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Krankenhauskeime sind eine brisante Herausforderung: Nur mit Hygiene und geschultem Personal lassen sie sich in den Griff bringen.

Foto: picturedesk / Michael Klein

Es gibt Tage, da wird Florian Thalhammer unruhig. Immer dann, wenn sich Lungenentzündungen und Harnwegsinfekte mehren. Da weiß er, dass sich Bakterien bei den Patienten ausbreiten. Als Leiter der Infektiologie an der Med-Uni Wien muss er eine Strategie finden, diese Keime im AKH zu bekämpfen. Früher konnte er auf eine große Auswahl an Antibiotika zurückgreifen, heute aber gibt es jene Tage, an denen jede Therapie versagt. Noch sind solche Momente äußerst selten. Aber sie hätten etwas Bedrohliches, so Thalhammer, denn sie zeigten: "Es gibt Bakterien, die die Medizin besiegt haben."

Seit geraumer Zeit beobachtet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Wandelbarkeit der Keime mit großer Sorge. Im letzten Jahr bereits prophezeite sie das postantibiotische Zeitalter. "Gewöhnliche Infektionen und kleine Wunden, die jahrzehntelang behandelbar waren, könnten künftig zur tödlichen Gefahr werden", warnte der stellvertretende Direktor Keiji Fukuda.

Österreich im internationalen Vergleich gut

Der kürzlich veröffentlichte britische Antibiotical Resistance Review geht von zehn Millionen Toten und 100 Billionen Euro Einbußen in der Weltwirtschaft bis 2050 aus. Diese unvorstellbar große Zahl von Betroffenen hat aus dem Nischenthema eine Angelegenheit mit weltpolitischer Größenordnung gemacht – selbst beim G-7-Gipfel beriet man, wie man den Kampf gegen die neu erstarkten Bakterien aufnehmen könnte.

"Nun ist Österreich nicht die Welt", sagt Thalhammer beschwichtigend. Nach Datenlagen steht man hierzulande vergleichsweise gut da. So wurde der von der Öffentlichkeit gefürchtete MRSA im Jahr 2013 lediglich bei etwa neun Prozent der Patienten nachgewiesen. Deutschland hingegen muss 20 Prozent infizierte Bevölkerung verkraften. Von den VREs – den Vancomycin Resistente Enterokokken – werden je nach Bakterium ein oder sechs Prozent diagnostiziert. In der USA liegt die Resistenzrate bei 50 Prozent.

Die Scheu vor der Meldung

Cornelia Lass-Flörl kennt diese Daten. "Geht man davon aus, ist Österreich gar nicht schlecht dran", bestätigt die Direktorin der Sektion für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie an der Med-Uni Innsbruck. Sie weiß, welche Frage sich jetzt anschließt: Kann man den Daten trauen? Jetzt wird es schwieriger. Das beginnt bereits bei der Erfassung normaler Krankenhausinfektionen. Dafür gibt es derzeit in Österreich nur wenige geeignete Systeme – und kein einheitliches Messsystem.

Die Uniklinik Innsbruck etwa liefert ihre Daten nach Berlin an das Referenzzentrum für nosokomiale Infektionen, während die Med-Uni Wien das Österreich eigene System ANIS einsetzt. "Und dann gibt es noch eine Reihe kleinerer Spitäler, die ihre Daten gar nicht veröffentlichen", sagt Lass-Flörl – aus Angst, wegen Hygienemängel in Verruf zu geraten. Bislang sei das Klima oft von Schuldzuweisungen geprägt, so die Innsbruckerin. Ein Spital, das sorgfältig Ausbrüche meldet, ist schneller gebrandmarkt als eines, bei dem die Verantwortlichen wegschauen. Ein fataler Fehler, der verstärkt wird, wenn ohne Sachkenntnis darüber öffentlich berichtet wird.

Krankenhauskeime nicht zwingend resistent

Da wird dann der "Krankenhauskeim" zum Synonym für gefährlich resistente Erreger. Obwohl die Krankenhauskeime nicht zwingend resistent sind und ihre resistenten Kameraden mitnichten nur im Spital auftreten. Mit Unbehagen etwa beobachten die österreichischen Behörden die Renaissance vergessener "Lustseuchen". Erkrankten 2009 noch 6,3 von 100.000 Einwohnern an Tripper, sind es inzwischen mehr als doppelt so viele. Penicillin, vor einigen Jahren noch die Standardtherapie, versagt bei etwa 80 Prozent der Keime.

Der Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) hat hingegen längst an Schrecken verloren. Mit Hygienemaßnahmen und neuen Antibiotika lassen sich die meisten Infektionen gut behandeln. An deren Stelle sind die 4MRGN-Erreger getreten: Bakterien, gegen die Ärzte so gut wie hilflos sind. Britische Frauen, die sich einer Schönheitsoperation unterzogen, schleppten sie aus Indien nach Europa ein. Deren tückischer Trick: Sie tauschen ihre Resistenzgene einfach mit anderen Bakterien aus. Auf diese Art wurden aus den harmlosen Darmkeimen lebensgefährliche Erreger.

Stoßrichtung und Strategie

"In Krankenhäusern werden solche Erreger richtig gefährlich", sagt Lass-Flörl. Da treffen sie auf geschwächte und kranke Menschen. So wie 2005, als Patienten MRSA in die Uniklinik Innsbruck brachten. Über gemeinsam benutzte Salben konnte sich ein Erreger verbreiten. "Um solche Krankenhausinfektionen zu verhindern, braucht es nicht nur neue Antibiotika, sondern geschultes Personal", fordert die Hygienefachärztin.

Konzepte, wie sich die Ausbreitung resistenter Erreger in Kliniken verhindern ließe, sind hinlänglich bekannt. Sie beruhen auf drei Säulen: Patienten testen, im Zweifelsfall isolieren und dann gezielt behandeln. Das Prinzip hat sich in den Niederlanden bewährt. Aber: "Jeder Patient mit resistenten Erregern ist mit einem erheblichen Mehraufwand an Arbeit und damit höheren Kosten verbunden", so Thalhammer. Wenn Patienten isoliert werden, dann müssen Pflegefachkräfte geschult sein, der Verbrauch von Einmalhandschuhen, Masken, Hauben und Mänteln steigt.

"Dass sich der Einsatz lohnt, wird erst nach einigen Jahren ersichtlich", so Thalhammer. Erst nach heftigen Diskussionen gelang es ihm und seinen Mitstreitern bei der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin, die Sonderfachausbildung zur Inneren Medizin und Infektiologie zumindest für die nächsten sieben Jahre abzusichern.

Unwissenheit von Ärzten

Die Experten plädieren seit Jahren, dass es künftig neben Krankenhaushygienikern auch klinische Infektiologen gibt. So ließe sich vor allem der fehlerhafte Einsatz von Reserveantibiotika vermeiden. Oft greifen Ärzte aus Unwissen zu Mitteln, die nur für einen absoluten Ernstfall reserviert sind – und verursachen so neue Resistenzen. Auch Schnelltestsysteme liefern rasche Analysen, welche Erreger und Resistenzen an einer Infektion beteiligt sind. "Bislang dauert es zwei bis drei Tage, bis klar ist, welcher erstarkte Keim sich im Patienten ausgebreitet hat – die aber können über Leben und Tod entscheiden", so Thalhammer.

Wie dramatisch Schnelltests die Verbreitung von Keimen verhindern können, zeigt der Umgang mit dem MRSA. Um ihn zu identifizieren, werden Patienten bereits vor dem Krankenhausbesuch routinemäßig untersucht. Innerhalb weniger Stunden kennen Ärzte und Pflegefachkräfte die Ergebnisse und können geeignete Maßnahme ergreifen. In Kürze, hofft Thalhammer, würden solche Screenings auch für die gefährlichen Darmkeime zur Verfügung stehen. (Edda Grabar, Cure, 16.9.2015)