Die Sonne ist bereits untergegangen, aber hinter dem klimatisierten Flughafen wartet eine klebrige Hitze. Ich blicke in die Gesichter von zwei Dutzend Taxifahrern: "Yes mister, you need taxi?" Ali, kurze Haare und Bart, bietet mir die Fahrt nach Kairo für 250 ägyptische Pfund an. Ich sage hundert, er verlangt 130. Ich bleibe bei hundert und weise darauf hin, dass hundert Pfund das Doppelte dessen seien, was ein Ägypter für die 17 Kilometer ins Zentrum bezahlen würde – wir werden uns einig.

Am Rund in der Mitte des Kreisverkehrs standen einst die Zelte der Demonstranten. Was von der Regierung als Denkmal für die Revolution angekündigt wurde, endete in einer Fahne auf einem Metallmast.
Foto: Markus Schauta

Taxifahrt durch Kairo

Zum Iftar, dem Fastenbrechen bei Sonnenuntergang, hatte Ali nur eine Zigarette und Wasser. Ich bin für heute seine letzte Fahrt, dann geht es nach Hause zur Familie, wo ihn das erste Essen des Tages erwartet. In der Früh wird er ein weiteres Mal essen, bevor mit Anbruch der Dämmerung die Zeit des Fastens wieder beginnt. Wir rollen über den Asphaltbuckel bei der Ausfahrt des Flughafens. Ali zündet sich eine Zigarette an, dann tritt er aufs Gas und ich fühle mich wie vor einem dieser Spielautomaten aus meiner Kindheit, die man mit Münzen füttern musste, um in einem virtuellen Auto über eine Rennstrecke zu brettern. Ali rast über die Wüstenautobahn, überholt rechts und links, haarscharf zwischen zwei Autos hindurch – immer Vollgas.

"Warum bist du in Ägypten? Urlaub? Arbeit?", fragt Ali.

"Ich bin Journalist."

Die Häuser von Heliopolis ziehen an uns vorbei. Durch die 60er-Zone, wo alle hundert fahren, prescht Ali mit 120. Neuer Streckenrekord? Inschallah – so Gott will.

"In Ägypten lügen die Journalisten, weil sie von Parteien gekauft sind", sagt Ali. "Und die, die kritisch schreiben, werden verhaftet."

Wir rasen über die Flyover der Stadtautobahn, die sich durch das grau-braune Häusermeer schneidet. Ali gleitet durch den Verkehr, niemals muss er abrupt bremsen, kein Rückspiegel wird gestreift, wie der Nachbarsjunge, der immer die Bestenliste des Spielautomaten anführte.

"Wie ist das in Österreich?"

"Wir bemühen uns", sage ich.

Ein Muezzin schreit. Sein Ruf bricht sich in den Häuserschluchten – Kairo: laut, nervös, ruinös. Und dann: Der Nil, der hier bereits über 5.000 Kilometer zurückgelegt hat; bunt beleuchtete Feluken kreuzen auf dem dunklen Wasser; wir fahren über die Brücke zum Midan Tahrir, wo Tag und Nacht die Autos knattern und hupen. Das Taxi legt sich in die Kurve, dreht eine halbe Runde im Kreisverkehr und hält am Ostrand des Platzes, wo ein Metallgeländer die vierspurige Fahrbahn vom Gehsteig trennt. Ich wünsche ihm Ramadan Kareem und steige aus dem Taxi.

Einsames Hotel mit Geschichte

Das Hotel Ismailia befindet sich in einem der Hochhäuser, die den Platz an der Ostseite begrenzen. Vor dem Eingang döst der Bawab, im Stiegenhaus wartet ein Käfiglift. Ich drücke die Acht. Das Ismailia ist ein altes Hotel mit hohen Zimmern und Parkettböden. Die Möbel abgewetzt, die Bettbezüge verwaschen. Der Geruch der alten Möbel vermischt sich mit den Dämpfen des Putzmittels, mit dem das Hotel in Schuss gehalten wird.

Seit über 20 Jahren betreibt Ashraf das Hotel Ismailia am Midan Tahrir.
Foto: Markus Schauta

Ashraf, der Hotelbesitzer, lehnt am Empfangstresen. Im Schlüsselkasten aus Holz fehlen nur zwei Schlüssel. Auf dem Regal darüber stehen Taschenbücher auf Englisch, Italienisch, Französisch und ein Indien-Reiseführer – Strandgut aus Zeiten, als das Hotel noch gut besucht war.

"Wo sind die Gäste geblieben?"

Ashraf schüttelt den Kopf. Ein Japaner und ein Ägypter seien zurzeit im Haus, alle anderen Zimmer leer.

"Vor der Revolution war das Hotel immer ausgebucht. Vor allem Koreaner und Japaner kamen", sagt der 51-Jährige und schiebt mir ein Formular hin, auf dem ich Passnummer, Namen und Ankunftsflughafen eintrage.

"Seit 2013 warte ich, dass es besser wird." Aber das Gegenteil sei der Fall: Im Februar 2014 explodierte auf der Sinai-Halbinsel eine Bombe in einem koreanischen Touristenbus. Seitdem bleibt das Plakat hinter dem Empfangstresen, das auf Koreanisch eine Tauchschule am Roten Meer bewirbt, unbeachtet.

Es seien jetzt mehr ägyptische Gäste im Hotel, aber zum Überleben reiche es nicht. "Zurzeit muss ich große Teile der laufenden Kosten aus eigener Tasche bezahlen." Vom Mietgesetz aus den 40er-Jahren profitiert Ashraf nicht. Die Regierung Ägyptens beschloss damals ein Gesetz, das die Erhöhung von Mieten verbot. Gamal Abdel Nasser übernahm dieses Gesetz, die Mieten waren über Jahrzehnte auf dem Niveau der 40er-Jahre eingefroren. Trotz einer Gesetzesänderung in den 90er-Jahren blieben viele Mieten extrem niedrig – und die Hausbesitzer waren unwillig, beziehungsweise fehlten die finanziellen Mittel, notwendige Reparaturen an den Gebäuden vorzunehmen. So kommt es, dass die Familie im Stockwerk über dem Hotel gerade mal 20 ägyptische Pfund pro Monat, etwa 2,50 Euro, für ihr Apartment bezahlt. Hotels wie jenes von Ashraf sind von der Mietregelung jedoch ausgenommen.

Blick von der Rückseite des Hotels Ismailia auf Downtown Kairo.
Foto: Markus Schauta

Die schweren Polstersessel vor dem Empfangstresen sind auf den Fernseher ausgerichtet: Al Jazeera berichtet über den Krieg in Syrien. Durch die Balkontür blicken wir auf die Dächer der Stadt, wo Satellitenschüsseln wie Pilze wachsen. Wir unterhalten uns über das Revolutionsjahr, als ich zum ersten Mal im Ismailia abgestiegen bin. Im Jänner und Februar hatten sich Journalisten hier eingenistet, um von den Zimmern an der Vorderseite des Hotels die Vorgänge am Midan Tahrir zu filmen.

Die Preise für diese Balkonzimmer waren hoch und konnten sich mit denen vom Semiramis oder Hilton messen – das Geschäft lief gut für Ashraf. Doch irgendwann war auch der Militärgeheimdienst da und suchte nach den Kameras, die das Bluten und Sterben der Demonstranten am Tahrir aufzeichneten. Sie brachen die Türen der Zimmer auf, jede einzelne. Und die Journalisten mussten das Hotel verlassen.

Von meinem Zimmer an der Innenseite des Hotels aus nehme ich das Hupen der Autos am Midan Tahrir nur von der Ferne wahr. Durch das Fenster zum Lichtschacht dringt das Murmeln eines Fernsehers, das Quietschen und Rattern des Käfigliftes und die Schritte im Stiegenhaus, wenn der Lift wieder einmal steckengeblieben ist. Geschirr klappert, eine Klimaanlage brummt. Dann schlafe ich ein und träume von einem Autorennen durch Kairo. (Markus Schauta, 15.7.2015)