STANDARD: Haben Ihre Aussagen in diesem Interview Gültigkeit – oder ist für Sie die Wahrheit nach wie vor "eine Tochter der Zeit"?

Khol: Den stoischen Philosophen Aulus Gellius kann man nicht korrigieren. Daher bleibe ich dabei.

Ob Andreas Khol, einst Co-Architekt von Schwarz-Blau, in seiner bisherigen Politkarriere einmal falsch abgebogen ist? "Sie kennen Sartre. Nachträglich kann man die Geschichte nicht uminterpretieren."
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Wenn Sie zurückblicken in Ihrem Leben: Sind Sie da einmal falsch abgebogen?

Khol: Sie kennen Sartre, der ein Stück geschrieben hat, wo man alle Dinge genau gleich macht, wenn man wieder anfängt. Nachträglich gesehen kann man die Geschichte also einfach nicht uminterpretieren.

STANDARD: Auch als ehemaliger Co-Architekt von Schwarz-Blau: Sie bereuen nichts?

Khol: Je ne regrette rien.

STANDARD: Vor zwanzig Jahren sind Sie für eine Bürgergesellschaft eingetreten. Wenn man Ihre Bücher von damals nachliest, dann ist davon bisher aber nicht viel umgesetzt worden, mit Ausnahme der Spendenabsetzbarkeit?

Khol: Ganz im Gegenteil: Wir haben jetzt ein neues Vereinsrecht, ein Freiwilligengesetz, einen jährlichen Freiwilligenbericht – und die großen Vereine werden nicht mehr als bloße Hasenzüchter verspottet. Und nicht zuletzt auch angesichts der Flüchtlingskrise ist der Durchbruch zur Bürgergesellschaft inzwischen vollzogen.

STANDARD: Sie haben einst an mehreren Stellen auch "den überbordenden Sozialstaat" beklagt. Die vergangenen zehn Jahre haben Sie als ÖVP-Seniorenvertreter aber den Ausbau ebendieses Sozialstaats propagiert. Gilt auch hier: Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit?

Khol: Alles mit Maß und Ziel – das ist meine Erkenntnis von zehn Jahren Urlaub von der Spitzenpolitik. Das Pensionssystem zu erhalten ist kein "überbordender" Sozialstaat. "Überbordend" ist, wenn man ständig mehr und größere Bereiche der Selbstvorsorge verstaatlicht.

STANDARD: Es hat in der Zeit von Schwarz-Blau einige Straffungen im Pensionssystem gegeben ...

Khol: Ohne die Neuordnung der Pensionen durch die Regierung von Wolfgang Schüssel wäre das Pensionssystem schon lange zusammengebrochen.

STANDARD: Aber die Hacklerpensionen sind doch erst unter Schwarz-Blau eingeführt worden?

Khol: Das war sicher ein Fehler.

"Für mich ist ganz klar, dass der Gesetzgeber gegenüber einer höheren Autorität verantwortlich ist. Das ist Gott."
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STANDARD: Sie wollten früher auch Gott in die Präambel der Verfassung schreiben. Ist das für Sie noch aktuell?

Khol: Selbstverständlich. Für mich ist ganz klar, dass der staatliche Gesetzgeber gegenüber einer höheren Autorität verantwortlich ist. Das ist Gott – aber das ist nicht der Gott der Christen, nicht der Gott der Moslems und nicht der Gott der Juden. Das ist Gott.

STANDARD: Als schwarzer Kandidat für die Hofburg haben Sie gleich erklärt, dass sich die Österreicher um ihren Lebensstil und ihre Kultur sorgen. Gehört für Sie der Islam zu Österreich?

Khol: Das habe ich schon lange vor Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel gesagt. Mit der Annexion von Bosnien-Herzegowina 1908 hat Österreich einen moslemischen Landesteil bekommen, dem ganze Bücher von Gesetzen gefolgt haben. Es gab Feldimame, für die Truppe ist halal gekocht worden, und die Österreicher waren stolz auf diese Regimenter.

STANDARD: Niederösterreichs Landeshauptmann und Beinahe-Bundespräsidentschaftskandidat Erwin Pröll hat einmal gesagt, dass für ihn Minarette hierzulande "artfremd" seien – und für Sie?

"Minarette sind manchmal schön und manchmal hässlich. Mich stören sie nicht – und ich finde sie auch nicht artfremd."
Foto: Matthias Cremer

Khol: Minarette sind manchmal schön und manchmal hässlich. Mich stören sie nicht – und ich finde sie auch nicht artfremd.

STANDARD: In Österreich gibt es zwei. Soll es mehr geben?

Khol: Die Moslems sind da selber sehr zurückhaltend. Das Ganze muss gewachsen sein.

STANDARD: Stichwort Köln: Wie sichert man angesichts der Übergriffe von einigen Asylwerbern trotz alledem den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt?

Khol: Indem man Großunterkünfte nach Möglichkeit vermeidet, damit nicht zu viele Menschen auf einem Fleck sind. Ich denke auch, dass man alle, die im Lande sind, sofort sinnvoll beschäftigen muss – die erste Arbeit der Neuankömmlinge ist, Deutsch zu lernen, unsere Kultur zu lernen und unsere Werte zu lernen. Dass etwa Gewalt in Österreich verboten ist, dass wir eine Demokratie haben und ein Rechtsstaat sind und dass es die Gleichberechtigung von Mann und Frau gibt. Das heißt auch, dass Männer Frauen die Hand geben, dass Buben und Mädchen gemeinsamen Unterricht – auch im Schwimmen und Sport – haben. Integration ist zuallererst auch eine Herausforderung an das Bildungssystem. Ich glaube, dass wir da einen nationalen Kraftakt brauchen. Das Lehrerdienstrecht etwa sagt, die öffentlich-rechtlichen Lehrer seien berechtigt und verpflichtet, aus der Pension zurückzukommen. Man könnte vielen der Burnout-Lehrerinnen und -Lehrer eine Chance geben, sich nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten ein-, zweimal in der Woche hier wieder einzubringen.

STANDARD: Kanzler Werner Faymann will nun Wirtschaftsflüchtlinge am besten schon an der Grenze stoppen. Ist das auch in Ihrem Sinne?

"Der erste Ansprechpartner sind die Menschen – und natürlich die Organisationen der Bürgergesellschaft. Ich könnte aus der Hofburg ein Zentrum der Bürgergesellschaft machen."
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Khol: Die Frage der Wirtschaftsflüchtlinge ist glasklar. Man vergisst immer wieder, dass ein Großteil der Menschen mit falschen Papieren kommt, dass ein großer Teil unter Vorspiegelung einer falschen Nationalität kommt, dass ein großer Teil aus der Absicht kommt, sein Leben zu verbessern. Aber man muss das – wie die Schweizer – in sehr schnellen Verfahren und mit Rechtsmitteln schon an der Grenze prüfen.

STANDARD: Das heißt: Wer lügt, fliegt hinaus?

Khol: Ja, wer lügt, wird nicht eingelassen.

STANDARD: Soll der Arbeitsmarkt für Asylwerber bald geöffnet werden, damit sie einer sinnvollen Beschäftigung nachgehen können?

Khol: Das ist eine heikle Frage, da sagen Integrationsspezialisten: Ja. Die Arbeiterkammer und die Gewerkschaft – ich war mein ganzes Leben Gewerkschaftsmitglied – sind dagegen. Und die Gewerkschaft ist ein wichtiger Partner.

STANDARD: Wenn Sie Bundespräsident werden sollten, werden dann die Gewerkschaften Ihr Ansprechpartner sein?

Khol: Der erste Ansprechpartner sind die Menschen – und natürlich die Organisationen der Bürgergesellschaft. Ich könnte aus der Hofburg ein Zentrum der Bürgergesellschaft machen.

STANDARD: Aber als Bundespräsident Oberbefehlshaber des Bundesheeres zu sein hat auch einen Reiz für Sie?

Khol: Immerhin bin ich der Enkel eines Kaiserschützenhauptmannes und eines Ritters der Eisernen Krone.

STANDARD: Soll angesichts der neuen Herausforderungen weiter gespart werden beim Militär?

Khol: Das kann ich noch nicht beurteilen, damit muss ich mich erst beschäftigen. Aber ich halte das Bundesheer für wichtig, ich halte den Zivildienst für wichtig, und ich halte auch die Militärmusik für wichtig.

STANDARD: Wie würden Sie es mit den Geheimdiensten des Bundesheeres halten?

Khol: Ohne Geheimdienste ist jeder Staat wehrlos. Denn ohne Augen und Ohren ist der Staat nicht in der Lage, die Bürger zu schützen. Deswegen brauchen wir den inneren und den äußeren Geheimdienst absolut.

STANDARD: Als Bundespräsident würden Sie FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache angeloben, wenn die Freiheitlichen stimmenstärkste Partei wären, Regierungspartner und Programm hätten. Könnte es für Sie aber genauso gut der zweit- oder drittgereihte Parteichef sein, wie es damals ÖVP-Obmann Wolfgang Schüssel gegen Thomas Klestil durchgesetzt hat?

Khol: Wenn der erste Parteichef den Auftrag einer Regierungsbildung nicht erfüllen kann, natürlich. Denn genau das war bei SPÖ-Chef Viktor Klima damals ja der Fall, er hat keine Mehrheit für eine Regierung gehabt. Die Möglichkeit, dass man das Verfahren dann abkürzt, dafür gibt es mit Schüssel ein Präjudiz – und so wie damals vorgegangen wurde, das kann ich mir durchaus vorstellen.

"Ich sehe in jeder Partei Leute, die disqualifiziert sind für Regierungsämter. Das werde ich nicht sagen. Nomina sunt odiosa – Namensnennung schafft Ärger."

STANDARD: Behalten Sie sich wie Klestil das Recht vor, Regierungsmitglieder abzulehnen, etwa von der FPÖ, die sich für ein Amt disqualifiziert haben?

Khol: Ich sehe in jeder Partei Leute, die disqualifiziert sind für Regierungsämter.

STANDARD: Wer zum Beispiel?

Khol: Das werde ich nicht sagen. Nomina sunt odiosa – Namensnennung schafft Ärger. Aber ich stimme mit Kandidatin Irmgard Griss überein, dass vieles in Vorgesprächen abgeklärt werden kann, sodass es nicht zu Brüskierungen kommen muss.

STANDARD: Die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein forderte – wie zuvor Strache – Abschiebungen in Herkules-Maschinen, weil abgewiesene Asylwerber da schreien und sich anurinieren können. Ist so jemand für Sie ministrabel?

Khol: Das sind unqualifizierte Äußerungen. Aber ich müsste die gesamte Person prüfen. Denn der Bundespräsident kann seine politischen Wertvorstellungen nicht allen anderen auferlegen. Was von der Freiheit der Meinungsäußerung abgedeckt ist, muss auch das Staatsoberhaupt akzeptieren.

STANDARD: Grünen-Chefin Eva Glawischnig haben Sie als "wunderschöne Marxistin" abqualifiziert.

Khol: Ich schätze Eva Glawischnig. Und Punkt.

STANDARD: Werden Sie derartige Wertungen in Ihrer jetzigen Rolle wieder vornehmen?

Khol: Nein. Weil Glawischnig keine Marxistin ist. (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 13.1.2016)