Immer auf Trab sein: Mit Turnschuhen aus Hightechmaterialien.

Foto: KHM; Illustrationen: Sarah Egbert Eiersholt

Pheidippides ist eigentlich das beste Argument dafür, sich nicht zu bewegen. Der laufende Postbote soll 490 vor Christus von Marathon nach Athen gerannt sein, um den Sieg der Athener über die Perser zu verkünden. Als er die Agora in Athen erreichte, soll er "Nike", also "Sieg", geschrien haben und dann tot umgefallen sein.

Wenn es schon einem Profiläufer so geht, warum soll man sich bewegen, wie das die Ärzte ständig predigen? "Ganz einfach", sagt Josef Niebauer, Vorstand des Instituts für präventive und rehabilitative Sportmedizin an der Paracelsus-Universität Salzburg, "weil es das Leben enorm verlängert. Sie brauchen aber keinen Marathon zu laufen wie unser Sportsfreund Pheidippides, regelmäßiges Gehen reicht schon."

Diabetes, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall, ein vorzeitiger Tod – all das könne man zu einem Großteil vermeiden. "Irgendetwas ist in der Evolution schiefgelaufen. Die Menschen sind immer schon gegangen, aber irgendwann haben die meisten vorgezogen, zum Couchpotato zu werden."

Inneren Schweinhund überwinden

Schon 15 Minuten Spazierengehen pro Tag oder 90 Minuten pro Woche reichen aus, um vermutlich drei Jahre länger zu leben. Das zeigen Forscher aus Taiwan in einer riesigen Studie mit 416.175 Teilnehmern. Schon diese leichte Bewegung senkt das Risiko zu sterben um 14 Prozent, jede zusätzliche Viertelstunde um weitere vier Prozent.

Zwar ist die Studie nur eine Beobachtungsstudie, das heißt, die Probanden konnten sich so viel bewegen, wie sie wollten, die Forscher dokumentierten nur, wer krank wurde oder starb. "Die Kollegen haben aber Daten zu so vielen Teilnehmern über mehr als acht Jahre gesammelt, dass wir den Ergebnissen trauen können", sagt Niebauer.

Außerdem mehren sich die Hinweise. Dazu zählt etwa die Navigator-Studie von britischen Forschern mit 9306 Teilnehmern aus 40 Ländern mit erhöhtem Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten: Diejenigen, die 2000 Schritte pro Tag gingen, hatten ein um zehn Prozent geringeres Risiko, einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu bekommen oder daran zu sterben.

Schritte zählen

"Sportmuffel können schon von wenig Bewegung sehr profitieren", sagt Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel-Krankenhaus in Berlin. "Es sollte aber strammes Gehen sein. In Studien mit Schrittzählern glauben die meisten Leute, sie würden rasch gehen, in Wirklichkeit schlendern sie aber nur. Das bringt für die Gesundheit quasi nichts."

Oft würde er von seinen Patienten hören, sie hätten keine Zeit zum Gehen. "Das glaube ich einfach nicht", sagt Michalsen, "um ständig ins Smartphone zu tippen, haben die Leute doch auch genügend Zeit. Sie setzen einfach nur die falschen Prioritäten."

Das findet auch sein Kollege Niebauer. "Wir meiden Gehen, wo es nur irgendwie möglich ist, und tun so, als sei es etwas Ansteckendes. Nach einem zehnstündigen Flug etwa suchen alle sofort Rolltreppe oder Rollband, anstatt froh zu sein, endlich wieder gehen zu dürfen."

Jeder Schritt sei ein guter Schritt, jeder weitere noch besser. "15 Minuten zu gehen ist lächerlich wenig", sagt er, "wer das nicht schafft, soll halt weniger gehen. Das ist immer noch besser als gar nichts." Gehen ist eine kostenlose "Verjüngungspille" für den Körper ohne Nebenwirkungen.

Die guten Effekte

"Der Körper verbraucht Kalorien, er baut Muskeln auf und Fett ab und produziert dadurch weniger Insulin, was das Risiko für Diabetes senkt", erklärt Michalsen. Die Gefäße werden besser durchspült, schädliche Stoffe können sich so kaum in den Gefäßwänden ablagern und eine Arteriosklerose mit den Folgen von Herzinfarkt oder Schlaganfall verursachen.

"Außerdem steigt die Konzentration von Stickstoffmonoxid und die von Entzündungsbotenstoffen sinkt – ein weiterer Schutz vor Arteriosklerose", ergänzt Michalsen. Auch das Gehirn bekommt mehr Sauerstoff, wir werden wacher, kreativer und können uns besser konzentrieren. "Das ist ein Superschutz vor geistigem Abbau im Alter."

Gehen sei der Schlüssel zu längerem, gesünderem Leben, sagt Niebauer, und es sei so einfach, das in den Alltag einzubauen: "Je mehr, und wer kann, je steiler, desto besser.

Faulheit überlisten

Aber Hauptsache ist, man fängt an." Also weiter weg von Büro oder Wohnung parken und den Rest zu Fuß gehen oder mit dem Bus fahren und einige Stationen vorher aussteigen. "Beim Umwegefinden sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt", sagt Niebauer.

Urs-Vito Albrecht, Arzt und Informatiker an der Medizinischen Hochschule Hannover, hat noch einen anderen Tipp: "Schrittzähler-Apps können ziemlich motivieren." Die Apps zählen die pro Tag zurückgelegten Schritte, zeigen eine schöne Wochengrafik, berechnen nebenbei die verbrauchten Kalorien, und man kann sich ein persönliches Tages-Schritt-Ziel setzen. Hat man das erreicht, soll es sogar bei manchen Apps Konfetti regnen. "Ohne Grundmotivation wird das aber nicht funktionieren", gibt Albrecht zu bedenken.

"Außerdem wissen wir aus unseren Studien, dass die Leute solche Apps weniger benutzen, wenn der Effekt des 'neuen Spielzeugs', vorbei ist." Bewegung zur Normalität werden zu lassen, statt sich vor ihr zu fürchten, rät Niebauer. "Menschen meiden die Treppe, als sei sie eine Bedrohung, aber vor einer Rolltreppe fürchten sie sich nicht. Das muss umgekehrt sein: Die Treppe ist unser Freund, denn sie macht uns gesund."

Einige Historiker halten übrigens eine andere Geschichte des laufenden Postboten Pheidippides für wahr: Nach seinem Lauf von Marathon nach Athen soll er nach Sparta weitergelaufen sein und die 220 Kilometer in 48 Stunden zurückgelegt haben. (Felicitas Witte, Cure, 26.10.2015)