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Schluss mit Fast Food: Auf einer Fastenkur in Bayern erfahren die Teilnehmer hautnah, was dem Organismus guttut.

Foto: corbis

Wegscheid – Um acht Uhr morgens schwingen Arme und Beine durch, wird nicht direkt aus dem Bett ins Kaffeehäferl reingeschaut. Der Kreislauf will in Schwung gebracht werden. Morgengymnastik also. Eine Gruppe Fastender versammelt sich, um einen weiteren niedrigkalorischen Tag zu starten. Am Ende der Einheit klopfen sich die Gäste gegenseitig auf Armen, Rippen und Hüften ab.

Das ist fast zu viel Tuchfühlung, aber der Stoffwechsel soll bis in die letzte Zelle aktiviert werden. Dann Frühstück: Polentagrieß, gekochtes Obst und gedünstetes Gemüse werden den Fahrplan der Woche bestimmen. Durch tägliche Leberwickel, Bewegung und Ernährungsvorträge ist es ein Gesundheitsprogramm.

"Fasten ist eine Operation ohne Messer", sagt Roswitha Uhrmann, Hausherrin auf dem Rathberger Hof, einem ehemaligen Bauernhof im Bayerischen Wald 30 Kilometer entfernt von Passau. "Es ist nicht immer ein Spaziergang, aber auch keine Hexerei." Gründe gibt es viele für eine Entgiftungskur, "sie geben ihr Auto ja auch einmal jährlich zum Service," sagt sie.

Nicht sexy, aber sinnvoll

Es ist nicht allzu sexy, heute schon etwas zu machen, das in 20 Jahren möglicherweise einen körperlichen Kollaps abwehrt. Und überhaupt: als junger Erwachsener auf Gesundheitsurlaub statt auf einem Hardcore-Musikfestival oder mit Freunden viel Bier trinken? Ja, warum eigentlich nicht.

Das Kurpublikum ist buntgemischt, im Schnitt zwischen 50 und 60 Jahre alt. Caspar ist Kochlehrer aus Passau. Er erzählt fantastische Geschichten von seinen Schülern ("fünf Energydrinks pro Tag müssen reichen, Schnitzelschnellklopfen, Glutamat ist der Geschmack, der die Gehirnzellen zerstört").

Daheim in der Schule möchte er Inhalte aus Roswithas Lehrküche vermitteln. Sonst sind Diabetiker, Rheumatiker, aber auch psychosomatische Schmerzpatienten da und erzählen manchmal mehr, manchmal weniger von ihren Erfahrungen. Die Zahl der Stammgäste ist hoch, darunter viele joviale Bayern. Man tauscht sich aus über gute Öle, schlechte Salze und das tägliche Wohlbefinden.

Die Verdauungsschiene

Wer nicht auf das Essen verzichten, aber dennoch den Körper entsäuern und entgiften möchte, kann in einer Schrot- und Korn-Woche auf effektives Basenfasten bauen. Drei Mahlzeiten pro Tag: Gemüse, Getreide wie Hirse, Polenta oder Bulgur sind ballaststoffreich. Wassereinlagerungen werden ausgeschieden (Gewicht!) – und besonders spürbar: Der Verdauungsapparat (Milz und Magen) kommen wieder in Schwung.

"Durch den jahrzehntelangen häufigen Verzehr von Milchprodukten, von zu viel Rohkost, Süßigkeiten und Südfrüchten ist die Verdauung so ausgekühlt, dass mir Gäste oft sagen, dass sie früher essen konnten, was sie wollten, und heute nehmen sie schon beim Hinschauen zu." Das Wasser wird nicht mehr ausgeschieden, lagert sich im Gewebe ein und geht in Schleim über. Mit vollen Bronchien, Stirn- und Nebenhöhlen ist der Weg zum nächsten Infekt im Winter ein leichter.

Mythos von bösen Schlacken

Auch wenn es die Gesundheitsapostel immer wieder propagieren: Schlacken gibt es gar nicht. Die Annahme, man könne Entgiftung mit Wundermitteln beschleunigen, ist ebenfalls Humbug. Auf dem Rathberger Hof werden ziemlich einfache, aber manchmal auch aufwendige Anleitungen zum Zubereiten von Gesundmachern im Sinne der traditionellen chinesischen Medizin verordnet. Das macht angenehm müde, der Körper schaltet ein paar Gänge runter. Die täglichen kurzen Wanderungen sind ausreichend, es muss nicht gleich wieder ein Marathon sein.

In Zeiten der Selbstoptimierung setzt man am Rathberger Hof nicht auf Functional Food, sondern auf Sellerieschnitzel paniert mit Haferflocken, Karfiol mit Ei oder Rote Linsen süßsauer mit Paprika. Klingt fad, doch es ist gut gewürzt und schmeckt. Die Zutaten werden frisch aus dem hofeigenen Gemüsegarten bezogen. Für einen Sportler reicht eine Portion kaum, man darf sich nachnehmen.

Kochen lernen

Und die Hausherrin bringt ihren Gästen das Kochen bei. Vor versammelten Gästen wird Dinkelbrot gebacken, Gemüse durch den Fleischwolf gedreht und zum Suppenwürfel. Eine brünette Dame aus München (44) stellt viele Fragen. Roswitha Uhrmann bemüht sich, auch die grundlegendsten (was kaufe ich im Biosupermarkt ein?) Fragen zu beantworten. Allerdings: In einer oder zwei Wochen wird man sich nicht neu erfinden. Die Frage ist: Was kann ich mitnehmen, um aus meinem faulen mahlzeitlichen Trott rauszukommen?

Eine Kur bei den Uhrmanns erleichtert aber nicht das Geldbörsel. Für eine Woche bezahlt man nicht einmal die Hälfte dessen, was ein Aufenthalt im bekanntesten Schrothkur-Tempel Österreichs in Obervellach kostet. Auf dem Rathberger Hof ist alles kleiner, aber dafür sehr persönlich, familiär.

"Das große Fressen ist vorbei", sagt Roswitha Uhrmann. Es gibt Menschen, weiß sie, die reisen mit drei Handys an, können aber keine fünf Bäume voneinander unterscheiden. An der fast unmöglich zu lösenden Aufgabe zu arbeiten, das zu ändern, ist ihr Credo. Ich habe am Ende der Woche drei Kilogramm abgenommen. Es fühlt sich gut an. Ich bin jung und mache das trotzdem. (Florian Vetter, 31.10.2015)