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Gezielte Inaktivierung von SMYD3 bremst die Entwicklung von Krebszellen. Ziel einer Studie war es, eine Substanz zu finden, die exakt zum aktiven Zentrum des SMYD3-Moleküls passt.

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Bei der Suche griffen die Forscher auf existierende Datenbänke mit Strukturmodellen von insgesamt 300.000 verschiedenen chemischen Verbindungen zurück.

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Heidelberg – Sein Name lässt nicht wirklich Böses erahnen. SMYD3, ein im menschlichen Körper vorkommendes Enzym, ist ein Eiweißmolekül mit seltsamer Wirkung. Als Bestandteil eines RNA-Polymerase-Komplexes spielt es eine noch nicht genau geklärte Rolle beim Transkriptionsprozess – dem "Ablesen" von Genen zur Einleitung der Proteinsynthese. Doch bisherigen Erkenntnissen zufolge interagiert SMYD3 vor allem mit Histonen. Und das hat mitunter weitreichende Folgen.

Histonen sind Proteingebilde, die praktisch wie Spulen dem Aufwickeln von DNA dienen. So lässt sich das Erbgut stabil in Form von Chromatin packen. In diesem Zustand sind die Gene inaktiviert. Nur bei Bedarf lockert sich die Bindung zu den Histonen, die DNA-Codes stehen zeitweilig der Transkription zur Verfügung. "Wenn dieses Gleichgewicht gestört wird, kann es Probleme geben", erklärt der Chemiker Alberto Del Rio von der Universität Bologna.

Bereits 2004 entdeckten Forscher, dass die SMYD3-Produktion in verschiedenen Typen von Krebszellen deutlich erhöht ist. Spätere Untersuchungen zeigten einen Zusammenhang zwischen SMYD3-Überaktivität und abnormem Zellwachstum. Die Störungen treten unter anderem in Lebertumoren, Darmkrebs-Geschwulsten und Brustkarzinomen auf. In Zellkulturen zeigte sich allerdings auch ein umgekehrter Effekt.

Enzyme deaktivieren

Gezielte Inaktivierung von SMYD3 bremst die Entwicklung von Krebszellen. Auf diesen Ergebnissen aufbauend hat sich Alberto Del Pietro zusammen mit einigen Kollegen auf die Suche nach einem neuen potenziellen Wirkstoff zur Behandlung von Tumorerkrankungen gemacht. Das Team setzte bei seiner Arbeit zunächst auf Computertechnologie. Die erste Testreihe wurde nicht in vitro (im Reagenzglas) oder in vivo (im lebendigen Organismus), sondern in silico durchgeführt.

Ziel der Studie war es, eine Substanz zu finden, die exakt zum aktiven Zentrum des SMYD3-Moleküls passt – dort, wo die Interaktion mit den Histonenproteinen stattfindet. Diese Struktur sollte durch das Anbinden eines anderen Moleküls blockiert werden.

Aber wie findet man einen solchen Stoff? "In unserem Arbeitsgebiet beträgt die Anzahl der potenziellen Kandidaten etwa 1060", betont Alberto Del Rio. Eine Eins mit sechzig Nullen – so viel verschiedene Molekülzusammensetzungen seien im "chemischen Raum" möglich. "Das ist aber nur eine theoretische Zahl", sagt Del Rio. Zurzeit könne noch kein Computer der Welt eine solche Datenmenge bewältigen.

"Wie Tetris spielen"

Um die Suche tatsächlich praktikabel zu machen, griffen die Forscher auf existierende Datenbänke mit Strukturmodellen von insgesamt 300.000 verschiedenen chemischen Verbindungen zurück. Diese ließen sich innerhalb weniger Tage virtuell testen. "So am Rechner zu arbeiten ist wie Tetris spielen", meint Del Rio lachend, "nur ein bisschen komplizierter."

Auf dem Bildschirm lässt sich genau erkennen, inwiefern der dreidimensionale Bauplan eines Moleküls mit dem aktiven Zentrum von SMYD3 kompatibel ist. Der diesbezüglich oft eingebrachte Vergleich mit Schlüssel und Schloss ist jedoch irreführend, wie der Chemiker erklärt. "Weder das Protein noch die möglichen Inhibitor-Moleküle sind starre Strukturen." Sie interagieren flexibel miteinander.

Neue Therapien entdecken

Del Rio und seine Kollegen fanden insgesamt 15 vielversprechende Kandidaten. "Wenn man das alles vom Anfang an im Labor machen wollte, bräuchte man gewaltige Mengen Zeit und Geld." Bei gut einem Dutzend Stoffen dagegen sei der Aufwand überschaubar. Die Substanzen wurden nun in Zellkulturen und biochemischen Tests erprobt. Interessanterweise zeigten jedoch nur zwei von ihnen tatsächlich eine Wirkung. "Anhand von In-silico-Analysen kann man eben nicht alle Interaktionen vorhersagen", betont Alberto Del Rio.

Laut den Experimenten eignet sich ein kleines Molekül mit der Bezeichnung BCI-121 am besten dazu, SMYD3 zu blockieren. "Nun", sagt Del Rio, "können wir anfangen, seine Struktur chemisch zu verändern" – zur Verbesserung des therapeutischen Potenzials. Auch diese Arbeit wird zunächst mithilfe von Computermodellen durchgeführt. Die Weiterentwicklung von BCI-121 bietet, dank virtueller Verfahren, der Krebsbekämpfung gute Perspektiven. (Kurt de Swaaf, 5.10.2015)