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Trevor Paglen (links) und Aktivist Jacob Appelbaum bei der Präsentation eines gemeinsamen Projekts im Oktober in Deutschland.

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Trevor Paglen ist ein Jäger, auch wenn er es selbst nicht zugibt. "Sagen wir, da ist eine Tür, und dahinter liegt etwas Geheimnisvolles", erklärt er. "Dann geht es mir nicht darum, die Tür zu öffnen, sondern ich fotografiere die Tür, um sie als Träger eines Geheimnisses festzuhalten." Doch Türen ins Schattenreich der Geheimdienste hat Paglen als Fotograf, Künstler und Autor – die Grenzen verschwimmen – schon oft geöffnet. Oder zumindest einen Blick durch das Schlüsselloch geworfen.

Kein Wunder, dass das Who's who der digitalen Dissidenten Paglen hofiert. Da ist im Gespräch mit dem STANDARD plötzlich von "Laura" die Rede, die sich als Oscar-Preisträgerin Laura Poitras entpuppt; wird beiläufig die Mitarbeit an deren Snowden-Doku Citizenfour erwähnt und nebenbei von einem neuen Projekt mit Jacob Appelbaum erzählt, einer Ikone des Netzaktivismus.

Diesen Olymp der Überwachungskritiker bewohnt Paglen schon lange. Sein Durchbruch erfolgte 2006, als das Buch "Torture Taxi" erschien. Paglen deckte darin Unregelmäßigkeiten bei Flugplänen einer Privatfirma auf. Vier Maschinen, die bislang zwischen Militärstützpunkten in den USA verkehrten, flogen plötzlich nach Kabul, Libyen oder Marokko. Während seiner Recherchen wurde Paglen und Mitautor A.C. Thompson klar, dass es sich dabei um Maschinen der CIA handelte, die Gefangene illegal in Geheimgefängnisse brachten.

Geografie der Überwachung

Ein weiteres Buch über geheime Standorte des US-Militärs folgte, außerdem analysierte Paglen Ärmelabzeichen von US-Spezialeinheiten. Schließlich wandte sich der Fotograf und Autor Abhörstationen und Satelliten zu, um Manifestationen des Überwachungsregimes sichtbar zu machen. Die zentrale Rolle geografischer Methoden in Paglens Werk ist kein Zufall: Vor seiner Entscheidung, Künstler zu werden, hatte Paglen das Fach studiert.

Eine von Trevor Paglen fotografierte Überwachungsanlage in England.
Foto: Paglen

Die Welt des Militärs ist Paglen hingegen in die Wiege gelegt worden. Sein Vater war Arzt bei der U.S. Army und unter anderem im deutschen Wiesbaden stationiert. Dort sitzt wiederum die Zentrale der NSA in Deutschland. Inwiefern das seine Arbeit beeinflusst hat? "Man bekommt ein Gespür dafür, wie weit sich die USA durch Militärbasen und andere Einrichtungen auf den Rest der Welt erstrecken", sagt Paglen. Wachse man in den USA auf, sei einem das wohl nicht so bewusst. Außerdem eigneten sich die USA laut Paglen aufgrund ihrer Weitläufigkeit perfekt, um geheime Militärtestzonen und Abhöreinrichtungen zu verbergen.

In Europa sei das nicht so. Beweis dafür ist die Bundesheerstation Königswarte an der Grenze zur Slowakei. Dort können Wanderer auf eine Aussichtsplattform klettern und die Lauschvorrichtungen aus nächster Nähe begutachten. Fotos davon, die DER STANDARD Paglen vorlegt, amüsieren den Künstler. "Österreich ist vermutlich zu klein, um die Königswarte zu verstecken", so der Künstler, der für die Eröffnung der Ausstellung "Politischer Populismus" in der Kunsthalle Wien in Österreich verweilt.

Die Bundesheer-Lauscheinrichtung Königswarte bei Hainburg.
Foto: Markus Sulzbacher

Erfahrungen mit europäischen Abhöranlagen hatte er vergangenen Sommer gemacht, als er für eine Ausstellung deutsche Bürger einlud, Fotografien von Lauschposten einzureichen. "Wir haben mehr als 120 Bilder erhalten, es hat hervorragend funktioniert", sagt Paglen über die kollektive Entblößung der Überwachungsvorrichtungen.

Nach dem Wien-Trip wird er auch nach Berlin weiterreisen. Dass sich die deutsche Hauptstadt immer mehr zu einem Exil für US-Dissidenten entwickelt, liegt laut Paglen unter anderem am "Kampf gegen Whistleblower und Aufdecker", den US-Präsident Barack Obama forciert. Paglen selbst habe allerdings noch keine Probleme mit Strafverfolgungsbehörden gehabt. So sei das Fotografieren von Abhöranlagen in den USA durch Gesetze zur Panoramafreiheit gedeckt.

In Österreich ist das nicht so, was den US-Amerikaner erstaunt. Doch: "Der Widerspruch ist ein Grundprinzip der US-amerikanischen Tradition", meint der Fotograf. Denn in seinem Heimatland gebe es einerseits die weitreichendsten Informationsfreiheitsgesetze der Welt, andererseits würden so viele Dokumente wie in keinem anderen Land als "geheim" klassifiziert.

Freiheit für alle Nutzer

Auch das Abhörnetz der USA sei global einzigartig, so Paglen, den die Snowden-Enthüllungen trotz seiner intensiven Beschäftigung mit dem Thema "absolut überrascht" hatten. Vor Überwachung schützt er sich übrigens, indem er den Anonymisierungsdienst Tor nutzt. E-Mails verschlüsselt er, ebenso Telefonate und Chats.

Mit Verschlüsselung wird sich auch sein nächstes Projekt beschäftigen: Gemeinsam mit Jacob Appelbaum entwirft Paglen Statuen, die als Einstiegstor in das Anonymisierungsnetzwerk Tor dienen. Menschen, die sich in der Nähe dieser Objekte aufhalten, können dann im Internet surfen, ohne verfolgt zu werden. "Wir nehmen Museen und machen sie zu einem Teil des freien Internets", so Paglen. Das ist schon ein bisschen mehr, als die metaphorische Tür abzufotografieren. (Fabian Schmid, 10.11.2015)