann dazu beitragen, Todesfälle durch Brustkrebs zu verhindern: Gehen 1.000 Frauen 20 Jahre lang jedes zweite Jahr zur Mammografie, bewahrt das eine Frau vor dem Tod durch Brustkrebs. Einer optimistischeren Einschätzung bisheriger Studienergebnisse zufolge könnten bis zu fünf Brustkrebs-Todesfälle weniger möglich sein – wohlgemerkt in einem Zeitraum von 20 Jahren.

Lange hatte das österreichische Programm einen katastrophalen Ruf, denn es gab zu wenig sinnvolle Vorgaben und keine Qualitätskontrollen. Aufgrund von EU-Bestimmungen muss Österreich mit seinem neuen Brustkrebsscreening-Programm 2014 internationalen Entwicklungen folgen. Doch etwas ist schief gegangen.

Nein, es geht nicht darum, dass zu wenige Frauen eingeladen werden und alles zu bürokratisch abläuft. Es geht um die Empfehlungen an sich und darum, wie das neue System beworben wird. Doch erst einmal zu den Fakten.

Großes Risiko

Klar ist, dass Früherkennung wichtig und richtig ist: Krebs möglichst früh zu erkennen und zu behandeln ist entscheidend. Allerdings steht dem Nutzen auch ein großes Risiko gegenüber, denn die Ergebnisse der Röntgenuntersuchung liegen auch oft falsch: In mehr als acht von zehn Fällen liegt trotz auffälligem Mammografie-Befund kein Krebs vor. Die Folge: Angst, psychische Belastung und Nachfolgeuntersuchungen. Im schlimmsten Fall kommt es durch Überdiagnosen zu unnötigen Behandlungen, von der Operation bis zur Chemotherapie.

Da die Mammographie so oft zu einem anfänglich falschen Krebsverdacht führt, erhalten zwischen 200 und 250 von 1000 untersuchten Frauen im Laufe von 20 Jahren weitere Nachfolgeuntersuchungen. Bei 100 dieser Frauen wird eine Brustgewebs-Entnahme (Biopsie) vorgenommen – die in etwa der Hälfte der Fälle zu Entwarnung führen. Bis zu einer endgültigen Abklärung, ob nun Krebs vorliegt, vergehen mitunter aber Monate – ein Zeitraum, der nicht selten eine enorme psychische Belastung für die betroffenen Frauen mit sich bringt.

Bei zumindest fünf bis zehn Frauen führen diese Diagnose-Ungenauigkeiten zu einer Brustoperation, bei der Teile oder sogar die ganze Brust entfernt werden, obwohl sie eigentlich gesund sind. Oft kommt es bei diesen Frauen anschließend zu einer Nachbestrahlung, manchmal auch zu einer Chemotherapie.

Zu jung zur Früherkennung

Das Verhältnis von Nutzen und Schaden der Mammografie hängt stark vom Alter ab. Das Krebsrisiko steigt im Laufe des Lebens und ist zwischen 40 und 50 etwa halb so hoch wie zwischen 50 und 60. Zudem haben jüngere Frauen ein dichteres Brustgewebe, die Beurteilung der Mammografie-Bilder ist dadurch schwieriger und Fehldiagnosen sind häufiger.

Über den Nutzen der Mammografie wird intensiv diskutiert, die Studien dazu sind nicht besonders gut abgesichert. Jüngste Empfehlungen der WHO unterstützen qualitätsgesicherte, organisierte Mammografie-Programme, wie es sie seit 2014 eben auch in Österreich gibt.

In einem Punkt sind die Empfehlungen der WHO relativ eindeutig: Ein flächendeckendes Screening für Frauen unter 50 macht aufgrund der zu erwartenden Fehldiagnosen und Überbehandlungen keinen Sinn. Die WHO spricht sich sogar explizit gegen Screening bei Frauen unter 50 aus. Ausgenommen sind natürlich Frauen mit einem bekanntermaßen erhöhten Brustkrebsrisiko.

Österreichs sonderbarer Einzelweg

Warum wird im Fernsehen dann für Screening mit Mammografie ab 40 geworben? Weiß Österreich etwas, was der Rest der Welt nicht weiß? Oder umgekehrt?

"Große Studien haben gezeigt, dass Frauen zwischen 50 und 69 Jahren die beste Nutzen-Risiken-Bilanz bei Brustkrebs-Früherkennungsprogrammen mit Mammografie aufweisen. Diese Altersgruppe entspricht der Empfehlung der EU und wird in vielen europäischen Ländern umgesetzt", heißt es auf der Kampagnen-Seite frueh-erkennen.at.

Das Wissen gibt es also offensichtlich auch in Österreich. Doch dann geht es weiter mit: "In Österreich wurde jedoch nach eingehender Diskussion verschiedener medizinischer ExpertInnengruppen gemeinsam mit der Österreichischen Ärztekammer beschlossen, die Zielgruppe für das Brustkrebs-Früherkennungsprogramm weiter zu fassen, sodass Frauen ab 40 Jahren alle zwei Jahre die Früherkennungsuntersuchung kostenlos in Anspruch nehmen können."

Man weiß also um die Fakten, beschließt nur einfach, sich nicht daran zu halten. "Die Zielgruppe weiter zu fassen" klingt nach gutem Service, in Wirklichkeit bedeutet es, Frauen in einer Altersgruppe zu einem Programm zu schicken, für die der Schaden insgesamt vermutlich größer ist als der Nutzen.

Studienlage unklar

Zugegeben verwirrend. Zum Glück gibt es eine kostenlose Serviceline des österreichischen Brustkrebsfrüherkennungsprogramms, bei der uns gesagt wurde: "In Österreich wird aufgrund von Studien ab 40 Jahren Mammografie-Screening durchgeführt". Welche Studien? Das wusste man nicht, aber man wird zurückrufen. Jetzt warten wir und wahrscheinlich auch der Rest der Welt, der ab 50 empfiehlt, welche Studien Österreich nun kennt, die dem Rest der Welt bisher verborgen blieben.

Es ist nicht ganz einfach zu vermitteln, dass Vorsorgeuntersuchungen auch Schaden anrichten können. Die Vorstellung, dass es kein "zu viel" an Früherkennung geben könnte, hält sich hartnäckig, die oben beschriebenen negativen Folgen dringen kaum ins öffentliche Bewusstsein. Politik und das Gesundheitssystem hätten hier die Pflicht, intensiv und objektiv aufzuklären, gerade, weil es nicht ganz einfach ist. Mit der aktuellen Kampagne passiert genau das Gegenteil. (Gerald Gartlehner, 27.6.2015)