"Laia" lebte zu einer Zeit, als es auf der Iberischen Halbinsel noch eine Vielzahl von Affenarten gab.

Illustration: Marta Palmero / Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont (ICP)

Seinen üppigen Lebensraum teilte sich Pliobates cataloniae nicht nur mit anderen Affenarten, sondern auch mit Hirschen, säbelzahnkatzenähnlichen Raubtieren und entfernten Verwandten von Elefanten, wie weitere Fossilienfunde aus Katalonien zeigten.

Illustration: Oscar Sanisidro / Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont (ICP )

Barcelona/Wien – Hominini, Homininae, Hominidae, Hominoidea: Vertippen darf man sich nicht, wenn man über den Stammbaum des Menschen und seiner nächsten Verwandten schreibt. Die Wörter klingen fast gleich, legen aber präzise fest, ob wir nur über uns und die "Geschwister" unserer evolutionären Großfamilie reden, oder auch über Cousins zweiten und dritten Grades.

Knochen der Hominoidea-Spezies Pliobates cataloniae wurden in Katalonien entdeckt.
Foto: Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont (ICP)

Im Mittelpunkt einer aktuellen Studie im Fachmagazin "Science" stehen die Hominoidea, auch Menschenartige genannt. Zur Orientierung: Dieser Begriff fasst sämtliche Großen Menschenaffen (einschließlich des Menschen selbst) mit den Gibbons Südostasiens zusammen. Von den übrigen Affen hat sich diese unsere Gruppe vor etwa 25 Millionen Jahren abgetrennt. Auffälligster Unterschied ist das Fehlen eines Schwanzes, zudem sind wir deutlich größer als unsere langschwänzig gebliebene Verwandtschaft. Nur die kleinen Gibbons drücken etwas den Schnitt.

Zeitlich nahe am Ursprung dieser Gruppe stand die 1933 erstbeschriebene Gattung Proconsul aus Ostafrika. Die größten unter den Proconsul-Arten konnten 50 Kilogramm auf die Waage bringen. Bis heute dienen sie Forschern gewissermaßen als Blaupause, wie die Ur-Menschenartigen wohl ausgesehen haben dürften.

Ein Primat aus Spanien

Aber nun hat mit "Laia" ein deutlich zierlicheres Geschöpf die Szene betreten. So lautet der Spitzname eines 11,6 Millionen Jahre alten Fossils, das spanische Forscher im katalonischen Vallès-Penedès-Becken ausgruben. Zu Lebzeiten des Tiers erstreckten sich hier warme, feuchte Wälder voller verschiedenster Arten von Primaten. Die kaum fünf Kilogramm schwere "Laia", die die Speziesbezeichnung Pliobates cataloniae erhielt, lebte in den Bäumen und ernährte sich ganz wie ein Gibbon vorwiegend von Früchten, wie Abnutzungsmuster an den Zähnen des Fossils zeigen.

Aus 70 fossilen Überresten konnten die Forscher um Studienerstautor David M. Alba den Schädel und zum Teil auch den linken Arm des Tiers rekonstruieren, was recht gute Rückschlüsse auf seine Lebensweise zulässt. Allerdings präsentierte sich Pliobates den Forschern auch als verblüffendes Mosaik aus urtümlichen und avancierten anatomischen Eigenschaften: teils Gibbon, teils Großer Menschenaffe, teils etwas, das älter ist als beide.

Aus zahlreichen Fragmenten konnte eine virtuelle Rekonstruktion von "Laias" Schädel angefertigt werden.
Foto: Institut Català de Paleontologia Miquel Crusafont (ICP)

Aus molekularbiologischen Daten wurde hochgerechnet, dass sich die extrem langarmigen Gibbons vor etwa 17 Millionen Jahren von unserer Linie der Menschenartigen abgetrennt haben müssen. Rein zeitlich kann der viel jüngere Pliobates also weder der Ur-Gibbon noch der Ur-Menschenartige sein. Aufgrund seiner verbindenden Eigenschaften glaubt Alba aber, dass sich in ihm die eigentliche Urform stärker widerspiegelt als im großen Proconsul.

Der älteste Vorfahre aller Hominoidea könnte also eher einem Gibbon geähnelt haben als Riesenprimaten wie Gorillas oder Menschen. Das widerspricht der gängigen Theorie, Gibbons seien ein nachträglich geschrumpfter Ableger der Urform. Albas Hypothese ist noch zu beweisen – auf jeden Fall ist unser Stammbaum aber um einen weiteren Seitenzweig unübersichtlicher geworden. Forscher sprechen ohnehin längst von einem Stammbusch. (Jürgen Doppler, 30.10.2015)