Zwei Stunden verhandelte die Regierung und Landeshauptleute beim Asylgipfel.

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Aus der von der ÖVP geforderten Obergrenze wurde ein "Richtwert".

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Demonstration vor dem Bundeskanzleramt

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Wien – Analog zum Streit um den Grenzzaun im Süden legten die Koalitionäre am Mittwoch beim Asylgipfel im Kanzleramt ihren Disput um Obergrenzen gegen den hohen Flüchtlingsandrang bei. Und zwar vor allem mit einem neuen Wording: Ähnlich wie vor kurzem die kilometerlange Barriere aus Maschendraht zu beiden Seiten des Grenzübergangs in Spielfeld zunächst als "Türl mit Seitenteilen" oder "bauliche Maßnahme" abgetan wurde, sprechen Werner Faymann, Reinhold Mitterlehner & Co. jetzt lieber von "degressiv ausgerichteten Richtwerten" und "Planungsgrößen", um die hohe Zahl an Asylwerbern "drastisch" zu reduzieren.

Das Ergebnis des Asylgipfels, drei Maßnahmen, wird vorgestellt.
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Inklusive Familiennachzug

Um elf Uhr schritten am Ballhausplatz der rote Kanzler und sein schwarzer Vize, eskortiert von ihren Landeshauptleuten, zur Problemlösung: Keine zwei Stunden später erläuterten sie, wie viele Asylanträge, Familiennachzug inklusive, sie sich künftig maximal vorstellen, damit das heimische "System" nicht kollabiert und "die öffentliche Ruhe und Ordnung" im Land gesichert bleibt.

Konkret sollen es nach dem Rekordjahr 2015 mit 90.000 Anträgen heuer bloß 37.500 Asylwerber sein, 2017 soll die Zahl auf 35.000 schrumpfen, 2018 auf 30.000 und im Jahr 2019 sollen es dann nur mehr 25.000 Schutzsuchende sein – was insgesamt circa 1,5 Prozent der Bevölkerung entspricht. Im langjährigen Schnitt holte bisher jeder dritte anerkannte Flüchtling ein Familienmitglied nach, im Vorjahr erhöhte sich die Zahl auf jeden zweiten.

Attraktivität senken

Dazu erläuterten die Regierungsspitzen zwar ausführlich den Problemaufriss: Vom Arbeitsmarkt über die Quartierssuche bis zum Wohnungsmarkt sei die Aufnahme von mehr Menschen nicht möglich. Wie die Rückweisung von Asylwerbern an der Grenze und das Senken "der Attraktivität" von Österreich für Schutzsuchende konkret aussehen sollen, blieben Faymann und Mitterlehner jedoch schuldig.

Stattdessen verwiesen die beiden auf Gutachten, die nun von Professoren – dem Vernehmen nach von Walter Obwexer und Bernd-Christian Funk – erstellt werden sollen, damit "das Bündel an Maßnahmen" nicht mit der Genfer Flüchtlingskonvention und Österreichs Verfassung kollidiert. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) geht aber davon aus, dass die Zahl 37.500 noch vor dem Sommer erreicht sein wird und dass dann tatsächlich "gestoppt" werde.

Mindestsicherung prüfen

Neben einem strikteren Vorgehen an der Grenze, von dem laut Faymann Deutschland und Slowenien zu diesem Zeitpunkt im Groben, aber noch nicht im Detail informiert waren, will die Koalition auch überprüfen lassen, ob anerkannten Flüchtlingen die Mindestsicherung im selben Ausmaß zusteht wie den Einheimischen, die "mehr in das Sozialversicherungssystem" einzahlen.

Ungleichbehandlung bedingt möglich

Bei anerkannten Flüchtlingen wäre das laut dem Sozialexperten Walter Pfeil nicht zulässig, wie er zum STANDARD sagte. "Außer man setzt sich über das Völkerrecht hinweg." Bei subsidiär Schutzberechtigten biete hingegen eine EU-Richtlinie Spielraum für eine Ungleichbehandlung, so Pfeil.

Der Salzburger Wilfried Haslauer (ÖVP), derzeit Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, erklärte, was der Republik blüht, wenn das ausverhandelte "degressive Modell" nicht sofort angewandt werde: "Das war der letztmögliche Zeitpunkt, damit wir im Frühjahr nicht untergehen. Denn die Prognosen sprechen von 120.000 Personen."

Rückschiebungen oder Notlager

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) erklärte am Mittwochabend, Österreich könnte bei einer Überschreitung der Grenze nach schwedischem Vorbild Asyl-Anträge annehmen, sie aber erst nach Jahren bearbeiten und die Asylwerber in dieser Zeit in Lagern notversorgen. Die zweite Möglichkeit seien Rückschiebungen in sichere Drittstaaten, aus denen die Asylwerber gekommen sind.

Amnesty-Kritik

Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) stellte klar, dass "wir Kriegsflüchtlingen helfen wollen, aber Österreich kann nicht alle Probleme der Welt lösen". Immerhin nannte das Stadtoberhaupt eine konkret anvisierte Maßnahme, nämlich dass für die bessere Integration künftig schon Asylwerber verpflichtend mit Deutschkursen beginnen sollen, denn auch wenn jemand zurückgewiesen werde, "soll nichts Schlimmeres passieren, als dass er eine neue Sprache gelernt hat".

Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty, stellt zu den anvisierten Obergrenzen der Regierung klar: "Das ist rechtswidrig und populistisch. Das Ganze sind Sprechblasen, und es ist auch unehrlich gegenüber der Bevölkerung." Er rechnet auch künftig mit einem ähnlich hohen Flüchtlingsandrang wie 2015, "wenn es keine politischen Änderungen in den Krisenherden und in der Union gibt". Die Einigung der Koalition diene offenbar dazu, "Druck" aus der Debatte "wegzunehmen". Patzelt aber fordert: "Wir erwarten hier Rückgrat und keine Rechtsbrüche – weder gegen das Völkerrecht noch gegen EU-Recht."

Demonstration vor dem Bundeskanzleramt
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Protest

Am Mittwochabend wurde vor dem Bundeskanzleramt gegen die beschlossene Obergrenze demonstriert. Rund 400 Teilnehmer riefen zur "Solidarität" mit allen Asylsuchenden auf.(Günther Oswald, Nina Weißensteiner, Video: Maria von Usslar, 20.1.2016)