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Beim EU-Gipfel wird über Großbritannien diskutiert. Das eigentliche Thema ist aber der Umgang der EU mit der Flüchtlingskrise.

Foto: REUTERS/Srdjan Zivulovic

Die Positionen der einzelnen EU-Regierungen in Sachen Flüchtlinge.

Grafik: Standard

Es sollte diese Woche in Brüssel ein EU-Gipfel werden, bei dem vor allen anderen nur ein Mann im Zentrum des öffentlichen Interesses und der Zuwendung steht: der britische Premierminister David Cameron.

So hatten die Staats- und Regierungschefs der Union das bereits geplant, als sie sich beim letzten Treffen kurz vor Weihnachten in die Ferien verabschiedeten. Ratspräsident Donald Tusk gab ihnen den 18. Februar als Termin.

An diesem Tag wollte man sich ganz den Sonderwünschen des Kollegen aus London widmen, in einer Art "Spezialshow", um mit einem geschickten Kompromiss die Briten zu überzeugen; und das zu verhindern, was alle Beteiligten nicht wollen: einen "Brexit". Den Austritt des Königreiches aus der EU nach 40 Jahren.

Seit Jahren hatte sich der Druck in diese Richtung aufgebaut, ausgelöst durch EU-Skeptiker, die gegen eine "Fremdbestimmung" durch Brüssel auftraten. Der Konservative Cameron selber hatte unter dem Druck seiner eigenen Partei vor den Wahlen 2015 angekündigt, dass er spätestens 2017 ein Referendum dazu abhalten wolle. Sollten die Partner nicht bereit sein zu Reformen, zur Rückverlagerung von Kompetenzen auf die nationale Ebene vor allem und zu mehr Liberalisierung und Wettbewerb, so werde das Unvermeidbare kommen: der Brexit.

Ein solcher würde wirtschaftlich nicht nur das Königreich beschädigen, es wäre ein schwerer politischer Schaden auch für die Union auf ihrem Weg des Zusammenwachsens, gegen eine "immer engere politische Integration".

Drohende ökonomischen Nachteile sind auch einer der Gründe, warum auch Cameron in Wahrheit den EU-Austritt seines Landes verhindern will, obwohl er damit droht. Ein seltsames Doppelspiel zum Erhalt der Macht.

Aber er ist ein Getriebener der Skeptiker bei den Tories. Der Ausweg: Bei einem "Cameron-Gipfel" sollte ein maßgeschneidertes Paket von Zugeständnissen der EU-Partner an die widerspenstigen Briten geschnürt werden, das den Premier als großen Kämpfer und Sieger in der Schlacht erscheinen lassen soll; ohne dass diese Ausnahmen und Sonderregelungen die bestehenden EU-Verträge allzu sehr in ihrer Substanz beeinträchtigen würden.

Der Kampf des Löwen

Genau dieses Szenario wurde seit Monaten penibel vorbereitet. Zuletzt hatte Tusk als "Chef der Chefs", wie berichtet, ein Kompromisspapier vorgelegt, das nun als Beschlussvorlage dienen wird.

"Der Kompromiss ist in Wahrheit schon ziemlich fertig", sagten EU-Abgeordnete, die bei den Vorverhandlungen dabei waren. Man wolle Cameron aber noch eine große Bühne bieten. So steht noch nicht ganz fest, für wie lange der Brite eine Ausnahmeregelung für sein wichtigstes Anliegen bekommt: die Einschränkung von Sozialleistungen für EU-Ausländer in Großbritannien. Es wurde erwartet, dass er "wie ein Löwe" bis weit nach Mitternacht kämpft.

Bis zu den Terroranschlägen in Ankara am Abend hatte es dann aber zunächst so ausgesehen, als würde die große Cameron-Show durch das Flüchtlingsthema in den Schatten gestellt. Weil es den EU-Staaten und der Kommission nicht gelungen ist, bei der Eindämmung der Flüchtlingsströme einen echten Durchbruch zu erzielen, sollte das Treffen der Regierungschefs wie schon im Dezember ganz im Zeichen der Migrationskrise stehen. Nicht auf Cameron, sondern auf den türkischen Premier Ahmed Davutoglu waren die Hoffnungen gerichtet. Von ihm erwarten vor allem die von den Flüchtlingen besonders betroffenen Staaten Erleichterung durch ein Weitertreiben des Aktionsplans EU-Türkei – allen voran Kanzlerin Angela Merkel.

Terror statt Flüchtlinge

Der für Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn zeigte sich im STANDARD-Interview optimistisch, dass es mit der Türkei jetzt "Zug um Zug" Fortschritte geben wird. Seit einer Woche gingen die Zahlen der von der Türkei nach Griechenland über das Meer geflüchteten Menschen deutlich zurück. Nur noch 335, 338, 180, 50 und 200 waren es vergangene Woche von Montag bis Freitag gewesen.

Noch vor dem regulären EU-Gipfel wollte daher eine Gruppe der willigen Staaten (mit Merkel, Davutoglu und Frankreichs Präsident François Hollande unter anderem) auf Einladung von Kanzler Werner Faymann zu einem Sondertreffen in der österreichischen Botschaft zusammenkommen.

Ziel: Wie lässt sich der illegale Zuzug über die Balkanroute begrenzen, die EU-Außengrenze zur Türkei besser kontrollieren? Viele Konzepte liegen auf dem Tisch. Aber am Abend sagte der türkische Premier seine die Reise nach Brüssel wegen des Terroranschlags in Ankara ab, dann Faymann auch das Sondertreffen. Nächster Versuch: im März. Cameron bekommt seine "Show". (Thomas Mayer, 18.2.2016)