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Ein ewiges Problem: Ärztelatein in Patientendeutsch verwandeln.

Foto: picturedesk.com / TV-yesterday / Interfoto

Wien – Körperliche Angelegenheiten lesen sich schwarz auf weiß zum Beispiel so: "Akute Distension: in der flüssigkeitssensitiven Sequenz Nachweis eines ausgeprägten Knochenmarködems an der ventralen Zirkumferenz des Humeruskopfes." Selbst dann, wenn es um das eigene Schultergelenk geht, steigt ein medizinisch ungebildeter Laie bei der Lektüre seines Befundes nach einer Kernspintomografie aus.

Wer sich seine Beschwerden in verständlichem Deutsch erklären lassen will, kann sich an die deutsche Webplattform Washabich.de wenden. Dort werden Befunde jeder Art in verständliches Deutsch übersetzt. Kostenlos.

Die Idee dazu hatten drei Dresdner Medizinstudenten im Jahr 2011. "Eine Freundin bat mich, den Arztbrief ihrer Mutter zu erklären, die in Panik war, weil sie ihre Diagnose bereits gegoogelt hatte", erinnert sich Anja Bittner an die Geburtsstunde ihrer mit 40.000 Zugriffen pro Monat erfolgreichen Internetseite. Um jede Art von Missverständnis duch die Fehler, die durch Stille Post entstehen können, zu vermeiden, übersetzte sie den Arztbrief schriftlich.

Das Ziel: Patientendeutsch

Keine große Sache könnte man glauben, aber doch eine Dienstleistung, die im hiesigen medizinischen System fehlt. Je weniger Zeit Ärzte haben, umso mehr wird auf die Mitarbeit und die Mündigkeit von Patienten gedrängt. "Die medizinische Fachsprache mit ihren lateinischen Wurzeln und altgriechischen Elementen ist effizient und präzise, allerdings nur für die, die sie gelernt haben." Und warum, fragten sich die drei Studenten, sollte sich so ein Service nicht auch automatisieren lassen? Zusammen mit Ansgar Jonietz gründeten Anja und Johannes Bittner Washabich.de und luden Kollegen zum Mitmachen ein. Es funktionierte. Stets fanden sich Mediziner, die bereit waren, Befunde zu allgemein verständlichen Texten umzuformulieren.

"Für Studenten ist das eine gute Übung, sie lernen viel über Patientenkommunikation", sagt Anja Bittner. Insgesamt sind aktuell 1304 Mediziner von 41 medizinischen Fakultäten registriert, die sich die von Patienten eingeschickten Befunde zur Übersetzung herunterladen können. "Sie arbeiten ehrenamtlich, weil sie von dieser Arbeit rein erfahrungstechnisch profitieren", sagt Ansgar Jonietz, der Dritte im Bunde des Gründerteams von Washabich.de.

Wer neu als Übersetzer einsteigt, bekommt Unterstützung von erfahrenen Teammitgliedern, zusätzlich arbeiten für knifflige Fragen Ärzte im Hintergrund. Durchschnittlich dauert eine Befundung zirka zwei Tage. "Wir beschränken uns streng auf die Fakten und mischen uns in keine ärztliche Entscheidung, etwa Operationen oder Medikamente betreffend, ein", so Jonietz. Das sei auch der Grund, warum es in den vier Jahren seit der Gründung niemals Probleme gegeben habe. Im Gegenteil: Die deutschen Ärzte und Krankenkassen unterstützen das Projekt, weil es Ängste nimmt.

Tumor: Ein neutraler Begriff

"Steht Tumor in einem Befund, sind die Patienten meist sofort in Panik", erzählt Anja Bittner, "weil sie nicht wissen, dass Tumor für einen Mediziner erst einmal ein neutraler Begriff ist, der ein raumnehmendes Gewebe bezeichnet und noch nichts über die Gut- oder Bösartigkeit aussagt." Die Fülle medizinischer Informationen im Internet würde fast immer zu einer Verstärkung der Panik beitragen, weil – ohne sich dessen bewusst zu sein – Informationssuchende in Angst mit ein paar Klicks schnell bei den Todesstatistiken ankommen, obwohl es sie möglicherweise gar nicht betrifft.

Warum die Schriftlichkeit wichtig ist: Ärzte erklären sehr wohl Diagnosen, aber oft sind Patienten damit zu überfordert, als dass sie die Information und ihre Bedeutung überhaupt verinnerlichen können. Rund 150 Anfragen pro Woche werden derzeit beantwortet. Wer seine Befunde einsendet, soll Namen und Krankenhaus schwärzen und damit für die eigene Datensicherheit sorgen. Die Anfrage erscheint dann auf einer Liste, aus der sich die Mitglieder des Beantwortungsteams Fälle selbst auswählen können. Auch ein paar Österreicher machen mit.

"Plötzlich" statt Panik

"Je seltener eine Erkrankung, umso länger kann eine Beantwortung dauern, weil wir dann selbst Spezialisten suchen", sagt Jonietz, während Anja Bittner über die Crux mit den Abkürzungen erzählt: Sie seien nicht einheitlich, im Zweifel würde mit dem behandelnden Arzt Rücksprache gehalten. Einige Abkürzungen seien auch zweideutig. "Z.n. HWI" könne "Zustand nach Hinterwandinfarkt" oder "nach Harnwegsinfekt" bedeuten, sei aber meist aus dem Kontext verständlich. Und "akut", ein Wort, das beim Lesen Panik auslöst, bezeichnet im Medizinersprech lediglich "plötzlich".

Die Washabich-Übersetzung der eingangs erwähnten Kernspintomografie umfasst fünf DIN-A4-Seiten. Der Empfänger bekommt genaue anatomische Erläuterungen (mit Zeichnung) und eine Erklärung, was ein Kernspintomograf macht. Das Ergebnis: Der Patient hat sich die Schulter ausgekugelt. Klingt so, als ob es bald wieder gut werden könnte. (Karin Pollack, 5.9.2015)