Kommunikation in Zeiten der Flüchtlingskrise. Eine Gedankensammlung.

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Die Obergrenze: Ein Kommunikationsdesaster. Nachdem ich den kurzen Beitrag über das kommunikative Versagen der Bundesregierung geschrieben habe, werde ich gefragt, welche Strategie denn Heinz-Christian Strache nicht in die Hände gespielt hätte. Eine spannende Frage. Die Antwort tippe ich an einem Abend zwischen 19.45 und 20.48 Uhr aus dem Bauch heraus, es ist ja keine "echte" Kundenberatung, für die ich Geld bekomme und wo man ein "echtes" Konzept ausarbeitet. Aber ich will zeigen, dass man mit Hausverstand und G'spür relativ schnell und unkompliziert eine Strategie entwickeln kann, die mit Sicherheit besser funktionieren würde als die Strategie der Bundesregierung, und das, obwohl diese Berater um nicht wenig Steuergeld beschäftigt.

Ausgangslage

Wir sehen eine Uneinigkeit in der EU, haben die FPÖ in den Umfragen klar vorne, und die Meldungen über die Probleme mit Flüchtlingen werden nicht weniger. Ich gehe in diesem Szenario davon aus, dass es auf EU-Ebene weiterhin wenig Bewegung geben wird, die Einrichtung der Hotspots ebenso dauern wird wie die Schaffung der notwendigen Kapazitäten zur Unterbringung der Flüchtlinge. In einem anderen Szenario würde ich mich mit einer längerfristigen Strategie beschäftigen, die man schon vor Jahren beginnen hätte sollen, um die fröhliche Urständ feiernde Fremdenfeindlichkeit in den Griff zu bekommen.

Zwölf Punkte

1. Das Problem klein machen

Die gesamte Flüchtlingschose ist für alle eine große Aufgabe, der finanzielle Aufwand dafür ist aber relativ überschaubar. Ich würde als Vergleichswert die Hypo nehmen oder in etwa die Aufwendungen für die ÖBB, das sind schön plakative Beispiele. Die wirklichen Herausforderungen heißen für Österreich Pensionen, Gesundheitssystem, Bildung und nicht das Flüchtlingsthema. Das muss die Politik klar kommunizieren. Man kann schöne Grafiken produzieren und zeigen, dass es hier in Wahrheit um nichts geht.

2. Menschlichkeit wecken

Bei Kindern und Hunden hört sich der Spaß für die härtesten Menschen auf. Wir erinnern uns an die Bilder des kleinen Buben am Strand. Das hat jedem das Herz gebrochen. Mit "jungen, kräftigen Männern" hat keiner Mitleid, mit Kindern immer. In einer Medienstrategie ist daher viel mit Kindern und Bildern von Kindern zu arbeiten, es sind Kinder in Flüchtlingsheimen zu zeigen und so weiter.

3. Die zeitliche Befristung klarmachen

"Wir sind sehr gerne Gastland und kümmern uns um euch, bis ihr wieder in eure Heimat zurückkönnt." Es kann kein wahnsinnig großes Problem sein, mit Flüchtlingen zu arbeiten, die sagen, dass sie es kaum erwarten können, ihre Heimat wiederaufbauen zu können. Die nur auf das Ende des Krieges warten. Jede Sekunde, die man nicht daheim ist, tue einem weh, man könne jetzt dort nicht leben, wegen des IS und des Assad-Regimes, aber sobald die Lage wieder normal sei, wolle man zurück. Durch geschickte PR- und Medienmaßnahmen kann man dieses Bild erzeugen.

4. Leadership zeigen

In der EU geht nichts weiter. Ich würde Kanzler und Außenminister empfehlen, aktive Politik zu machen. Zum Beispiel eine Einladung zu einer Flüchtlingskonferenz nach Wien, eine enge Abstimmung mit den Nachbarstaaten zur Umsetzung einer gemeinsamen Strategie. Kanzler und Außenminister sollten weiters aktiv EU-Hauptstädte besuchen und für die gemeinsame Sache werben, Griechenland und Italien medienwirksam Hilfe anbieten und die Entsendung von Rotem Kreuz und Polizisten, um den Aufbau der Hotspots zu beschleunigen. Weiters sollte eine Geberkonferenz für das UNHCR mitinitiiert werden. Soll zeigen: Österreich bemüht sich, bietet Hilfe an und legt klare Lösungsvorschläge auf den Tisch.

5. Niemals Brüssel die Schuld geben

Es ist eine ungute Tradition, dass nationale Regierungen und deren Chefs stets Brüssel beziehungsweise "der EU" die Schuld an Entwicklungen geben. Brüssel dient meist als Ausrede. Nur eine europäische Lösung kann uns etwas bringen. Die Beschädigung Brüssels ist eine Selbstbeschädigung. Es braucht ein Kerneuropa der Willigen, die anderen zu überzeugen dauert zu lange. Diese Zeit hat man jetzt nicht. Darüber hinaus spielt eine Beschädigung Brüssels nur den Rechten in die Hände.

6. Klar und hart bei Verstößen sein

Die Mehrheit der Flüchtlinge sind hochanständige Menschen, die dankbar sind, weil wir sie aufnehmen und sie als Gäste bei uns unterbringen. Bei Verstößen (Stichwort Köln) muss rigoros durchgegriffen werden, sofortige Abschiebungen sind durchzuführen. Wer sich nicht an die Gesetze hält, hat sein Gastrecht in der Sekunde verwirkt. Diese klare – und auch richtige – Linie nimmt den Populisten das Wasser von ihren Mühlen.

7. Die Rück-Erpressung

Ich hole mir die Eigentümer der großen Boulevardmedien an einen Tisch oder in Einzelgespräche. Entweder sie hören in der Sekunde auf mit Stimmungsmache, oder ich sorge als Kanzler dafür, dass sie keine Inserate einer öffentlichen Institution mehr bekommen und drohe damit, dass ich mit allen relevanten Unternehmungen Österreichs sprechen werde, um diese zu einem Inseratenboykott zu bewegen.

8. Medien einbinden

So eine nationale Aufgabe kann nur gemeinsam geschultert werden. Es sind daher alle Medienmacher des Landes einzubinden. Ziel ist eine gemeinsame Kraftanstrengung, um das feindliche Klima wieder zu drehen. Das ist durchaus möglich, man muss es nur wollen. Man hat gesehen, dass einzelne Ereignisse (totes Kind am Strand, Westbahnhof-Hilfe, Köln) extreme Stimmungsschwankungen auslösen können.

9. Politik erklären, erklären, erklären

Die Regierung erklärt nur alle paar Monate einmal, was sie gerade tut. Der Rest ist Schweigen. Das muss aufhören. Wenn man mit einem derart schwierigen Thema konfrontiert ist, muss man informieren. Und das so viel wie möglich. Man muss für seine Position werben, widersprechen, wo es nötig ist. Klarmachen, was passieren wird. Nicht länger verschweigen, was man schon monatelang vorher weiß. Wenn eine Anzahl von XY Menschen 2016 erwartet wird, dann wird eine Beschwichtigung oder die Nennung einer niedrigeren Zahl gar nichts bringen.

10. Keine Diskussionen über Mindestsicherung

Eine Lieblingserzählung der Rechten lautet: "Bei uns gibt es auch genug arme Leute" – und das stimmt ja auch. Wie man dann auf die Idee kommen kann, die Mindestsicherung zu kürzen, während man die Unterstützung des Volkes haben will, ist mir ein Rätsel. Es ist eine alte Strategie der Rechten, Schwache gegen noch Schwächere auszuspielen; das Antasten der Mindestsicherung befeuert das nur.

11. An den Nationalstolz appellieren

Die Rechten spielen immer mit dem Heimatthema. Machen wir das doch auch. Wir sind stolz auf unsere Werte und stolz darauf, dass wir ein hilfsbereites Land sind. Ein echter Österreicher hilft. Und er tut das gerne. Man muss Politiker und Prominente einbinden, die müssen auf Achse sein und aus jeder Zeitung schauen, wenn sie mithelfen.

12. Gemeinsames Agieren, gemeinsames Wording, kein Ausscheren

Schluss mit dem politischen Geplänkel, Schluss mit dem gegenseitigen Anschütten. Die Regierung hat den Eindruck der Ernsthaftigkeit zu vermitteln und zu zeigen, dass man – bei allen Unterschieden in Sachfragen – hier an einem Strang zieht.

Rede zur Lage der Nation

Da ließe sich noch einiges aufzählen. Natürlich gehörten die Gemeinden ebenso in die Pflicht genommen wie die Länder – noch viel stärker. Ich denke auch an eine "Rede zur Lage der Nation" aus der Hofburg, hinter dem Kanzler steht die gesamte Bundesregierung, Vertreter der NGOs, Jugendorganisationen. Er sagt:

"Liebe Österreicherinnen und Österreicher, die Flüchtlingsfrage ist das wohl am meisten diskutierte Thema unseres Landes. Oft glaubt man, es gebe gar kein anderes Thema mehr. Ja, wir stehen vor einer gewaltigen Herausforderung. Aber ist diese so groß, wie wir alle glauben? Ich sage Ihnen ganz offen: Nein, das ist sie nicht. Wir haben in der Vergangenheit viel größere Herausforderungen zu stemmen gehabt und diese bewältigt.

Viele Bürger fragen mich, ob wir uns das leisten können. Haben wir bei der Hypo gefragt, ob wir uns das leisten können? Die Hypo kostet Sie als Steuerzahler viel mehr Geld, als uns die Flüchtlinge je kosten werden. Wir werden alle noch für die Hypo zahlen, da werden die meisten Flüchtlinge unser Land längst schon verlassen haben, um ihre Heimat wieder aufzubauen.

Es geht nicht um Zuwanderung ...

Hören Sie auch nicht auf jene, die von Zuwanderung sprechen. Es geht hier nicht um Zuwanderung. Es geht darum, dass wir Menschen, die vor einem Krieg fliehen, vorübergehend ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen geben. Es geht nicht darum, dass unsere Gesellschaft unterwandert wird, wie viele behaupten, oder wir – ein noch größerer Blödsinn – zu Fremden im eigenen Land werden würden.

Wir haben Gäste in unserem Land, die eine Zeitlang bleiben werden; die Politik hat dafür zu sorgen, dass die Konflikte und Kriege, die zu deren Flucht geführt haben, beendet werden. Das ist unser Job. Und den müssen wir endlich machen.

In den Medien sind immer wieder Horrorgeschichten zu lesen, denken Sie nur etwa an Köln. Kriminelle sind wie Kriminelle zu behandeln, das ist selbstverständlich, niemand käme auf diese Idee. Und ja, es gibt einen Unterschied zwischen Asylwerbern und Einheimischen bei Straftaten. Asylwerber werden in der Sekunde von uns abgeschoben. Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat hier nichts verloren, das ist selbstverständlich.

... und nicht um Willkommenskultur, ...

Es geht im Grunde um eine einzige Frage: Schaffen wir es, dass wir Flüchtlingen in der Größenordnung von circa 1,5 bis 2 Prozent unserer Bevölkerung eine Zeitlang einen sicheren Ort bieten. Wenn wir das nicht schaffen, meine lieben Österreicherinnen und Österreicher, dann schaffen wir gar nichts. Dann brauchen Sie sich von uns keine Reformen, keine Fortschritte am Arbeitsmarkt oder Ähnliches erwarten. Wenn wir als Gesellschaft schon an so einer Aufgabe scheitern, dann scheitern wir in allen anderen Fragen auch.

Es geht auch nicht um Willkommenskultur. Geht es um Willkommenskultur, wenn Sie einen Ertrinkenden retten? Nein, es geht darum zu helfen. Und Sie warten auch nicht, ob jemand anderer hilft, oder? Sie helfen. Wir freuen uns, wenn viele europäische Länder ihr Gastrecht anbieten. Wenn wir aber mit Deutschland und Schweden zu den wenigen gehören, dann ist das keine Fahrlässigkeit von uns, es ist richtig, egal, was andere tun.

... sondern darum, sich den Herausforderungen zu stellen ...

Wir kommen bei der Schaffung von Kapazitäten an unsere Grenzen, das ist richtig. Aber wenn wir ehrlich sind, dann haben wir uns noch nicht überall so bemüht, wie wir eigentlich sollten. Und wissen Sie, woran das liegt? Dass wir Angst haben. Angst, Wahlen zu verlieren. Angst, unbeliebt zu sein. Angst, weil wir zwar einen Plan haben, aber nicht wissen, ob er funktionieren wird, weil wir es nicht alleine entscheiden können, weil es eben internationale Fragen sind, die uns hier beschäftigen.

Angst aber war noch nie eine gute Grundlage für das eigene Handeln. Wir sind Österreicher, unsere Großeltern haben ein zerbombtes Land, ein Land ohne Perspektive aufgebaut, wir gehören zu den reichsten Ländern der Welt. Das alles wurde nicht geschafft, weil wir Angst hatten. Nein. Es wurde erreicht, weil wir uns etwas zugetraut haben, und mehr noch: Wir haben uns unseren Herausforderungen gestellt, ohne zu jammern. Ich weiß, dass viele von Ihnen mit der Arbeit der Regierung unzufrieden sind, und ja, wir könnten vieles besser machen. Ich weiß, dass viele von Ihnen von der Politik generell enttäuscht sind. Und ich kann Ihnen nicht einmal sagen, dass Sie das zu Unrecht sind. Es geht hier aber nicht um uns. Nicht um unsere Fehler. Nicht um unsere Versäumnisse, die wir zweifellos zu verantworten haben.

Es geht um Menschen, die keinem von uns etwas getan haben und die um ihr Leben gerannt sind. Viele von ihnen haben es nicht einmal zu uns geschafft. Und sollen wir wirklich jemandem einen Vorwurf machen, dass er lieber bei uns bleiben will als in einem der anderen Länder Europas? Der Charakter eines Menschen zeigt sich in Krisenzeiten; das Herz eines Menschen zeigt sich, wenn er gebraucht wird. Diese Menschen brauchen uns jetzt für eine gewisse Zeit. Wenn es ein Land gibt, das diese Herausforderung schaffen wird, dann sind es wir, da bin ich ganz sicher.

... und internationale Lösungen voranzutreiben

Abgesehen von den nationalen Anstrengungen haben wir auch internationale Aufgaben zu erfüllen. Ich habe, gemeinsam mit unserem Außenminister, eine Initiative gestartet, um Bewegung in die starren Fronten der EU-Mitgliedsstaaten zu bringen. Wir werden noch im Februar zu einer Konferenz nach Wien laden, um einerseits die notwendigen Mittel für den Betrieb der Flüchtlingslager vor Ort bereitzustellen und andererseits bei der Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der EU Fortschritte zu erreichen. Ich habe darüber hinaus Alexis Tsipras und Matteo Renzi schnelle und unkomplizierte Hilfe beim Aufbau der Hotspots angeboten. Wir sind jederzeit bereit, Soldaten, Polizisten und Vertreter der NGOs zu entsenden. Österreich streckt seine Hand aus und arbeitet intensiv an internationalen Lösungen mit.

Wir müssen nationale Maßnahmen treffen, um eine geordnete Abwicklung sicherzustellen. Dazu gehört, dass wir an den Grenzen unsere Präsenz verstärken, um eine lückenlose Registrierung der Ankommenden sicherzustellen. Das war sicher ein Versäumnis der letzten Monate, das wird der Vergangenheit angehören. Wir müssen ebenso rasch über Rückführungen mit Ländern wie Marokko und Afghanistan bilaterale Gespräche aufnehmen. Wer ein Recht auf Asyl oder subsidiären Schutz hat, der kann bei uns gerne Gast sein. Allen anderen wird mitzuteilen sein, dass wir sie nicht bei uns aufnehmen werden. Es wäre aber rücksichtslos, sie etwa alle nach Slowenien zurückzuschicken und damit unseren Nachbarn über Gebühr zu belasten. Wir werden daran arbeiten, dass Rückführungen direkt in jene Länder stattfinden, aus denen die Menschen gekommen sind.

Machen Sie sich keine Sorgen

Liebe Österreicherinnen und Österreicher! Machen Sie sich keine Sorgen, dass Ihnen Flüchtlinge etwas wegnehmen würden. Kein Flüchtling wird Ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen; Sie werden keinen Euro weniger auf dem Konto oder Lohnzettel haben. Das ist alles absurde Angstmache. Diese Menschen sind froh, wenn sie in Frieden leben können und wenn sie Obdach und Essen für die Zeit bekommen, die sie bei uns bleiben, bevor sie in ihre Heimatländer zurückkehren.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir in ein paar Jahren stolz auf die Bewältigung dieser Herausforderung sein werden. Dass wir stolz sein werden, unseren Beitrag in dieser für diese Menschen so schweren Zeit geleistet zu haben. Heimat, großer Töchter und Söhne. Heimat auf Zeit für Menschen, die es sich verdient haben, von uns freundlich behandelt zu werden." (Rudolf Fußi, 26.1.2016)