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Der Zappelphilipp, Sinnbild der ADHS-Störung, die als Krankheit umstritten ist.

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EbM-Experte Gerald Gartlehner nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe

Foto: georg h. jeitler/donau-uni krems

Die Diagnose "Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS)" ist eine der am häufigsten diagnostizierten psychischen Störungen bei Kindern – und in der Gesellschaft allgemein eine, die sehr kontrovers diskutiert wird: Wird die Diagnose viel zu häufig gestellt? Gibt es die Krankheit überhaupt, oder wird unerwünschtes Verhalten einfach zur Krankheit erklärt? Ist es eine Erfindung der Pharmaindustrie, um Medikamente verkaufen zu können?

Ganz abgesehen von dieser grundlegenden Debatte, zeigt eine aktuelle Übersichtsarbeit von Cochrane, wie problematisch der Einsatz von Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen tatsächlich ist.

Wenig Wirkung…

Die gute Nachricht: Zu ADHS wird seit Jahren sehr viel geforscht, entsprechend konnte die Übersichtsarbeit 185 Einzelstudien zusammenfassen. Die Liste der schlechten Nachrichten ist leider länger: Beispielsweise leiden sämtliche dieser 185 Studien an deutlichen methodischen Mängeln, das heißt im Klartext: Trotz vieler Studien können wir uns auf das Ergebnis nicht sehr verlassen. Wir wissen nicht genug über die Wirkung und Nebenwirkungen von Methylphenidat.

Was wir aus den vorhandenen Studien wissen können, ist auch nur bedingt erfreulich: Ja, die Medikamente helfen: Sie verbessern die Lebensqualität der Kinder, die ADHS typischen Symptome und die Kinder verhalten sich gesellschaftlich angepasster und können sich in der Schule besser konzentrieren. Doch die Verbesserungen sind nicht sehr groß.

Manche Kinder profitieren wohl von der Behandlung, wenn auch nicht sehr stark. Aufgrund der schwachen Qualität der Einzelstudienlässt sich nicht genau sagen, welche Kinder mit welchen Symptomen das genau sind. Mit Sicherheit profitiert nicht jeder ADHS-Patient von den Mitteln, für alle besteht jedoch ein gewisses Risiko für Nebenwirkungen.

…und deutliche Nebenwirkungen

Schlafprobleme und Appetitlosigkeit sind die häufigsten Begleiterscheinungen von Ritalin und Co. Die Wahrscheinlichkeit darunter zu leiden, wird durch das Medikament um 30 Prozent erhöht. Das mag für manche harmlos klingen, ist für die betroffenen Kinder aber ein massiver Einschnitt.

Muss Ritalin jetzt sofort bei allen Kindern abgesetzt werden? Nein, aber aus der Übersichtsstudie lassen sich konkrete Schlüsse ziehen. Zwar können die Medikamente manchen Kindern helfen, die Wirkung sollte aber nicht überschätzt werden.

Eltern müssen unbedingt über die möglichen Nebenwirkungen aufgeklärt werden, um die Chancen mit den möglichen Risiken abwägen zu können. Da wir nicht wissen, welche Kinder profitieren und welche unter Nebenwirkungen leiden werden, muss der Erfolg der Therapie ständig im Auge behalten werden. Bleibt der Nutzen aus oder sind die Nebenwirkungen stärker als der Nutzen, macht die medikamentöse Behandlung keinen Sinn. (Gerald Gartlehner, 4.12.2015)