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Blick auf die Erde während des Cryogeniums: So hätte unser Planet gemäß der Hypothese vom "Schneeball Erde" ausgesehen. Forscher gehen heute aber eher davon aus, dass es ein "Matschball" war.

Illustration: picturedesk.com

Potsdam/Birmingham – Wer sagt, dass Langeweile schlecht sei? In der Frühgeschichte des Lebens begann vor etwa 1,7 Milliarden Jahren eine Phase relativer Stabilität, in der Entwicklungen nur langsam voranschritten. Diese Ära trägt daher die inoffizielle Bezeichnung "boring billion", obwohl sich in ihr immerhin die sexuelle Fortpflanzung entwickelt haben dürfte.

Schneeball Erde

Vor etwa 850 Millionen Jahren war es mit der Langeweile allerdings ohnehin vorbei – und die Erde trat allmählich in eine der katastrophalsten Phasen seit der Entstehung des Lebens ein. Das Zeitalter des Cryogeniums brachte eine starke Abkühlung mit sich, die in zwei Eiszeiten gipfelte, neben denen die Eiszeiten der jüngeren Vergangenheit verblassen: Zum einen hielten sie mit etwa 60 respektive 20 Millionen Jahren wesentlich länger an. Zudem war das Ausmaß der Vereisung bedeutend umfassender.

In den 90er Jahren wurde dafür der Begriff vom "Schneeball Erde" geprägt. Umstritten ist noch, ob damals tatsächlich die gesamte Erdoberfläche von den Polen bis zum Äquator von einer durchgehenden Eisdecke überzogen war, oder ob es in Äquatornähe eisfreie Refugien für das Leben gab. Zwei aktuelle Studien in "Nature Geoscience" befassen sich mit dem Schneeball Erde – eine mit seinem Beginn, eine mit seinem Ende.

Vom Anfang ...

Ein Team um Georg Feulner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung nahm den Beginn des Cryogeniums unter die Lupe. Als gesichert gilt, dass in dieser Ära die Kohlendioxidwerte in der Atmosphäre auf einen extrem niedrigen Stand sanken. Allerdings, so die Potsdamer Forscher, könnte ein biologischer Faktor ebenfalls im Spiel gewesen sein.

Und zwar hätten sich damals eukaryotische Algen in den Ozeanen in zuvor ungekanntem Ausmaß ausgebreitet. Starben diese ab, wurden ihre Zellen von Bakterien zersetzt und gaben organische Partikel in die Atmosphäre ab, wo sie zu Schwefelverbindungen oxidierten. Diese hätten als Kondensationskerne die Wolkenbildung verstärkt, was zur Abkühlung beigetragen habe – so zumindest das Resultat der Modellrechnungen, die die Forscher anstellten.

Es wäre dies der größte Eingriff des Lebens in das Erscheinungsbild der Erde seit der "Großen Sauerstoffkatastrophe" vor etwa 2,4 Milliarden Jahren gewesen. Damals produzierten Photosynthese betreibende Mikroorganismen so viel Sauerstoff, dass sie die Erdatmosphäre für immer veränderten.

... zum Ende

Wissenschafter der Universität Birmingham widmeten sich indessen dem Ende des Cryogeniums bzw. dem von dessen zweiter Eiszeit, die von 655 bis 635 Millionen Jahren vor unserer Zeit dauerte. Ihre Untersuchungen bestärken Vermutungen, dass die Erde zumindest am Ende des Cryogeniums eher ein "Matschball" mit eisfreien Regionen war.

Die Forscher untersuchten Felsformationen im norwegischen Svalbard, einer Region, die im Zuge der Kontinentalbewegung während des Cryogeniums gerade in Äquatornähe unterwegs war. Chemische Analysen zeigten, dass die Atmosphäre damals schon wieder recht hohe CO2-Werte hatte, angesammelt in erster Linie durch all die Vulkanausbrüche, die es auch während dieser langen Ära gegeben haben muss. Um aus der Vereisung wieder herauszukommen, brauchte es laut dem Team um Ian Fairchild aber einen zusätzlichen Faktor – und der dürfte in zyklischen Verschiebungen der Erdachse gelegen haben.

Mit dieser Bewegung wechselten in einem Rhythmus von etwa 20.000 Jahren die Regionen der Erdoberfläche, die mehr Wärme erhielten, einander ab: Gletscher schmolzen und ließen eisfreie Gebiete zurück, in denen sich Seen und Flüsse gebildet haben können – bis diese später wieder zu Gunsten anderer Gebiete bedeckt wurden. Das ganze System sei also nicht so starr gewesen wie gedacht, sondern habe ein gewisses Maß an Dynamik zugelassen. Es gab stets Refugien für das Leben, und die Erdoberfläche habe nicht in durchgehendem Weiß gestrahlt – eben ein "Matschball".

Startschuss für das Leben

Vor 635 Millionen Jahren schließlich ging die Phase der vorrückenden und sich wieder zurückziehenden Gletscher und mit ihr das Cryogenium zu Ende. Und die Erde verfiel in ein neues – diesmal aus unserer Sicht positives – Extrem: Mit der Erwärmung kehrte nicht etwa die Stagnation der "boring billion" zurück. Stattdessen nahm in der neuen Ära des Ediacariums das vielzellige Leben, das zuvor nur in zaghaften Ansätzen existiert hatte, einen vergleichsweise raschen Aufschwung und läutete eine neue Phase der Evolution ein. (jdo, 30. 8. 2015)