Im aktuellen Bildungssystem bleibt die Baukultur oft auf der Strecke. Mit Nudeln, Legosteinen und Keksarchitektur soll dieses Manko aufgeholt werden.

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Die Vision aller Vermittlungsinitiativen ist die Bildung von Menschen, die in der Lage sind, sich kompetent in Planungs- und Beteiligungsprozesse einzubringen.

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Es geht um die Nudel. Zsombor, Schüler, neun Jahre alt, steckt und schraubt die Maccheroni und Penne zu einem 60 Zentimeter hohen Turm zusammen. Die Verbindungsknoten werden mittels Pattex-Heißkleber verklebt. Diagonale Verstrebungen aus Spaghetti sollen den Teigwarenwolkenkratzer stabiler machen.

"Ja, so haben wir das gelernt. Das sind die Druck- und das sind die Zugstäbe, und die Diagonalen sorgen dafür, dass das Ganze nicht wie ein Kartenhaus einknickt", erklärt Zsombor. "Aber mein Turm wird besonders stabil werden. Warum? Na, ganz einfach, weil ich in die Hohlräume der Nudeln überall Heißkleber hineingebe. So wird alles noch fester."

Einsturz der Nudelhochhäuser

60 Zentimeter Bauhöhe sind erreicht. Der Kleber ist ausgekühlt und gehärtet. Jetzt werden die Türme der angehenden Baumeisterinnen und Baumeister dem Belastungstest unterzogen. Mit Tetrapacks. Mit Sechserpacks Mineralwasser. Mit randvoll wassergefüllten Kübeln. Schon nach wenigen Kilogramm beginnen sich die Nudeln zu biegen, schon bald ist das erste Knacksen zu hören. Die meisten Nudelhochhäuser stürzen bei 10 bis 15 Kilogramm ein. Zsombors Verbundkonstruktion jedoch entlockt den anderen Kindern immer wieder ein staunendes "Das gibt's doch nicht!" , ehe der Turm bei einer Belastung von 29,5 Kilogramm schließlich kollabiert und zu spröden Splittern zerschellt.

"Im aktuellen Bildungssystem wird Wert auf Kunst und Musik gelegt, aber das Erlebnis der Raumerfahrung und des baulichen, architektonischen Forschens und Entdeckens bleibt in der Schule auf der Strecke", sagt Michaela Sauer, Leiterin des kürzlich gegründeten ArchitekturClubs Wien. "In unseren Kursen wollen wir dieses Manko nachholen und den Kindern und Jugendlichen ein gewisses Gespür für Raum und Stadt sowie für die gebaute Umwelt vermitteln."

Wie begreife ich den Raum?

Der ArchitekturClub bietet Workshops in Kindergärten und Schulen an, organisiert aber auch laufende Kurse, Museumsbesuche und Stadtspaziergänge zu unterschiedlichen Schwerpunktthemen. Im Gegensatz zum ohnehin schon sehr dichten Angebot an Baukulturvermittlung in diversen Institutionen wie etwa dem Architekturzentrum Wien (AZW), dem Haus der Architektur (HDA) in Graz oder dem aut in Innsbruck, sollen die Kinder und Jugendliche hier nicht an einer einmaligen Veranstaltung teilnehmen, sondern einen langfristigen, mal zehnwöchigen, mal semesterlangen Kurs absolvieren. Im Fokus stehe das langsame Lernen, der langfristige Aufbau eines Raumverständnisses, so Sauer.

"Mein Ziel ist es, die Kinder und Jugendlichen so vorzubereiten, dass sie in der Lage sind, mit Raum umzugehen und ein Grundverständnis für den eigenen Lebensbereich zu entwickeln. Und wenn es nur darum geht, dass sie später einmal ihre Wohnvorstellungen formulieren können und nicht nur das als gottgegeben hinnehmen, was ihnen der Wohnungsmarkt vorsetzt."

Kurse und Workshops

Einen Schritt weiter als die derzeit noch mobile Institution des ArchitekturClubs ist das sogenannte bilding in Innsbruck. Die Einrichtung, die in einem experimentellen Holzbau im Rapoldipark neben dem städtischen Hallenbad untergebracht ist, wurde Ende 2014 gegründet und umfasst Kurse und Workshops im Bereich Kunst und Architektur. Pro Woche nehmen rund 150 Schülerinnen und Schüler daran teil.

"Wir arbeiten ausschließlich mit Architektinnen und Künstlern sowie Kreativen, die mitten im Berufsleben stehen", sagt bilding-Leiterin Monika Abendstein. Schon seit vielen Jahren engagiert sie sich für Architekturvermittlung für Kinder und Jugendliche. Mit dem bilding im Rapoldipark habe das Angebot nun endlich eine bauliche Manifestation gefunden. "Es heißt immer, der Raum sei der dritte Pädagoge, doch bei uns steht der Raum absolut im Vordergrund. Allein schon am bilding selbst, das mit Architekturstudenten entwickelt und errichtet wurde, sehen die Kinder, was alles möglich ist."

Vision, Neugier, Kompetenz

Das Jahresbudget beläuft sich auf knapp 100.000 Euro, wobei zwei Drittel davon durch Förderungen von Stadt, Land und Bund abgedeckt werden. Bei den letzten 30 Prozent ist Abendstein auf Spenden und Sponsorengelder angewiesen. Die Kurse selbst sind dafür kostenlos. Geheizt wird der temporäre Pavillon übrigens mithilfe des angrenzenden Hallenbads. Das ohnehin schon warm aufbereitete Wasser dient hier als eine Art Mikro-Fernwärmenetz.

"Wir sprechen immer von Visionen, vergessen dabei aber, dass es die Kinder sind, die einen entscheidenden Beitrag zu diesen Visionen leisten, denn ihre Sichtweise ist noch offen und voller Neugier", so Abendstein, die einst selbst als Architektin tätig war. "Diese Kreativität und diese Gestaltungskraft gilt es zu fördern. Am Ende des Tages haben wir es mit jungen Erwachsenen zu tun, die erkannt haben, dass sie gestalten können, dass sie einen gewissen Mehrwert leisten können, dass sie sich in Stadtplanungs- und Bürgerbeteiligungsprozesse kompetent einbringen können."

Das Thema der Architekturvermittlung, ob inner- oder außerschulisch, hielten die meisten für immens wichtig, erklärt Babara Feller, Obfrau der Initiative Baukulturvermittlung für junge Menschen (bink). "In dem Moment aber, wo es darum geht, diese Vermittlung zu finanzieren und in die Realität umzusetzen, wird es schwierig. In Anbetracht dieser Umstände sind die Initiativen in Österreich tiptop!"

Vorbild Skandinavien

Großes Vorbild sind nach wie vor die skandinavischen Länder. In Finnland wurde bereits 1993 die Arkki School of Architecture for Children and Youth gegründet. Die Institution, die in Helsinki startete und bereits Dependancen in Espoo und Vantaa sowie Franchise-Einrichtungen in Athen und Thessaloniki betreibt, befindet sich in einer ehemaligen Kabelfabrik am Rande der Innenstadt und veranstaltet rund 50 verschiedene Kurse mit mehr als 600 Schülerinnen und Schülern pro Woche.

"1993 gab es in Finnland einen Regierungsbeschluss, der besagte, dass künftig auch Kunstsparten wie Zirkus, Theater und Architektur in den Schulplan miteinbezogen werden müssen", erinnert sich Arkki-Direktorin Pihla Meskanen im Gespräch mit dem STANDARD. "Das war die Geburtsstunde von Arkki. Und wissen Sie, was mich dazu motiviert? Menschen, die keine Ahnung von Architektur und Baukultur haben, treffen in der Politik und Bauwirtschaft schwergewichtige Entscheidungen, die Konsequenzen auf das gesamte Land und auf viele weitere Generationen haben. Ich möchte dazu beitragen, die Entscheider von morgen auszubilden und zu sensibilisieren."

Heute bauen die Kids noch mit Penne und Pattex, mit Zuckerwürfeln und Keksen, mit Legosteinen und Karton. Morgen schon mit Ziegel, Stahl und Beton. Und vielleicht mit etwas mehr Hirn und Herz. (Wojciech Czaja, 14.2.2015)