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Die Idee des Klimawandels ist heute oft mächtiger als die physikalische Realität.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Der vom Menschen beeinflusste Klimawandel ist ein unterschätzter Aspekt des Bürgerkriegs in Syrien, erklärt der renommierte Klimaforscher Stefan Rahmstorf in einem STANDARD-Gespräch mit Umweltminister Andrä Rupprechter. Eine von 2007 bis 2011 anhaltende Dürre habe zu 1,5 Millionen Binnenflüchtlingen, zu großer Unzufriedenheit und schließlich zu Konflikten und Krieg geführt.

Der Holocaust-Forscher Timothy Snyder warnt, ebenfalls in einem Interview im STANDARD: "In Libyen wächst die Trockenheit mit jedem Jahr, und Syrien hatte fünf Jahre lang Dürre, bevor der Bürgerkrieg ausbrach; im Irak gab es absolute Rekordtemperaturen." EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht von "Klimaflüchtlingen", die schon morgen vor der Türe stehen würden. Die Neigung, die Wirren des Krieges auf klimatische Bedingungen zu reduzieren, ist wieder populär.

Von Hippokrates bis zur modernen Klimaforschung

Einer der ersten Klimatheoretiker war Hippokrates. Für ihn formten Griechenlands stark ausgeprägte Jahreszeiten Hellas' Männer, allen voran Alexander den Großen, zu überlegenen Kriegern. So konnte er mit seiner Armee über die vom milden Klima verweichlichten Perser hinwegfegen. Die wetterresistenten Alpenbewohner hätten mit den Griechen wohl kurzen Prozess gemacht.

In ihren Ausführungen zu fremden Ländern und Völkern reduzierten selbst die geschätzten Herren Montesquieu und Humboldt Geschichte auf Geografie. Auch der Erfolg der Nordstaaten im Amerikanischen Bürgerkrieg wurde von den prominentesten zeitgenössischen Geografen als klimabedingt erklärt. Für den einflussreichen Yale-Professor Ellsworth Huntington konnte es Sklavenhaltung ohnehin nur im rückständigen Süden geben: Im Norden waren klimatische Gegebenheiten und Boden für Landwirtschaft unvorteilhaft. Sklaverei war somit nicht moralisch verwerflich – laut Huntington war sie schlicht und einfach unrentabel gewesen.

In seinem 2005 erschienenen Buch "Kollaps" lässt Jared Diamond, wenn auch auf subtilere Art und Weise, dem Klima eine zentrale Rolle beim Untergang ganzer Zivilisationen zukommen. Mit der in unserer Vorstellung fest verankerten Bedrohung durch den Klimawandel gewinnen solche Erzählungen heute an Aktualität und Autorität. Für UN-Generalsekretär Ban Ki-moon war der Bürgerkrieg im sudanesischen Darfur überhaupt der erste moderne Klimakrieg.

Klimawandel als Bedrohung für die nationale Sicherheit

Die Sorge um das Klima ist also nicht neu, und Studien, die einen Zusammenhang zwischen Klima und Konflikt untersuchen, genießen wieder eine gewisse Popularität. Nicht nur in der Bevölkerung finden entsprechend medial aufbereitete Bedrohungsszenarien Widerhall. In Washington zeichnen kongressnahe Thinktanks mit Analysen zur nationalen Bedrohung durch den Klimawandel ein düsteres Bild. Es müssten mehr Ressourcen für die nationale Sicherheit bereitgestellt werden, fordern Politiker auf beiden Seiten des Atlantiks.

Obwohl veränderte klimatische Verhältnisse dem Menschen und der Natur Anpassungsprobleme bereiten, ist der Zusammenhang zwischen Klima und Konflikt nicht so einfach, wie diese Berichte es nahelegen. Und warum sollten Klimawandel und Naturkatastrophen unweigerlich Säbelrasseln, nicht aber Friedensbemühungen nach sich ziehen?

Eine mächtige Idee

Das Widerlegen der Hypothese "Klimawandel bedeutet Krieg" passt allerdings nicht zum Zeitgeist, dem auch die Wissenschaft unterworfen ist. So bestimmt die in unserer Vorstellung tief verwurzelte Annahme, dass Klima in Zusammenhang mit Konflikten stehen muss, die Formulierung der These und die Auswahl der Fallbeispiele. Ein Zusammenhang mit dem Klima wird, wenn auch unbewusst, gesucht und nicht widerlegt.

Zudem fällt die Rhetorik, mit der die vielfältigen Ursachen von Konflikt und Krieg auf das Klima reduziert werden, auf fruchtbaren Boden. Wir alle sind in den vergangenen Jahren zu bewusster lebenden "Klimabürgern" erzogen geworden: Die Verschwendung von Ressourcen gilt zusehends als unmoralisch.

Wie die genannten historischen Beispiele zeigen, kann man sich mit Klimawandel aber auch jeder moralischen Verantwortung entziehen. "Der Unterschied zwischen uns und den Nazis ist ein materieller, nicht ein moralischer", meint Snyder und vergisst sowohl die westlichen Militäreinsätze in Libyen und im Irak als auch den Arabischen Frühling. Die Leichtigkeit, mit der ihm dieser Satz entkommt, wird unerträglich, wenn man den Umkehrschluss zieht und allen Klimabürgern Schuld gibt.

Welchen Einfluss auch immer wir auf das Klima haben und das Klima auf uns hat, Snyders, Junkers und Bans Ausführungen zeigen, dass die Idee des Klimawandels heute oft mächtiger ist als die physikalische Realität. Sollten Konflikte und Kriege a priori dem Klimawandel zugeschrieben werden, dann gibt es wohl keinen Grund, politische Lösungen für diese Herausforderungen zu finden. Oder aber wir alle tragen Schuld. Beide Haltungen wären fatal. (Mathis Hampel, 15.10.2015)