Der Aufzug von großen E-Sport-Turnieren ist heute so professionell wie bei traditionellen Sportarten. Die hoch dotierten Finals der Meisterschaften füllen Arenen und genießen ein Millionenpublikum über Live-Streams.

Foto: ESL One Cologne
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Monatelanges und mehrstündiges tägliches Training in Spieler-WGs gehört dazu, will man an der Spitze mitmischen.

Foto: League of Legends Worlds
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Moderatoren kommentieren die Matches live und analysieren die Spielzüge. Seit einiger Zeit bieten manche Veranstalter auch Kommentare für nicht so versierte Zuschauer an.

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Foto: Dota 2 The International
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Einer der aktuell erfolgreichsten E-Sportler ist Sumail Hassan mit nur 16 Jahren. Das durchschnittliche Austrittsalter aus der aktiven Karriere liegt bei 25 Jahren. Die körperlichen Anforderungen sind bei einigen Hundert APMs, also Aktionen pro Minute, im Spiel enorm hoch.

Foto: Dota 2 The International

Sumail Hassan kann zufrieden sein. Gerade hat der 16-Jährige über 1,3 Millionen Dollar gewonnen. Der Grund dafür ist der Gewinn eines Sportturniers. Sumail spielt aber weder Golf noch Fußball, sondern ein Computerspiel namens "Dota 2". Er gehört damit zum erlesenen Kreis jener Spieler, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben. Ein boomender Markt, der immer mehr Stars, Sponsoren und eine der größten und florierendsten neuen Sportarten hervorbringt: E-Sport.

Sumail ist in Pakistan aufgewachsen. Der damals Achtjährige flüchtete aus der tristen Realität gerne in Internetcafés, wo er seine Liebe für Computerspiele entdeckte. Sogar sein Fahrrad verkaufte der Junge, um sich mehr Zeit vor dem PC leisten zu können. Die bunten Figuren auf dem Bildschirm faszinierten ihn, und er merkte schnell, dass er Talent hatte, seine Finger flink über die Tastatur zu jagen und die Maus als verlängerten rechten Arm zu nutzen. 2013 zog seine Familie in die USA, wo der Profi-Verein Evil Geniuses in einem kleinen Turnier auf Sumail aufmerksam wurde und ihn unter Vertrag nahm.

Sumail sollte professionell E-Sport betreiben – in organisierten und kompetitiven Wettbewerben um Preisgeld spielen. Bis zu 18 Stunden tägliches Training warteten ab da auf einen der jüngsten Pro-Gamer in einer WG, die nur aus Jungs wie ihm bestand. Ex-Spieler, das durchschnittliche Austrittsalter liegt bei 25 Jahren, trainieren die Talente, machen sie auf Schwächen aufmerksam und formen so Gemeinschaften für jene Games, die nicht alleine, sondern in Teams bestritten werden. "Dota 2" zum Beispiel, eben jenes Spiel, das den E-Sport-Hype vor knapp zwei Jahren mit ausgelöst hat.

Anfänge in der Nische

Schon 1972 duellierten sich Studenten der Stanford University begeistert in einem der ersten Videospiele überhaupt: Spacewar. Der Sieger bekam damals ein Jahresabo des Rolling Stone-Magazins. Größer wurde die Szene Anfang der 80er-Jahre, als Atari erstmals die Space Invaders Championship abhielt und mit über 10.000 Spielern das erste Mal das Wort Mainstream mit Computerspielen in Verbindung brachte. Verfolgen konnte man diese Events damals noch sehr unspektakulär, wie Stefan Baloh, Präsident des E-Sport Verband Österreich, weiß: "In den Anfangszeiten verfolgte man Spiele über einen textbasierten Chat (IRC). Ein Bot las den aktuellen Serverlog aus und postete die Ereignisse. Das war’s, bewegte Bilder gab es nicht." Eine Situation, die an die 50er-Jahre erinnert, wo man Sportmatches meist noch im Radio mitverfolgte.

Einträge ins Guiness-Buch der Rekorde folgten, unter anderem mit Bestleistungen in den Spielen Pac-Man und Donkey Kong. Als erstes Online-Sportspiel nannte das Wired-Magazin 1993 das Ballerspiel Netrek. Bis zu 16 Spieler konnten sich dabei duellieren. Ein Meilenstein. Einen weiteren Boom brachten die Anfang der 2000er veranstalteten LAN-Partys, bei denen jeder Teilnehmer seinen eigenen PC und Röhrenmonitor zum Event tragen musste, um dort mit Gleichgesinnten "StarCraft", "Counter-Strike", "WarCraft 2" oder "Quake" zu spielen. Trotz dieser Hürden entwickelte sich diese Subkultur zu einer regelrechten Strömung. Nicht nur deshalb, weil auf einmal T-Shirts mit Aufdrucken wie "Wer ist dieser LAN und war-um macht er so viele Partys?" hip waren, sondern weil das gemeinsame Spielen immer mehr junge Menschen faszinierte.

Trotz ähnlicher Voraussetzungen entwickelten sich die weltweiten Märkte sehr unterschiedlich. Während man in Asien schnell das Potenzial von E-Sport erkannte und große Firmen auf den Zug aufsprangen, verschlief Europa diese Entwicklung lange Zeit. "Im asiatischen Raum hat E-Sport einen ganz anderen Stellenwert als z.B. in Österreich", so Baloh. "Die besten Spieler werden dort wie Popstars verehrt, und E-Sport kann in diesen Ländern als Beruf ausgeübt werden. In Europa war es lange Zeit nur eine Alternative zu einem Studentenjob. Hier geschah das Umdenken erst in den letzten Jahren."

Aufstieg zum Massensport

So bieten Teams in Deutschland und Schweden Spielern erst seit wenigen Jahren ein professionelles Umfeld. Dazu gehört ein schneller PC genauso wie regelmäßige Trainingseinheiten und tägliches Lernen. Die meisten Pro-Gamer beginnen mit dem Spielen zu Hause oder in den in Asien populären PC-Bonds. Dort stehen dutzende Rechner nebeneinander, die stundenweise gemietet werden. Statt in Clubs treffen sich Jugendliche in Korea hier, um gemeinsam zu zocken und besser in ihrem Hobby zu werden, denn immer mehr versprechen sich Ruhm und Geld von einer Karriere als Profispieler. Laut Marktforscher superdataresearch umfasst die E-Sport-Community global mittlerweile rund 134 Millionen Menschen und generierte allein 2015 einen Umsatz von über 600 Millionen Dollar. Sponsoren wie Red Bull oder Samsung investieren pro Jahr rund 100 Millionen Dollar in eigene Teams und Veranstaltungen. Amazon kaufte mit Twitch, den größten Streamingdienst für professionelles Gaming für eine Milliarde Dollar.

Ein Wachstum, das nicht von großen Firmen allein getragen wird. Das bisher höchstdotierte Turnier, die "Dota 2"-Meisterschaft The International 2015 bot über 18 Millionen Dollar an Preisgeld. Veranstalter Valve steuerte nur rund 1,2 Millionen Dollar bei. Den Rest spendierten Spieler, indem sie Zusatzinhalte fürs Spiel kauften und einen Teil des Kaufpreises dem Preisgeld widmeten. Dementsprechend euphorisch kann man sich die Stimmung in dem 17.000 Fans fassenden Stadion in Seattle vorstellen, in dem das Finale im August ausgetragen wurde. 27 Millionen Menschen verfolgten das Event online.

Bei all dem Trubel vergisst man gerne, dass der Erfolg dieser Bewegung schon einmal auf der Kippe stand. Hersteller wollten die von Verbänden veranstalteten Turniere monetarisieren. Hersteller Blizzard verlangte, dass Turniere zu "StarCraft 2" nur per Lizenzgebühr ausgetragen werden dürfen, was nach einem Spieleraufschrei jedoch verworfen wurde. Diese Abhängigkeit des E-Sports von den Spielherstellern bleibt jedoch ein Problem. Thomas Schned, Eventveranstalter in Österreich, erklärt die Situation: "Natürlich besteht das Risiko, dass Hersteller ihr Game links liegen lassen, sobald es sich nicht mehr finanziell lohnt. Und ohne Erlaubnis der Hersteller gibt es keine Turniere. Und mit schwindendem Zuschauerinteresse sinken die Anzahl der Turniere und Investitionen der Sponsoren. In der Folge lösen sich Teams auf, Spieler beenden ihre Karriere, und Kommentatoren wechseln zu anderen Spielen."

Bevor es dazu kommt, werden Events jedoch genutzt, um Spiele populär zu halten. "Hersteller haben großes Interesse an starken Seherzahlen. Die Förderung von Communitys zahlt sich für sie aus, und regelmäßige Berichterstattung rund um Turniere bringt die Spieler öfter zurück ins Spiel", sagt Schned. Um die Reichweite zu maximieren, setzen viele E-Sport-Titel daher auf das Free2Play-Modell, um die Einstiegsschwelle niedrig zu halten und langfristig durch In-Game-Verkäufe zu profitieren.

Massenphänomen E-Sport in Zahlen
Foto: DER STANDARD / Wolfram Leitner

Der Sportsgeist zählt

Doch wie mittig ist E-Sport durch solche Maßnahmen nun wirklich in unserer Gesellschaft angekommen? Die Hürde, als Normalsterblicher ein Match in Spielen wie "League of Legends" zu gewinnen, bleibt weiterhin. Das Fachvokabular überfordert mit unzähligen neuen Begriffen und Abkürzungen. Veranstalter haben das bereits erkannt und stützen die Übertragungen mit professionellen Kommentatoren, die für ein Grundverständnis beim Zuseher sorgen sollen.

Ein anderer Trend sind sogenannte Barcrafts, entstanden aus der Idee, "StarCraft"-Matches in Bars gemeinsam mit Freunden anzusehen, wie etwa das Champions-League-Finale im Fußball. "Veranstaltungsorte in Bars bieten die Chance, mit anderen Fans in Kontakt zu kommen, und machen die Communitys sichtbar. Zu großen Matches kommen über 200 Besucher. Ich sehe es als eine Frage der Zeit an, bis sich fixe E-Sport-Bars auch hierzulande etablieren", so Schned. Berührungsängste brauche man nicht zu haben: E-Sport-Fans sind freundlich und erklären Neulingen gerne die Grundregeln. Am Ende geht es eigentlich auch nur darum, wer gewinnt, darum, wer die Nerven behält. So ist E-Sport, aus der Nische kommend und zum neuen professionalisierten Massenphänomen aufsteigend, Fußball und Co näher, als es so manche Außenstehenden heute vielleicht noch vermuten würden. (Alexander Amon)

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