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Heimische Großunternehmen wie Porr und Strabag erwirtschaften große Teile ihres Umsatzes in Polen, Tschechien oder Ungarn. Bei der Strabag entfallen 21 Prozent der Bauleistung auf die Region.

Foto: Reuters/Bader

Wien – Den Kampf gegen die Arbeitnehmer aus Osteuropa hat Werner Muhm eröffnet. Der einflussreiche Direktor der Arbeiterkammer rief in einem Interview mit der "Krone" dazu auf, über die Einschränkungen der Personenfreizügigkeit in der EU zu diskutieren. Der Anteil ausländischer Beschäftigter habe über die vergangenen Jahre stark zugenommen, sagte Muhm. Der Zustrom von Ungarn, Slowaken und Rumänen lasse die Arbeitslosigkeit in Österreich steigen.

Seit Muhms Appell ist eine Debatte darüber entbrannt, ob es geboten ist, den Zuzug einzuschränken. 220.000 Menschen aus den EU-Mitgliedsländern in Osteuropa sind immerhin laut AMS in Österreich beschäftigt. In Deutschland sind es weniger als eine Million Arbeitnehmer aus diesen Staaten, obwohl der deutsche Arbeitsmarkt zehnmal größer ist.

Wobei Befürworter und Gegner von Einschränkungen meist über einen Punkt streiten: Sind weniger ausländische Arbeitskräfte gut, weil dann mehr Beschäftigung für Österreicher übrig bleibt, oder nützt eine Schranke nichts, weil die Jobs (Pflege) kein Einheimischer machen will?

Auf Aktion folgt Reaktion

Doch Ökonomen warnen aus einem ganz anderen Grund davor, Restriktionen bei der Freizügigkeit zu schaffen. Sollte Österreich tatsächlich den Arbeitsmarktzugang für Osteuropäer beschränken, würden die Verantwortlichen in Prag, Budapest und Bratislava nicht tatenlos zusehen. Sie müssten schon aus innenpolitischen Gründen reagieren und wirtschaftliche Gegenmaßnahmen ergreifen. "Auf jede Aktion folgt eine Reaktion", sagt Mario Holzner, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) in Wien. Und die Reaktion könnte für Österreich "drastische" Effekte haben.

Denn Zentral- und Osteuropa ist aus Sicht der heimischen Wirtschaft immens wichtig. Von kaum einer anderen Weltgegend hängt der Wohlstand in Österreich derart stark ab. Das heißt aber auch, der Osten ist Österreichs Achillesferse. Am offensichtlichsten wird dies, wenn man einen Blick in die Exportstatistik wirft. Viel war in den vergangenen Jahren von der Weltmacht China die Rede.

Aber Österreichs Firmen liefern immer noch mehr Maschinen, Chemikalien und Pkw-Teile nach Tschechien, Polen oder Ungarn als nach China. Wichtig ist der Osten deshalb, weil Österreich mit den Ländern dort einen konstanten Exportüberschuss erwirtschaftet. Man verkauft also mehr Waren, als man einkauft. Der Überschuss summierte sich in den vergangenen zehn Jahren auf 35 Milliarden Euro. Bei der Wirtschaftskammer (WKO) schätzt man, dass jeder zehnte heimische Arbeitsplatz von der Exporttätigkeit im Osten hängt.

Jeder zehnte Job

Rund ein Viertel der im Ausland erwirtschafteten Unternehmensgewinne stammt zudem aus den EU-Staaten östlich der Grenze. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Österreichs Unternehmen 170 Milliarden Euro Kapital im Ausland angelegt haben. Das Geld steckt in Shoppingcentern wie Fabriken. 51 Milliarden haben die Firmen allein in Osteuropa investiert.

Die Abhängigkeit vom Geschäft in der Region zeigt sich aber besonders an jenem Ort, wo die Nerven zuletzt oft blank lagen: an der Börse. Der österreichische Leitindex ATX spiegelt die Wertentwicklung von 20 wichtigen heimischen Unternehmen wider. Ein Drittel des Gewichts vom ATX entfällt auf Versicherungen und Banken. Gerade für sie ist Osteuropa von zentraler Bedeutung. Laut Schätzung von Experten der Raiffeisen Centrobank erwirtschaften die im ATX gelisteten Banken und Versicherer die Hälfte ihres Umsatzes im Osten.

Was aber kann geschehen, sollte Österreich den Arbeitsmarkt abschotten? Eine der ersten und in der Umsetzung unkomplizierten Gegenmaßnahmen wäre es, österreichische Firmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge auszubremsen, heißt es bei der Wirtschaftskammer.

Porr und Strabag exponiert

Heikel ist das für die Baubranche. Heimische Großunternehmen wie die Porr und Strabag erwirtschaften große Teile ihres Umsatzes in Polen, Tschechien oder Ungarn. Bei der Strabag entfallen 21 Prozent der Bauleistung auf die Region. Bei der Porr sind es 16 Prozent. Gleichgültig, was geschieht, mit einer einsetzenden Abschottungspolitik "würden wir uns sicherlich vor allem ins eigene Fleisch schneiden", sagt Christian Mandl, Leiter der EU-Abteilung in der WKO.

Die Ökonomen vom WIIW gehen davon aus, dass die ersten Leidtragenden die Banken wären. Westliche Kreditinstitute waren zuletzt in Ländern wie Ungarn ohnehin unter Druck, hier könnte die Politik einfach ansetzen.

Hinzu kommt, dass bestehende Rationalisierungstendenzen in Ungarn und Polen zunehmen könnten, sagt Michael Landesmann, Leiter des WIIW. In Ungarn kam es schon zu mehreren staatlichen Eingriffen in den Gas- und Telekommarkt. Das Wort Strafzölle will Landesmann nicht in den Mund nehmen. Sollte aber mit der Abschottung des Arbeitsmarktes eine langsame Desintegration der EU einsetzen, könnte das dazu führen, dass Österreichs Exporteure Gegenmaßnahmen direkt zu spüren bekommen, so der Ökonom. (András Szigetvari, 24.2.2016)