Zerbrechliches Familienglück, zart zusammengehalten durch Mamas kleine Helfer: Hedi (Laura Tonke), ihr Mann Uli (Hans Löw) und Sohn Finn (Leander Nitsche) beim gemeinsamen Schlammbad in Sonja Heiss' Angststörungs-Tragikomödie "Hedi Schneider steckt fest".

Foto: Polyfilm

Wien – Es macht Klick, und die Tür ist zu. Der Moment, in dem Andrea P.s Partner die Wohnung verlässt, ist für sie besonders schlimm. Jetzt wird real, dass sie allein ist und damit auch allein verantwortlich dafür, was in den nächsten zwei Stunden in ihrer Wohnung passiert.

Sie könnte einen Schlaganfall bekommen (also besser nicht die Türe zusperren?), aber vielleicht läuft dann eines ihrer drei kleinen Kinder hinaus auf den Gang? Und wie ist es überhaupt für die Zwerge, wenn sie ihre Mama beim Hyperventilieren beobachten müssen? Spätestens nach dieser Frage, die sie sich selbst immer wieder stellt, hat Andrea P. einen Puls von 180 und schweißnasse Hände. Sie leidet an einer Angststörung.

Zwanghafte Ängste, die immer wieder unkontrolliert auftreten und sich bis zu Panikattacken auswachsen können, nennt man so. Davon sind inzwischen ziemlich viele Menschen betroffen: Rund ein Viertel der Bevölkerung in der industrialisierten und digitalisierten Welt erkrankt einmal im Leben daran, bei Frauen ist es laut einer US-Studie die häufigste psychiatrische Störung (noch vor Depressionen), bei Männern immerhin die zweithäufigste (nach Alkoholmissbrauch).

Trotzdem zum Lachen

Nun ist das eigentlich ganz und gar kein Grund zum Lachen, doch ein Kinofilm zeigt, dass es trotzdem geht. Hedi Schneider steckt fest der deutschen Filmregisseurin und Autorin Sonja Heiss stellt sich dem Thema psychische Erkrankung so unaufgeregt, komisch und wahr, dass es eine echte Freude ist.

"Ich wollte zeigen, dass Angststörungen auch Menschen treffen können, die an sich keine ängstlichen Menschen sind", erklärt Heiss im Gespräch mit dem STANDARD. Die Hauptfigur Hedi Schneider ist eine witzige, attraktive Person, die mitten im Leben steht: Sie hat einen herzigen Sohn, einen liebevollen Partner und einen Job, der die Miete bezahlt. Sie lebt in einem hippen Stadtviertel, und ihr Lebensmodell lässt es zu, dass die ganze Familie auch noch vorübergehend nach Afrika ziehen wird. Ein solches Setting bricht mit vielen gängigen Theorien über Menschen mit psychischen Problemen.

Einschneidende Erlebnisse

Tatsächlich können Angststörungen jede und jeden treffen – und das zumeist auch für die Betroffenen völlig überraschend. "Wir haben es hier nicht mit einem eindeutigen Typus zu tun", erläutert die Psychiaterin Claudia Reiner-Lawugger.

Die Gründe für eine Angststörung können in der Lebensgeschichte zu finden sein. Doch immer öfter sind es auch einschneidende Lebenssituationen, auf die Menschen mit einer Angststörung reagieren. "Dazu zählen traumatische Erlebnisse, massive Stresssituationen, negative Erfahrungen am Arbeitsplatz oder auch die Geburt eines Kindes", sagt Reiner- Lawugger.

Besonderes Letzteres zählt zum Spezialgebiet der Psychiaterin. In ihrer Ambulanz für perinatale Psychiatrie im Otto-Wagner-Spital in Wien betreut sie Mütter mit postpartaler Depression. Viele dieser Frauen leiden auch an massiven Ängsten, die sie in ihrer Lebensqualität einschränken.

In dem Film Hedi Schneider steckt fest wird dieser Aspekt besonders sichtbar. Hedi funktioniert plötzlich nicht mehr. Sie kann ihrem Mann nicht mehr aufmerksam zuhören oder mit ihrem Kind spielen: "Ich muss einfach alle zehn Sekunden überprüfen, wie es mir geht", lautet ihre Begründung. Als ihr Mann sich nur einen Abend freinimmt, um auf eine Party zu gehen, geraten die Dinge aus den Fugen.

Auch Angststörungspatientin Andrea P. kennt dieses Problem. "In besonders schlimmen Zeiten kann ich nicht allein sein. Mein Partner muss sich dann um mich kümmern, fast wie um ein Kind. Das ist schlimm – für beide Seiten", erzählt sie.

Tatsächlich sind Angststörungen für das Umfeld der Erkrankten eine enorme Belastung. "Gerade schwere Fälle können sich als Beziehungskiller erweisen", gibt Reiner-Lawugger zu bedenken. In manchen Fällen kann es helfen, die Situation nach der Heilung paartherapeutisch aufzuarbeiten. Und auch für die Kinder ist die Situation alles andere als leicht. Der kleine Finn, Hedi Schneiders Sohn in Heiss' Film, ist sauer – ausgerechnet auf seinen Vater, der sich bemüht, das Leben der Familie einigermaßen zusammenzuhalten.

Kinder können ernsthaft Schaden an der Situation nehmen. "Wächst ein Kind in einem sehr ängstlichen Umfeld auf, wird es daran gehindert, seinem natürlichen Drang, die Welt zu erobern, zu folgen", erklärt Reiner-Lawugger. Später ist die Wahrscheinlichkeit für diese Kinder größer, selbst einmal an einer Angststörung zu erkranken.

Kontrollverlust

Angst scheint heute ein fixer Bestandteil unserer Gesellschaft zu sein. Der deutsche Soziologe Heinz Bude hat ein Buch dazu geschrieben. In Gesellschaft der Angst sieht Bude die Auflösung des handelnden Ichs etwa durch Beschleunigung und ununterbrochene Kommunikation in unserem Alltag geschehen.

Viele Feministinnen bringen die Ängste, die Frauen (und Männer) zunehmend plagen, auch mit den gewachsenen Ansprüchen an ehemals selbstverständliche Rollen in Verbindung. Auch Regisseurin Sonja Heiss ortet das Problem bei den neuen Ansprüchen in sämtlichen Lebensbereichen: "Dieses Ständig-glücklich-sein-Müssen, das kann schon frustrieren." Unser Lebensmodus jongliere permanent mit tausenden Möglichkeiten und lasse nur das Optimum als Ziel zu.

Auswählen können auch Angstpatientinnen und -patienten unter den zahlreichen Möglichkeiten, ihre Ängste in den Griff zu bekommen. Auch Andrea P. hat schon viel ausprobiert, wie sie dem STANDARD erzählt: autogenes Training, Sport, mehr Freizeit. Die Ängste seien dadurch jedoch nicht völlig aus ihrem Leben verschwunden. "Mit der Zeit und mit der Therapie lerne ich aber, sie nicht mehr so ernst zu nehmen", sagt sie heute.

Tiefere Einsichten

Auch in Hedi Schneider steckt fest tut sich nicht der eine Weg zur Heilung auf. Irgendwann geht es Hedi wieder besser, vermutlich, weil die Antidepressiva wirken. Doch ganz klar wird das nicht. Hier zeigt sich, dass Autorin und Regisseurin Heiss nicht nur einen Sinn für die komischen Aspekte der Erkrankung hat, sondern auch tiefere Einsichten in den Komplex Angst zu eigen sind.

Ihre eigene Angststörung, unter der sie Jahre vor ihrem Filmprojekt litt, ist irgendwann verschwunden – unter nicht eindeutig geklärten Umständen. (Ina Freudenschuss, 29.8.2015)