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Wenn Patienten nicht gut genug Deutsch sprechen, kann vom Arzt ein Videodolmetscher hinzugezogen werden.

Foto: APA/dpa / Soeren Stache

Wer einen Tag in der Spitalsambulanz verbracht hat, kennt das seltsame Schauspiel. Da steht ein Arzt vor einem Patienten, der sich ganz offensichtlich kaum auf den Beinen halten kann, spricht Ein-Wort-Sätze und gestikuliert wild. Da wird auf den Bauch gezeigt, werden Krankheitssymptome geschauspielert. "Es ist allerdings wirklich schwer, ein Ansteckungsrisiko mimisch darzustellen", sagt Bernd Lamprecht, Lungenfacharzt am Allgemeinen Krankenhaus Linz.

Es habe immer wieder einmal Verdachtsfälle von Tuberkulose in der Vergangenheit gegeben. Die Erkrankung ist ansteckend, Ärzte müssen wissen, mit welchen Personen derjenige Mensch, der in die Ambulanz gekommen ist, Kontakt hatte. Für eine Diagnosestellung ist ein Test ganz wichtig.

Das dauert, Patienten müssen bis dahin isoliert werden, alle Menschen rundherum tragen dann plötzlich Masken. "Wer nicht versteht, was passiert, ist vollkommen verunsichert", hat Lamprecht oft erlebt. Im vergangenen Jahr allerdings kaum. Auf dem Stützpunkt der Abteilung für Pulmonologie liegt ein Tablet-PC. Über diesen nimmt der Arzt mit der Zentrale der SAVD Videodolmetsch GmbH Kontakt auf, gibt an, welche Sprache der Patient spricht. Zwei Minuten später stellt sich auf dem Bildschirm ein Dolmetscher bei Arzt und Patient vor, sämtliche Verständigungsbarrieren sind überwunden.

Mit dem Tablet am Krankenbett

Das AKH Linz ist eine von zwölf medizinischen Einrichtungen, die am Pilotprojekt "Videodolmetschen im Gesundheitswesen" teilgenommen hat, eine Initiative der Plattform Patientensicherheit in Kooperation mit der Uni Wien und dem Fonds Gesundes Österreich. Initiator des Projektes ist Gerhard Aigner, Sektionschef der Abteilung für Recht und Gesundheitlichen Verbraucherschutz im Bundesministerium.

Vor zwölf Jahren hatte er seiner Tochter zugeschaut, die via Skype mit einer Mitschülerin eine Mathematikaufgabe löste. Warum diese Technologie nicht auch dort einsetzen, wo Hilfe mitunter lebensnotwendig sein kann, dachte sich Aigner und meinte damit Patienten.

"Der Schutz der persönlichen Integrität ist ein Menschenrecht und darf keine Frage der Herkunft sein." Zusammen mit der Juristin Maria Kletecka-Pulker von der Plattform für Patientensicherheit hat er zwölf Jahre an einer Umsetzung gearbeitet. "Wir haben ein funktionierendes System, das allen medizinischen Einrichtungen zur Verfügung steht. Das Problem ist, dass die Finanzen im Gesundheitswesen knapp sind und es darum geht, wer die Kosten für dieses Service übernimmt", sagt die Juristin.

"Es ist eigentlich immer so, dass Patienten und Ärzte gleichermaßen heilfroh sind, wenn wir uns zuschalten", kann Sanja Mitrovic berichten. Sie ist seit dem Start von Videodolmetsch 2014 mit im Team und übersetzt Bosnisch, Kroatisch und Serbisch. An einem heißen Sommernachmittag sitzt sie in ihrem Büro im 21. Bezirk, das wie ein Callcenter aussieht. Ihr Arbeitsplatz ist eine geschützte Koje, an deren Wänden anatomische Bilder hängen, ganz prominent ein Magen-Darm-Trakt.

Technologie zum Verständnis

Sanja Mitrovic ist eine von 21 Angestellten und ist auch für die Dienstpläne verantwortlich. Von 7 Uhr bis 19 Uhr sind innerhalb von zwei Minuten Dolmetscher für 18 Sprachen verfügbar, das garantiert Peter Merschitz, der Geschäftsleiter (CTO) von SAVD Videodolmetschen. "Viele von ihnen haben Bereitschaft und arbeiten von zu Hause", sagt er erklärend. Die große technische Hürde für dieses Projekt sei gewesen, das Internet-Übersetzungsservice so zu gestalten, dass es auf sämtlichen Computerplattformen garantiert störungsfrei funktioniert. Krankenhäuser, öffentliche Institutionen, niedergelassene Ärzte, die privaten Computer der Dolmetscherinnen: Das alles muss reibungslos ineinandergreifen.

Wer "Dolmetsch on demand" will, zahlt eine monatliche Grundgebühr plus ein nach Zeit gestaffeltes Gesprächshonorar. 15 Minuten Dolmetschen kostet 30 Euro. "Je mehr mitmachen, umso billiger können wir unser Service anbieten", sagt Merschitz, dessen Kunden auch Pensionsversicherungen, soziale Institutionen, die Justiz und das Arbeitsmarktservice sind. Auch deutsche Institutionen nutzen das Angebot. "Viele offizielle Stellen brauchen uns, um sicher zu sein, dass Gespräche verstanden werden", sagt Merschitz. Vor allem die Rechtssicherheit sei zunehmend ein Thema.

Angst vor Schadenersatz

Wer im Gesundheitssystem von Rechtssicherheit spricht, meint die Angst vor Schadenersatz. So wie der Fall eines 16-Jährigen, der mit einem komplizierten Oberschenkelbruch in ein Spital eingeliefert wurde und operiert werden sollte. Es gab keinen Dolmetsch, der Patient verstand Amputation statt Operation und verweigerte die Zustimmung.

Dann passierte etwas, das selten ist und in der medizinischen Fachsprache als Kompartmentsyndrom bezeichnet wird. Dabei steigt der Druck im verletzten Gewebe, die Durchblutung wird beeinträchtigt. Im konkreten Fall entwickelte der Patient eine Nekrose – und verlor dadurch sein Bein.

"Ein Fall, der durch das Videodolmetschen leicht zu verhindern gewesen wäre", sagt Kletecka-Pulker und fürchtet, dass erst der Druck durch die steigende Anzahl von Haftungsfällen dazu führen wird, dass sich mehr Ärzte und Spitalsbetreiber dazu entschließen, Videodolmetschen in Anspruch zu nehmen. Denn, und auch das ist allen am Pilotprojekt Verantwortlichen klar: Es gibt Vorbehalte.

Abgesehen von der Finanzierung gebe es im Gesundheitsbereich eine Scheu vor neuen Technologien. "Bei datenschutzrechtlichen Belangen waren wir ganz besonders streng und gewährleisten sämtliche Auflagen", beteuert Merschitz. Was er noch sagt: "Viele Verantwortliche im Gesundheitswesen denken, dass es ja auch bisher mit den Übersetzungen irgendwie funktioniert hat."

Gegen die Menschlichkeit

Wie das konkret aussieht, ist dem 146-Seiten-Bericht des Videodolmetschens zu entnehmen. Etwa die gängige Praxis, Reinigungspersonal für Übersetzung heranzuziehen, selbst um Patienten mitzuteilen, dass sie krebskrank sind. Auch Kinder müssen für ihre Eltern übersetzen. "Es ist schwierig, wenn ein Achtjähriger mit seiner Mutter kommt und wichtige gynäkologische Fragen zu Vergewaltigungen, Fehlgeburten und so weiter übersetzen muss. Wenn niemand anderer zur Verfügung steht, ist das die einzige Möglichkeit", wird eine Hebamme zitiert.

Solche Situationen hält Heinz Brock, medizinischer Direktor des AKH Linz, für gänzlich unzumutbar, auch für sein Personal. Ihm geht es beim Videodolmetschen um die Rechtssicherheit hinsichtlich medizinischer Interventionen, die seiner Überzeugung nach durch Laienübersetzer nicht gewährleistet ist.

Im AKH Linz können nicht nur Ärzte, sondern auch das Pflegepersonal das Videodolmetschen jetzt fix in Anspruch nehmen. "Die Kosten halten sich wirklich in Grenzen", kann er berichten und betont, dass vor allem die Zeitersparnis für ihn ein wichtiges Argument gewesen ist. "Wir hatten aber auch die technischen Voraussetzungen und das Okay von unserer IT-Abteilung", sagt Brock.

Technische Voraussetzung

Fürs Videodolmetschen brauche es keine Hightech-Ausstattung, betont Geschäftsleiter Peter Merschitz und führt das System in der Praxis des Gastroenterologen Friedrich Anton Weiser vor. Dessen Ordination im Ergeschoß der Wohntürme von Alt-Erlaa ist auf Darmkrebsvorsorge spezialisiert. Da geht es um Aufklärung, um Krankheitsfälle in der Familie und die Frage, was genau bei einer Gastroskopie passiert.

Damit Weiser im Darm entdeckte Polypen auch gleich entfernen darf und damit verhindert, dass sich bösartige Tumoren entwickeln, braucht er eine Einwilligung seiner Patienten. Und damit jene, die nicht gut genug Deutsch verstehen, eine informierte Entscheidung treffen können, rollt er ein Wägelchen samt Bildschirm ins Behandlungszimmer. Das ist auch der Grund, warum Dolmetscherin Sanja Mitrovic so detaillierte Bilder des Magen-Darm-Trakts über ihrem Schreibtisch hängen hat.

Weiser hat, als er beim Videodolmetschen einstieg, entsprechende Unterlagen zur Verfügung gestellt. Er will auf die Übersetzung jedenfalls nicht mehr verzichten, weil "Vertrauen ein roter Faden in meinem System ist". In den 30 Euro Kassahonorar pro Patient pro Quartal geht sich das Dolmetschen aber leider nicht aus, sagt er und ist gespannt, wie sich die Sache weiterentwickelt. "Es ist immer auch eine Frage, wie die Gesellschaft mit Migration umgeht", gibt Merschitz zu bedenken.

Tradition und Innovation

Das St. Anna Kinderspital hat viel Erfahrung im Umgang mit nicht deutschsprachigen Patienten und ihren Familien. Reinhard Topf, Leiter des Psychosozialen Teams, hat sich in seinem im vergangenen Jahr erschienenen Buch "Das krebskranke Kind und sein Umfeld" (NAP-Verlag) intensiv mit der Rolle des Dolmetschens auseinandergesetzt.

Im St. Anna Kinderspital sind die Dolmetscherinnen seit 20 Jahren Teil des psychosozialen Betreuungsteams. Wie Topf Live- und Videodolmetschen voneinander unterscheidet? "Bei entscheidenden Arztgesprächen ist Dolmetschen vor Ort insofern wichtig, als sich so auch menschlich wichtige Informationen besser kommunizieren lassen. Videodolmetschen ist eine Ergänzung zur bestehenden Struktur", sagt Topf und macht dem Berufsverband der gerichtlich beeideten Dolmetscher Freude, die das auch so sehen.

Sie kritisieren vor allem auch die Bezahlung, "ob stundenlanges Warten im Stand-by entsprechend abgegolten werden kann, ist fraglich", sagt Verbandspräsidentin Christine Springer. Der deutsche Berufsverband der Dolmetscher steht uns positiv gegenüber", kontert Merschitz und sieht es als Joboption für Dolmetscher.

Für Lungenfacharzt Bernd Lamprecht vom AKH Linz zählt der Nutzen im medizinischen Alltag. Videodolmetschen ist für ihn ein Werkzeug, um "Migranten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, zu verstehen". Sie sind in Österreichs Ambulanzen Realität. "Wenn es um Tuberkulose geht, ist dieses Service eine Maßnahme, die die gesamte Bevölkerung schützt", sagt er, und genau das sei seine Aufgabe als Infektiologe. (Karin Pollack, Cure, 19.9.2015)