Sind die Schulen nicht barrierefrei zugängig, bleibt Schülern mit körperlicher Beeinträchtigung oft nur die Sonderschule

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Wien – Wer die Filmpremiere absagen muss, weil das Kino keine Rampe hat, oder auf den Restaurantbesuch verzichtet, weil die Toilette nicht barrierefrei gebaut ist, kann ab Jahresbeginn 2016 bei allen privaten Betrieben sein Recht einfordern: Mit 1. Jänner endet die zehnjährige Übergangsfrist für Gebäudeanpassungen bei privaten Betrieben. Neubauten mussten schon bisher auf Barrierefreiheit achten.

Anders bei öffentlichen Einrichtungen – hier gibt es zum Teil lange Übergangsfristen. Doch auch hier hat es teils fatale Folgen, wenn Betroffene an Hürden scheitern: Ist etwa die einzige Mittelschule in der näheren Umgebung nicht barrierefrei gebaut, bleibt für Schüler und Schülerinnen mit körperlichen Beeinträchtigungen oft nur die Sonderschule. Das Bildungsministerium hat sich eine Frist bis 2019 ausbedungen, um Schulen umbauen zu können. Für Schulen, die keine Bundesschulen sind, gelten wiederum andere, teils erheblich längere Übergangsfristen.

Länder unterschiedlich schnell unterwegs

Je nach Bundesland und Gemeinde sind die Sanierungen unterschiedlich weit fortgeschritten. In Vorarlberg etwa gibt es laut Angaben des Bildungsministeriums nur ein Gymnasium, das BORG Messestraße in Dornbirn, das komplett barrierefrei angelegt ist. Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit Behinderungen kritisieren, dass Österreich sich zwar international verpflichtet hat, Benachteiligungen zu beseitigen, es aber letztlich den einzelnen Bundesländern überlässt, wie ehrgeizig sie sein möchten.

Die Bauordnung ist Ländersache, die Verankerung barrierefreier Standards also den Landesgesetzgebern überlassen. Für Ärger sorgt vor allem, dass der Staat nicht selbst etwaige Verstöße gegen das Gesetz ahndet, sondern dies den Betroffenen aufbürdet.

Nur ein Trostpflaster

Betroffene haben nämlich keine Möglichkeit, das Anbringen einer Rampe oder eines Stiegenlifts oder das Beseitigen einer Barriere rechtlich durchzusetzen. Das Gesetz sieht nur ein Trostpflaster vor: Stellt ein Gericht fest, dass der Hotelier es sich durchaus leisten könnte, ein Behinderten-WC einzubauen, es aber trotzdem unterlässt, dann hat der Kläger Anspruch auf Schadensersatz. Vor Gericht landet der Fall aber erst, wenn zuvor die Schlichtungsstelle angerufen wurde.

Kann der Betrieb glaubhaft machen, dass ihm der hohe Umbauaufwand nicht zumutbar ist, scheitert die Beschwerde. Betroffene müssen also Hürden bei der Rechtsdurchsetzung überwinden, um sich gegen Hürden im Alltag zu beschweren.

Wirtschaftskammer hat Entwicklung "verschlafen"

Martin Ladstätter vom Verein Bizeps kritisiert zudem die Rolle der Wirtschaftskammer: "Die Kammer hätte zehn Jahre lang Zeit gehabt, um ihre Mitglieder auf das Ende der Übergangsfrist vorzubereiten", sagt Ladstätter, "das hat sie verschlafen."

Unternehmer sollten sich an Vorreiterländern wie den USA oder Kanada ein Beispiel nehmen und die Barrierefreiheitsauflagen als Chance sehen, einer immer älter werdenden Gesellschaft gerecht zu werden, fordert Ladstätter. Ein Jammern angesichts finanzieller Belastungen durch Umbauten sei nicht angebracht: "Unternehmen, die sich vor Kunden fürchten, haben irgendwie das falsche Geschäftsmodell." (Maria Sterkl, 31.12.2015)