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Bei Alzheimer-Kranken sammeln sich giftige Eiweißklumpen im Gehirn an, die die Nervenzellen schädigen.

Foto: Reuters/ DENIS BALIBOUSE

London – Im Vorjahr warnten Neuromediziner davor, dass bei bestimmten medizinischen Eingriffen ein Alzheimer-Übertragungsrisiko nicht auszuschließen sei. Aus Tierversuchen gebe es Hinweise für eine mögliche "Ansteckung" mit der Krankheit, sagte etwa der Münchner Neuropathologe Armin Giese bei größten deutschsprachigen Fachkongress "Neurowoche".

Britische Forscher gehen nun einen Schritt weiter. Sie berichten im Fachmagazin "Nature", dass bei medizinischen Eingriffen am Gehirn Alzheimer-typische Eiweiße auf gesunde Menschen übertragen werden könnten. Ihre These stützen sie auf die Untersuchungen an Verstorbenen, die zur Behandlung von Kleinwuchs verunreinigte Wachstumshormone aus menschlichem Gewebe erhalten hatten.

Ob die früh verstorbenen Patienten jemals Alzheimer bekommen hätten, ist allerdings unklar. Ein weiteres, typisches Merkmal der Erkrankung – die Ablagerungen von sogenannten Tau-Proteinen – fanden die Wissenschafter nicht. Sie gehen davon aus, dass einige der Hormon-Spender an Alzheimer erkrankt waren. Durch die Übertragung der Hormone gelangten bestimmte Eiweiße in den Körper der Empfänger. Sie lösten dort Alzheimer-typische Veränderungen im Gehirn aus. Bei der Pflege oder dem Umgang mit Alzheimer-Patienten bestehe aber keine Gefahr einer Ansteckung, betonen Experten.

Plaques nachgewiesen

Die Forscher um Zane Jaunmuktane vom National Hospital for Neurology and Neurosurgery in London untersuchten Patienten, die an der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJD) – eine Gehirnerkrankung, bei der es in kurzer Zeit zum Verlust der Gehirnfunktionen kommt – gestorben waren. Sie hatten meist als Kind Wachstumshormone aus den Hirnanhangdrüsen Verstorbener erhalten, die vermutlich mit Prionen verunreinigt waren.

Prionen bestehen aus Eiweißmolekülen, die auch im Gehirn gesunder Menschen vorkommen. Unter gewissen Umständen verändern sie ihre Form. Diese Fehlfaltung kann dann wie in einer Kettenreaktion auf die gesunden Eiweiße übertragen werden. Sie verklumpen, lagern sich im Gehirn ab und rufen die CJD-typischen Symptome hervor.

Die Wissenschafter untersuchten acht dieser Patienten, die im Alter zwischen 36 und 51 Jahren an CJD gestorben. Die Forscher entdeckten in ihrem Gehirn neben den CJD-Indikatoren auch Ablagerungen von Amyloid-ß-Eiweißen in den Blutgefäßen und in der grauen Hirnsubstanz. Diese Plaques sind typische Kennzeichen von Alzheimer und bei jüngeren Menschen sehr ungewöhnlich. Bei Patienten, die an anderen Prionen-Erkrankungen verstorben waren und die zuvor keine menschlichen Wachstumshormone erhalten hatten, entdeckten die Forscher keine derartigen Auffälligkeiten.

Domino-Effekt

Aus diesen Beobachtungen leiten die Forscher folgende Hypothese ab: Einige der Spender der Hirnanhangdrüsen, aus denen die verabreichten Wachstumshormone gewonnen wurden, hatten Alzheimer. Dadurch konnten Amyloid-ß-Eiweiße auf den Empfänger der Hormone übertragen werden. Im Gehirn sorgten sie über einen Domino-Effekt für die Fehlfaltung körpereigener Amyloid-ß-Eiweiße, die typisch für Alzheimer sind. Die Amyloid-ß-Eiweiße würden sich damit ähnlich wie Prionen verhalten.

Die Ablagerung sogenannter Tau-Proteine – ein weiteres Alzheimer-Anzeichen – war jedoch nicht zu beobachten. Womöglich hätten die Patienten diese aber entwickelt, wenn sie nicht zuvor an CJD verstorben wären, schreiben die Wissenschafter.

Kein Grund zur Panik

Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Alzheimer-Erkrankung an sich ansteckend ist, betonen die Forscher. Dennoch sollte geprüft werden, ob bei medizinischen Eingriffen, etwa über chirurgische Instrumente oder Blutprodukte, Amyloid-ß-Eiweiße übertragen werden können. Es sei bekannt, dass diese Eiweiße an Metalloberflächen haften bleiben und übliche Sterilisationsmethoden überstehen.

Um die Ergebnisse zu untermauern, sollten eventuell noch vorhandene Reste der Wachstumshormone darauf getestet werden, ob sie Amyloid-ß-Eiweiße enthalten, schreiben Mathias Jucker von der Universität Tübingen und Lary Walker von der Emory University in Atlanta (US-Bundesstaat Georgia) in einem Kommentar zu der Studie. Außerdem sei es nötig, die noch lebenden Empfänger weiter zu beobachten und zu prüfen, ob sie ein erhöhtes Risiko für Alzheimer tragen. Bisherige Untersuchungen lieferten keine Hinweise darauf.

Zusammenhang mit CJD unwahrscheinlich

Die Studie der britischen Forscher sei schlüssig und bestätige weitgehend die bisher in Tierversuchen gewonnenen Erkenntnisse zur Übertragbarkeit von Amyloid-ß-Eiweißen, urteilt Armin Giese vom Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Es ist aus meiner Sicht eher unwahrscheinlich, dass die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit die Alzheimer-Pathologie verursacht hat. Denn bei CJD-Patienten, die diese Wachstumshormone nicht bekommen haben, sieht man keine Häufung von Alzheimer-typischen Veränderungen."

Die Studie liefere einen weiteren Beleg dafür, dass die Verklumpungsprozesse unter sehr speziellen Bedingungen übertragbar sind. "Man muss sich nun darüber Gedanken machen, welche Risiken damit zusammenhängen und wie sich diese verhindern ließen", sagt Giese. (APA, dpa, red, 10.9.2015)