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Baguettes "made in France".

Foto: reuters/kessler

Wer einmal in einer von Eric Kaysers berühmten Boulangerien in Paris war, wird sie nie wieder vergessen. Es duftet nach knusprig gebackenen Baguettes, Croissants und Brioches, die gerade frisch aus dem Ofen geholt werden. Auf der Rue Monge mitten im Quartier Latin, dem Studentenviertel der französischen Hauptstadt, steht die Filiale, mit der 1996 alles angefangen hat. Bereits damals war sich Kayser sicher, dass er nur handwerklich und natürlich hergestelltes Brot erzeugen will.

Der Erfolg sollte ihm recht geben. Mittlerweile betreibt der Unternehmer Filialen auf der ganzen Welt und ist ein gerngesehener Gast auf internationalen Symposien. Die Rezeptur seiner Brote hat sich seither nie verändert. Nur natürliche Zutaten und Sauerteig kommen in Kaysers Produkte. Ob der französische "Artisan-Bäcker" mit dem vermeintlichen Erfinder der Kaisersemmel von 1750 verwandt ist, lässt sich nicht eruieren. Wer sich mit Brot auseinandersetzt, kommt aber nicht an ihm vorbei.

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Viele französische Baguette-Bäcker setzen wie Eric Kayser auf Tradition. Das beste Baguette von Paris wird alljährlich in einem Wettbewerb ermittelt, der Sieger darf ein Jahr lang den französischen Präsidenten beliefern.
Foto: REUTERS/Charles Platiau

Die Pioniere

Auch für den Wiener Bäcker Horst Felzl ist Kayser ein Pionier der Szene. "Die Franzosen sind die Weltmeister unter den Brotmachern. Was Eric Kayser geschaffen hat, ist bewundernswert", sagt Felzl. Selbst gibt sich der Bäcker bescheiden. Er ist einer der österreichischen Vorreiter, was neue Bäckerei-Shop-Konzepte und Produkte betrifft.

In seinem Geschäft in der Wiener Lerchenfelder Straße trifft man statt auf gepolsterte Eckbänke, schwere Lampenschirme und Kellnerinnen mit Rock und Rüschenschürze auf große helle Räume im Industriechic, junges hippes Personal und eine meterlange Glasvitrine, in der die Köstlichkeiten nur darauf warten, gegessen zu werden. Hier sitzt die alleinstehende Seniorin mit ihrer Zeitung neben dem Hipster, der gerade sein Mandelcroissant fotografiert, um es kurz danach auf Instagram zu posten.

Das Croissant aux Amandes wird bei Felzl in Läuterzucker getunkt und mit Mandelcreme gefüllt.
Foto: Felzl

Das Shop-Konzept erinnert sehr an die hippen Geschäfte in Berlin oder London – und das, obwohl Felzls Herz eigentlich an Schweden hängt, wo er einige Zeit gearbeitet hat. Das Land, das vielen vor allem durch trockenes Knäckebrot bekannt ist, hat aber ordentlich aufgeholt, weiß der Bäckermeister: "Als ich diesen Sommer mit dem Fahrrad durch Schweden gefahren bin, kam ich wieder nach Varberg, in den Ort, in dem ich 1994 gearbeitet habe. Dort gibt es jetzt eine Küstenbäckerei in einer alten Blechhalle. So etwas war damals unvorstellbar. Ich habe das Brot probiert und traue mich zu sagen, dass ich den besten Bäcker des gesamten skandinavischen Raums getroffen habe".

Von überallher strömen Kunden in die "Kustbageriet" von Niklas Gustafsson im kleinen Ort südlich Göteborgs. Für Felzl ist das nur die Bestätigung, dass Konzepte wie jenes von Gustafsson aufgehen können – auch bei uns in Österreich. Er betreibt mittlerweile drei Filialen in Wien und tüftelt immer wieder an neuen Konzepten. Das ist auch notwendig, um sich von der Masse abzuheben.

Industrie versus Handwerk

Viel zu lange war das Bäckereigewerbe – bis auf ein paar Ausnahmen – dem Mainstream verfallen. Grund war unter anderem die Industrialisierung, durch die vieles leichter wurde. Für jedes Problem schien es plötzlich eine Lösung zu geben. Klebte der Teig an der Maschine, hat man eben ein Mittel hinzugefügt, das genau das verhinderte. Hinterfragt wurde dabei wenig. Wichtig war, möglichst viel und möglichst preiswert zu produzieren. Das Sortiment wurde mithilfe von Backmischungen erweitert. Jedes Produkt zu jeder Zeit bei jedem Bäcker – Individualität sieht irgendwie anders aus. Brot wurde zum Massenprodukt, zum Nebenbei-Essen, das man auch ruhigen Gewissens nach drei Tagen auf den Kompost werfen oder an die Enten verfüttern konnte.

Das Handwerk rückte somit immer mehr in den Hintergrund und wurde von der Industrie verdrängt. Als schließlich auch die großen Supermarktketten und Diskonter das Geschäft mit dem Brot machen wollten, haben viele Bäcker aufgegeben. Zu stark war der Preisdruck, zu verwechselbar das Produkt, zu gut die Technik der Großen. In den letzten Jahren haben viele Bäcker das Handtuch geworfen. Doch es besteht Hoffnung – vor allem für all jene, die sich wieder der Ursprünge des Bäckerhandwerks besinnen und Brot machen, dem geschmacklich kein Supermarkt das Wasser reichen kann.

Gute Ausbildung ist wichtig

Apropos Wasser: Gab es früher eine Kodexregelung für einen Höchstwassergehalt in Brot, so heißt es heute: je mehr Wasser im Brot, desto höher die Qualität. Die Regelung hat man mittlerweile aus dem Kodex gestrichen, erzählt der Innungsmeister der österreichischen Bäcker Josef Schrott. "Die Zeiten haben sich geändert. Es war damals wichtig, die Bevölkerung sattzubekommen", sagt Schrott. Auch Schrotts Sohn Jeremiah arbeitet bereits im elterlichen Betrieb mit. Der Bäcker- und Konditormeister ist davon überzeugt, dass der Beruf Zukunft hat und alles andere als aussterben wird: "Wichtig ist eine gute Ausbildung. Man muss als Bäcker außerdem auf Qualität achten und den Preis verlangen, den das Produkt wert ist".

Im Gegensatz zu den Bäckereien Schrott oder Felzl mit drei bis vier Filialen gibt es aber auch Großbäckereien, die bewusst auf industrielle Backmischungen verzichten. In der Wiener Bäckereikette Ströck mit 76 Filialen und rund 1500 Mitarbeitern wird seit Jahren auf die natürliche Methode des Brotbackens gesetzt. Die fehlende Transparenz, die gerade großen Bäckereiketten vorgeworfen wird, ist für den Bäckermeister Philipp Ströck kein Thema. "Wir legen alles offen und machen es nachvollziehbar. Eigentlich haben wir immer schon so gearbeitet – jetzt reden wir halt drüber, weil es wichtig ist", sagt Ströck.

Der Unternehmer geht noch einen Schritt weiter und will sein Brot noch individueller machen: "Wir wollen den Bauern schon vorher sagen, welches Korn sie für uns anbauen sollen. Damit kann man auch die Qualität des Brotes sehr gut steuern. Das ist die Zukunft." Individualität ist also auch bei den Großen ein Thema. Es reicht nicht mehr nur, gutes Brot und ein schönes Geschäftslokal zu haben. Die Zeiten sind härter, der Preisdruck wurde größer und das Angebot breiter.

Im Ströck-Feierabend wird das Biobauernbaguette auf der Steinplatte gebacken.
Foto: Ströck Brot

Masse mit Klasse

Dass die Bäcker jetzt wieder einen Aufschwung erleben, hat nicht zuletzt mit Pionieren wie dem Waldviertler Josef Weghaupt zu tun. Der Unternehmer hat Brot in Wien wieder schick gemacht. Wer zum Abendessen eingeladen ist und Brot von Joseph mitbringt, der kann durchaus von sich behaupten, hip zu sein. Warum sonst würde man durch die ganze Stadt fahren, nur um in einem der drei stylischen Geschäfte von Weghaupt einzukaufen, wenn es doch auch andere Bäckereien in Wien gibt? Ein junger gutaussehender Mann – Marke Traumschwiegersohn – hat sich in die Herzen der Wiener gebacken.

Er hat der Bäckerei wieder ein Gesicht gegeben, sich in den Medien als Innovator und Revoluzzer präsentiert – und das obwohl er nicht selbst in der Backstube steht. Vor kurzem hat Weghaupt sein drittes Geschäft in Wien-Döbling eröffnet, in dem er unter anderem Sauerteig für Selbstbäcker anbietet. Obwohl er von so manchem Bäcker und Skeptiker belächelt wird, ist sich Branchenkollege Felzl sicher: "Josef Weghaupt hat extrem viel für die Branche getan. Er hat gezeigt, dass gutes Brot eine Zukunft hat".

Die Filiale von Joseph Brot in der Obkirchergasse.
Foto: Joseph Brot

Brotautomat für Späteinkäufer

Obwohl Felzl selbst Holzbacköfen für einen Marketingschmäh hält, ist er überzeugt, dass jeder Bäcker sein Alleinstellungsmerkmal finden muss. Er selbst wurde unter anderem mit seinem Brotautomaten über die Grenzen Österreichs hinaus bekannt. Der Automat wird am Abend mit Gebäck befüllt, das tagsüber nicht mehr verkauft wird. So kann man in Wien-Neubau auch in der Nacht günstig Semmeln und Co kaufen, und es muss wenig weggeworfen werden.

Von diesem Luxus können viele Bäcker, die Supermarktketten beliefern, nur träumen. Oft müssen sie nichtverkaufte Ware wieder zurücknehmen. Deshalb verzichten viele bewusst auf solche Partnerschaften und verkaufen ihr Gebäck lieber direkt. Und wenn man für Brot von Joseph durch die ganze Stadt fährt, dann geht man in Zukunft bestimmt auch für seine Semmeln zum Bäcker seines Vertrauens ums Eck. (Alex Stranig, RONDO, 15.10.2015)

Foto: Wolfgang Hummer

Barbara van Melle: "Die nächste Bäckergeneration muss hip sein"

Barbara van Melle weiß, woran man gutes Brot erkennt und was Bäcker heute machen müssen, um am Markt bestehen zu können

STANDARD: Sie beschäftigen sich seit langer Zeit mit dem Thema Brot. Woran erkennt man gutes Brot?

Barbara van Melle: Man muss einmal gutes Brot kennengelernt haben, um zu wissen, wie es schmeckt. Das Bedauerliche ist, dass wir den Geschmack bei vielen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse verloren haben. Wenn man mit Industrieprodukten aufwächst und noch nie sonnengereifte Paradeiser gegessen hat, wird man auch ihren Geschmack nicht kennen. Genauso ist es bei Brot. Wer einmal gutes Brot gegessen hat, wird den Geschmack nicht mehr vergessen.

STANDARD: Abgesehen vom Geschmack, gibt es noch andere Parameter wie Biosiegel und Co?

van Melle: Man kann nur dem Bäcker vertrauen, den man kennt. Was nützt ein Biosiegel, wenn auch Biobrote mit Backmischungen gebacken werden. Leider passiert auch bei Bio sehr viel Schwindel – auch beim Thema Regionalität. Viele Gastronomen kaufen beispielsweise nicht beim regionalen Bäcker, sondern lieber bei großen Ketten.

STANDARD: Was müsste sich ändern?

van Melle: Man muss die Inhaltsstoffe offenlegen. Ich möchte wissen, was in meinem Brot ist. Mit dem Wissen kann ich mich als Konsumentin entscheiden, ob ich das will oder eben nicht. Ich finde es schade, dass es bei den Bäckern keine Transparenz gibt.

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Was ist drin in Brot und Gebäck?
Foto: dpa / Oliver Berg

STANDARD: Viele Bäckereien mussten in den letzten Jahren zusperren. Oft war auch der Konkurrenzdruck zu groß. Haben kleine Bäcker eine Chance gegen die großen Ketten?

van Melle: Das Wesentliche ist, dass die Bäcker wieder unterscheidbar werden und sich bedingungslos der Qualität verschreiben. Im Moment backen viele kleine Bäcker genau das Gleiche wie die großen Ketten, weil sie mit den gleichen Backmischungen arbeiten. Warum soll der Konsument dann noch zum kleinen Bäcker gehen, wenn er das gleiche Angebot immer verfügbar zu jeder Zeit auch im Supermarkt bekommt? Es ist alles völlig austauschbar geworden.

STANDARD: Auch Diskonter haben das Geschäft mit dem Brot entdeckt und installieren in vielen Filialen Backboxen. Kommt dieses Gebäck an handgefertigtes heran?

van Melle: Die Industrie hat stark aufgeholt in den letzten Jahren. Es gibt zum Beispiel computergesteuerte Gärräume, die es einfacher machen mit langen Teig- und mehrstufigen Sauerteigführungen zu arbeiten. Auch wenn ich kein Brot aus einer Backbox kaufen würde, haben sie geschmacklich mittlerweile gar nicht so schlechte Ware, und es wird schwieriger, sie geschmacklich von anderer Bäckereiware zu unterscheiden. Wonach sich aber alle sehnen, ist das Gesicht hinter dem Brot. Bei Backboxen ist alles anonymisiert. Man weiß nicht, wer das Brot bäckt. Wir haben diese tiefe Sehnsucht, den Menschen dahinter zu kennen, der das Brot gebacken hat.

STANDARD: Warum sind gerade in den 1970er-Jahren so viele Bäcker vom Handwerk abgekommen?

van Melle: Es ist eigentlich ganz logisch. Die Technisierung hat auch hier eingesetzt, und jede Woche ist ein Vertreter in die Backstube gekommen und hat eine andere Backmischung angeboten. Das hat natürlich ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Das Sortiment wurde größer, und die Arbeit wurde wesentlich leichter. Dabei wurden Handwerk, Tradition und Wissen der Effizienz und dem Kostendruck geopfert.

STANDARD: Was müssen Bäcker heute machen, um am Markt bestehen zu können?

van Melle: Bäcker, die sich der Qualität verschreiben, als Menschen dahinterstehen und so Vertrauen schaffen, haben eine echte Chance. Ich denke, es ist auch wichtig, eine eigene Nische zu finden. Dabei rede ich nicht von Marketing, sondern von Produkten und Vertriebswegen. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten. Viele erfolgreiche Bäcker haben es bereits vorgemacht – sie backen wieder wirklich gutes Brot, haben beispielsweise eigene Gastrokonzepte, erzeugen auch andere Produkte oder verkaufen ihr Brot auf ausgesuchten Märkten.

STANDARD: Reicht es nicht, das Handwerk einfach wiederzubeleben? Traditionsbäcker wissen ja schließlich, wie es richtig geht?

van Melle: Ich habe kleine Bäckereien kennengelernt, die noch nie einen Natursauerteig gemacht haben. Hier muss man ganz von vorn anfangen und viel Überzeugungsarbeit leisten. Jetzt müssen teilweise die jungen den alten Bäckern zeigen, wie das Handwerk geht.

STANDARD: Hat der Bäckerberuf Zukunft, oder wird man bald nur noch im Supermarkt sein Brot kaufen?

van Melle: Viele junge Leute zweifeln daran, eine Bäckerlehre zu machen. Daran ist nicht zuletzt das von den Medien vielzitierte angebliche Bäckersterben verantwortlich. Wir müssen bei den Bäckern schaffen, was die jungen Wilden bei den Köchen erfolgreich umgesetzt haben. Die nächste Bäckergeneration muss hip und innovativ sein. Im Moment haben Bäcker zu wenig Prestige. (Alex Stranig, Rondo, 16.10.2015)

Am Wochenende setzen wir den Brotschwerpunkt fort mit einer Geschichte über die wachsende Anzahl der Selberbäcker, und wir stellen eine Auswahl an Brotbackbüchern vor.