Schmusende Brüste? In der Fotoserie "Zärtliche Berührungen" (1976) sind die aufgeblasenene Enden zweier Präservative zu sehen, die einander liebkosen und schließlich auch penetrieren: "Ambivalenzen von Anziehung und Abstoßung, Zärtlichkeit und Aggression kommen in meiner Arbeit oft vor", so Renate Bertlmann.

Foto: Renate Bertlmann/Bildrecht, Wien, 2016/ Sammlung Verbund

In der Performance "Die schwangere Braut im Rollstuhl" 1978 machte Renate Bertlmann die Unvereinbarkeit zum Thema zugleich Künstlerin und Mutter zu sein. Die Hochschwangere gebiert in dieser Performance ihr Baby, lässt es aber zurück.

Foto: © Renate Bertlmann/ Bildrecht, Wien, 2016/ Sammlung Verbund

Künstlerin Renate Bertlmann (geb. 1943 in Wien)

Foto: Reinhold Bertlmann

Wien – "Warum malt sie keine Blumen?", überschrieb Renate Bertlmann 1973 ihr feministisches Pamphlet, bewies also bereits als Teil der Aktion Unabhängiger Frauen ihr Gespür für Ironie und Humor. Ernst war es ihr hingegen mit dem Anliegen der Streitschrift, das "feminine Prinzip in eine maskuline Welt zu bringen, und dadurch die Welt menschlich anstatt männlich zu machen". Ihre eigene Methode: Die Macht des Phallus, das Symbol von Unterdrückung und Gewalt entwaffnen, indem man etwa den Blick auf männliche Genitalien wirft, den Penis entblößt, ihn zu etwas Alltäglichem macht, einem physiologischen Unterscheidungsmerkmal der Geschlechter.

Nicht die Wiener Akademie, das die Künstlerin als "dumpfes Loch" ohne weibliche Identifikationsfiguren empfand, lieferte Inspiration, sondern die feministische Bewegung und Lektüre, darunter etwa Texte von Simone de Beauvoir. Eindruck machte aber auch Literatur, wie Bertolt Brechts Kleinbürgerhochzeit oder Thomas Bernhards Ein Fest für Boris. Dessen "Krüppelasyl", mit den "Amputierten und Deformierten im Rollstuhl, die sich gegenseitig psychisch fertig machen", regte sie zur Schwangeren Braut im Rollstuhl (1978) an: eine hilflose von Schnullern entstellte Gebär- und Säugemaschine.

Von den Saugern kam Renate Bertlmann zu den Präservativen, nutzte Godemichés und Sexpuppen als Material, das sie "wie beim Billa" in den Sexshops erwarb, weil in den Objekten bereits sexuelles Begehren und Aggressionen gespiegelt sind. Dabei ist aber auch die Zwiespältigkeit der Dinge, Zärtlichkeit und Gewalt, Dominanz und Unterwerfung, ein in vielen ihrer Arbeiten angelegtes Motiv.

"Ich liebe Ambivalenzen, weil sie so menschlich sind. Wir schwanken ja dauernd so hin und her zwischen den Extremen", sagt Bertlmann, die etwa eine Serie quietschbunter Farphalla Impudica (Unverschämter Schmetterling) fertigte, geflügelte Phalli, die auch eine Transformationsgeschichte erzählen: von der Raupe zum Schmetterling. "Das ist ja eigentlich eine positive Entwicklung. Er wird frei", lautet der kecke Kommentar der heute 72-jährigen Künstlerin.

Aus Renate Bertlmanns Serie "Farphalle Impudiche" (1985)
Foto: Musa

Dass Bertlmanns Arbeiten heute noch die Kraft haben, die Gemüter zu erregen, zeigt sich auch in der jetzigen 40-Arbeiten-starken Hommage an eine weitere Vertreterin der "feministischen Avantgarde" in der Vertikalen Galerie der Sammlung Verbund situiert in der Konzern-Zentrale. Die Installation Bilderwandlung oder der pädagogische Eros von 1979 mit einem Betschemel vor einem recht mächtigen Dildo (San Erectus), wird in der Ausstellung "Amo ergo sum" (Ich liebe, also bin ich) nun doch nicht gezeigt: In Bürogebäuden gelten andere Kriterien als in einem Museum, so Sammlungsleiterin Gabriele Schor. Darauf nehme man Rücksicht.

STANDARD: Ihr Werk kreist aus weiblich-feministischer Perspektive um Sexualität und Themen wie Gewalt, Pornografie, Emanzipation, Körperfeindlichkeit. Die visuelle Sprache dafür war direkt, aggressiv, auch erotisch. Welche Vorwürfe hörten Sie am häufigsten?

Bertlmann: Weil ich auch viele phallische "Karikaturen" gemacht habe, wurde ich von den Männern diffamiert. 20 Jahre lang hörte ich aus verschiedensten Ecken, ich sei eine Psychopathin, gestört, transportiere Männerhass usw. Man weigerte sich, die Ironie dahinter zu verstehen. Das ist nachvollziehbar, weil es nicht leicht zu verkraften ist, wenn ich mich so über ihr bestes Stück lustig mache. Das verkraften nur die, die wirklich eine reife Sexualität haben.

Renate Bertlmann: "Messer-Schnuller-Hände" (1981)
Foto: © Renate Bertlmann/ Bildrecht, Wien, 2016/ Sammlung Verbund

STANDARD: Kam die Kritik nur von Betrachtern oder auch von Kritikern und Kuratoren?

Bertlmann: Von überallher. Als Valie Export 1975 die erste internationale Frauenausstellung Magna Feminismus organisierte, hat sie lange nach einem Raum dafür gesucht. Dann erbarmte sich Oswald Oberhuber, damaliger Leiter der Galerie nächst St. Stephan, wollte die Arbeiten aber vorher absegnen. Export wählte eine Serie ganz abstrakter Hodenbilder und eine ebenfalls abstrahierte, behaarte Vulva, genannt Le charme indiscret de la bourgeoisie (1972), die sich ja auch über die sich exponierende Frau ironisch äußert. Die Vagina hat er genommen; bei den Hoden sei Oberhuber angeblich erstarrt und habe gesagt, das käme nicht in Frage, er fühle sich total exhibitoniert. Seither trägt die Arbeit den Titel Exhibitionismus (der Arbeitstitel lautete mit augenzwinkerndem Verweis auf die Frauenbewegung "Hodenbewegung", Anm.). Jetzt bin ich ein bisschen rehabilitiert (lacht), weil die Arbeit bis vor kurzem in der Ausstellung World Goes Pop in der Tate Modern in London hing. Kuratorin Jessica Morgan wollte es unbedingt haben und hat es angekauft.

STANDARD: Gefördert und ausgestellt wird feministische Kunst auch heute noch von Frauen. Gabriele Schor bemüht sich etwa darum, den Begriff der "feministischen Avantgarde" für sie und andere unter den Tisch gekehrte Künstlerinnen der 1970er-Jahre zu etablieren. Wie sieht es mit Fürsprechern des männlichen Geschlechts aus?

Bertlmann: Hat es die gegeben? In den 1970er- und 1980er-Jahren hat kein Mann Frauenausstellungen gemacht. Das wäre für sie absurd gewesen. Der Vorwurf der Ghetto-Ausstellung kam auch von Frauen. Die Männer haben uns alle ignoriert. Aber Kunsttheoretiker Peter Gorsen hat sich sehr eingesetzt und meine Arbeit unterstützt. In einem Essay schrieb er, ich hätte der weiblichen Zote – als Gegensatz zum Männerwitz – neues Terrain erobert oder sie überhaupt erst erfunden.

STANDARD: Ich habe gehört, Ihr Mann ist Feminist.

"Ausstülpungen" (1982): Noppen, die Brustwarzen, aber auch – je nachdem ob eingestülpt oder ausgestülpt – an Vagina oder Penis erinnern, tauchen als Motiv in einer Vielzahl von Arbeiten Renate Bertlmanns auf.
Foto: © Renate Bertlmann/ Bildrecht, Wien, 2016/ Sammlung Verbund

Bertlmann: Feminist der ersten Stunde. Und hat damit ganz schöne Troubles gehabt. Alice Schwarzer, die vor einigen Tagen Wien besuchte, hielt auch in den 1970er-Jahren Vorträge und da war er der einzige Mann und ist ziemlich schief angesehen worden. Ich habe zu jener Zeit intensivst in Frauengruppen mitgearbeitet und ihn manchmal eingeladen, sich dort etwas anzuhören. Das wurde nie goutiert. Aber gut, das verstehe ich. Wir mussten uns erst einmal einen Raum schaffen, wo wir Frauen allein sind. Es war unüblich, dass ein Mann wirklich genuines Interesse daran hatte und nicht reinkommt, um zu matschkern.

STANDARD: Anders als beispielsweise Valie Export oder Carolee Schneemann haben Sie ihren Körper bevorzugt in inszenierten Fotografien und auch nicht nackt eingesetzt, sondern mehr mit Objekten gearbeitet. Warum?

Bertlmann: Ich habe sehr viel Rollenspiele im Atelier, inszenierte Fotografie mit Selbstauslöser gemacht. In der Öffentlichkeit – Elke Krystufek hat etwa öffentlich onaniert – hätte ich derartiges aber nie getan. Obwohl ich mich auch mit meiner eigenen Sexualität auseinandergesetzt habe, war mir das zu intim. Mit den Performances habe ich relativ spät, 1977 mit Defloration in 14 Stationen bei einem internationalen Performance-Festival in Bologna, begonnen. Ich wollte zunächst noch nicht so raus, das war mir zuviel. Und dann plötzlich bin ich explodiert.

"Deflorazione in 14 Stazioni" (1977), Schwarzweißfotografie einer Performance von Renate Bertlmann im Museo Comunale d’Arte Moderna in Bologna
Foto: © Renate Bertlmann/ Bildrecht, Wien, 2016/ Sammlung Verbund

STANDARD: Liegt im Hinblick auf die Anliegen auch eine Schwierigkeit im Nacktsein? Schneemann musste sich von Zeitgenossen den Vorwurf "The Body" gefallen lassen.

Bertlmann: Nicht immer. Bei Schneemann schon, weil da schon sehr viel Pose dabei ist. Bei Marina Abramović hingegen war da stets eine vitalere und existenziellere Notwendigkeit dabei.

STANDARD: Die Suche nach neuen Materialien für ihre Objekte führte sie auch in Sexshops. Gab es da in Wien damals mehrere?

Bertlmann: Ja einige. In der Praterstraße, der Margaretenstraße…. Man musste sie nur kennen; meist waren sie mit einem kleinen Rotlichtlokal verbunden. Aber meine schönste "Schnuller"-Sammlung habe ich aus New York, wo ich mit meiner Performance Sling Shot Action (Zwei Sexpuppen werden mit einer aus Dildos gebauten Schleuder beschossen, Anm.) zu einem Festival eingeladen war. In New York nahm ich Kontakt zu den "Women Against Pornography" auf, die mich durch die 42nd Street, die Pornostraße, die es jetzt nicht mehr gibt, geführt haben. Sie zeigten mir die Pornoläden und Bordells und ich sah die erste Peepshow meines Lebens. Eine kleine stinkende Koje mit einem Rollo vor einem Fenster, das nach Einwurf einer Münze heraufschnurrte, den Blick auf eine sich lustlos räkelnde Frau freigab und dann – Zackbumm – nach höchstens zwei Minuten wieder herunterschnurrte. Das hat ja den Frust noch mehr gefördert. Die Atmosphäre in dem Haus war so gespannt, so negativ. Ich glaube die Männer sind dort noch aggressiver rausgekommen, als sie reingegangen sind.

"Zärtliche Pantomime" (1976), aus einer 6-teiligen Fotoserie, die Renate Bertlmann, wie so oft, in der geschützten Atmosphäre ihres Ateliers inszenierte.
Foto: © Renate Bertlmann/ Bildrecht, Wien, 2016/ Sammlung Verbund

STANDARD: Sie schufen auch Aggressives wie etwa eine Brust mit Messerspitze. Hat es Spaß gemacht, Frauen einmal als Täterin zu inszenieren?

Bertlmann: Ja, die Aggression war sonst nur den Männern erlaubt. Diese Messerbrüste sind mir auch von den Frauen oft als masochistisch angekreidet worden. Ich konnte ihnen nicht klar machen, dass die Konstruktion notwendig war, um die Brust als Fetisch abzulehnen. Frauen kritisierten mich als Phallus-Verehrerin, als Selbstverletzerin. 1977 habe ich eine Serie gemacht, Renée ou René – Rape, in der ich mich als Mann verkleidet und mit einer Puppe versucht habe, mich in die Psyche eines vergewaltigenden Mannes einzufühlen. Es wurde eher eine zärtliche Umarmung. Es war grotesk. Diese Aggression, diese Tötungs- und Erniedrigungsabsicht war mir nicht möglich.

STANDARD: Hat sich der Wunsch, das nachvollziehen zu können, dann anders niedergeschlagen, etwa in der Lektüre psychologischer Schriften?

Bertlmann: Ich habe mich immer sehr intensiv mit dem Thema Gewalt gegen Frauen beschäftigt. Es existieren etwa Statistiken, dass auf der ganzen Welt alle paar Minuten, ich glaube alle anderthalb Minuten, eine Frau vergewaltigt wird. Gewalt gegen Frauen ist in meiner Arbeit ein ewiges Thema. Gerade heute hörte ich im Radio, dass fast alle Flüchtlingsfrauen sexuell missbraucht wurden. (Anne Katrin Feßler, 25.2.2016)