Illegal entsorgter Müll in der Nähe eines Gemüseackers in Orta di Atella. Die Feldfrüchte der Campania felix sind zunehmend mit Schwermetallen verseucht.

Foto: http://isabell-zipfel.photoshelter.com/

Auch die Hochgeschwindigkeitsbahn, die Rom und Neapel verbindet, ist auf Giftmüll errichtet worden.

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Vor Jahrzehnten war es die fruchtbarste Gegend in Kampanien, der Gemüsegarten Europas. Die Römer gaben der Region den Namen Campania felix. Jahrelang war sie als Erholungsgebiet beliebt. Heute wird die Gegend nördlich von Neapel und südlich von Caserta Feuerland oder Dreieck des Todes genannt. Denn seit Ende der 80er-Jahre wurde Giftmüll aus ganz Europa hierhergekarrt, verscharrt oder unter freiem Himmel liegen gelassen.

Polizeiliche Ermittlungen haben ergeben, dass in der Region rund um Neapel rund 28 Millionen Tonnen Giftmüll unter Gemüsefeldern, in Steinbrüchen oder auf freien Landflächen vergraben oder verbrannt worden sind. Der Name Feuerland leitet sich von den Hunderten illegal brennender Mülldeponien ab. Außerdem wurde der Giftmüll vorzugsweise mit Zement oder Beton vermischt und somit systematisch beim Bau von Gebäuden, Autobahnen, Schnellstraßen und Zugtrassen eingesetzt. Industrieunternehmen aus Norditalien und dem restlichen Europa wandten sich an die Camorra, um die hohen Entsorgungskosten für den Sondermüll zu umgehen. Hochgiftiger Industriemüll wie Dioxin, Arsen und sogar Uran wurde in der Gegend illegal liegen gelassen oder angezündet. Durch diese Praxis werden nicht nur gesundheitsschädigende Gase freigesetzt, sondern auch die Erde und das Grundwasser verseucht.

Hohe Krebsrate

Im Dreieck des Todes leben rund drei Millionen Menschen. Viele sind dorthin gezogen, weil sie auf der Suche nach einem Ort mit guter Luft und guten Lebensbedingungen für sich und ihre Familien waren. Gefunden haben sie stattdessen hochgiftigen Industriemüll – und eine Krebsrate, die laut einer Studie der medizinischen Fachzeitschrift Lancet weit über dem nationalen Durchschnitt liegt.

Das italienische Gesundheitsinstitut schlägt Alarm: Die Anzahl von Kindern, die im ersten Lebensjahr an einem Tumor erkranken, ist wesentlich höher als im Rest des Landes. Dasselbe gelte für Kinder bis zum 14. Lebensjahr. Auch Erwachsene erkranken im Dreieck des Todes weitaus häufiger an Krebs als im Landesdurchschnitt. Tumorerkrankungen haben sich in den vergangenen Jahren sogar mehr als verdreifacht, heißt es in der Lancet-Studie.

Die Bewohner der Region erkranken an Krebsarten, die eigentlich nur dort auftreten, wo sich viel Industrie angesiedelt hat – nur dass es im Hinterland Neapels fast gar keine Industrie gibt. Magen-, Leber-, Nieren- und Lungentumoren treten zum Beispiel vergleichsweise häufig auf. Auch die Unfruchtbarkeitsrate und die Anzahl an angeborenen Missbildungen sind hoch.

Die Truppen der US-Navy, die hier eine der größten Basen Südeuropas betreibt, sind ebenfalls betroffen. Die Amerikaner gaben eine Studie in Auftrag: Für die US-Militärs entpuppte sich das Leben im Feuerland als gesundheitsgefährdend. Mehr als 5000 verseuchte oder verdächtige Orte machten sie aus. Die Soldaten wurden davor gewarnt, das Wasser zu trinken und sich damit die Zähne zu putzen.

Leben auf einer Zeitbombe

Als eine geologische Studie durchgeführt wurde, die den Kontaminierungsgrad in der ehemaligen Mülldeponie Resit in Giugliano, wo hochgiftiger Industrieschlamm entsorgt worden war, bemessen werden sollte, kamen die Wissenschafter zu einem erschreckenden Ergebnis. Für das Jahr 2064, also dann, wenn das Sickerwasser aller Voraussicht nach ins Grundwasser eindringen wird, sagten sie ein nahezu apokalyptisches Szenario voraus – und zwar für die gesamte Region in einem Umkreis von 20 Kilometern. Ab diesem Zeitpunkt würde die Gegend unbewohnbar sein, denn dann würde das gesamte Gebiet komplett verseucht sein.

Die erschreckenden Ergebnisse dieser Studie sind auf viele andere Orte im Umkreis von Neapel und Caserta übertragbar. Man würde höchstwahrscheinlich überall zu denselben Untersuchungsergebnissen kommen, meinen die Autoren: Die Bewohner leben dort auf einer tickenden Zeitbombe.

Das Problem der illegalen Giftmüllentsorgung ist nicht nur regional oder gar auf Italien begrenzt, da ein Teil der Giftstoffe, die von den Industrien des Nordens in Kampanien verscharrt wurden, in Form von Lebensmitteln wieder in den Norden zurückkehren. Denn die Campania felix zählt zu den wichtigsten Obst- und Gemüselieferanten Italiens: Die Produkte, die hier wachsen, werden von den großen Supermarktketten in ganz Europa vertrieben. Viele Feldfrüchte sind jedoch mit Arsen und Schwermetallen belastet. (Isabell Zipfel aus Neapel, 14.1.2016)