Wien – Probleme und Verzweiflung sind der Boden für jedes anständige Blutbad. Vorausgesetzt man bringt die notwendige Gewaltbereitschaft mit. Wenn man allerdings ein Feigling ist, wird es komplizierter. Wobei: Man muss natürlich sagen, nicht jede Verzweiflung kommt gleich auf dem Friedhof zum Liegen. Es kann auch Kunst daraus entstehen. Die US-amerikanische Band Violent Femmes schreibt zeit ihres Bestehens Lieder über kleine und größere Alltagsdesaster. Und zwar von kultisch verehrter Güte rund um den Erdball.

Nach gut 15 Jahren Veröffentlichungspause haben die Violent Femmes nun wieder zehn neue Songs geschrieben. Daraus ist das Album "We Can Do Anything" entstanden. Es dauert gerade einmal 30 Minuten und erscheint diesen Freitag.

Brian Ritchie, Gordon Gano und Brian Viglione sind Violent Femmes. Viglione schon nicht mehr. Er wurde gefeuert. Nach dem Fototermin.
Foto: Herman Asph / Pias

Die von diesen gewalttätigen Weicheiern verhandelten Probleme entbehren selten einer gewissen Komik. Ihr 1983 erschienenes Debütalbum widmete sich vornehmlich sexuellen Begierden und den Niederlagen, die diese mit sich bringen. Mit der für ihn charakteristischen Quengelstimme formulierte Sänger Gordon Gano sich selbst nichts schenkende Texte zu den Themen Sex, Warum habe ich keinen Sex, Masturbation oder Sex im Auto. Treuherzige Bekenntnisse wie "Promise", weinerliche Klagelieder wie "Please Do Not Go" oder den Masturbationsklassiker "Blister In The Sun".

Diese scheiternden Begehrlichkeiten wurden im Trio vertont, von drei kläglich dürren Männchen mit großen Augen. Gano sang und spielte Gitarre, Brian Ritchie bearbeitete eine akustische Bassgitarre, Victor DeLorenzo sein Schlagzeug. Im Stehen. Das bestand aus wenig mehr als einer Snare-Drum. Schließlich trat die Band aus Milwaukee, Wisconsin, zu Beginn ihrer Karriere oft auf der Straße auf. Da musste es schnell gehen und leicht sein. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Es muss oft nicht einmal ein Schlagzeug sein. Bei einem Fernsehauftritt in der "Late Night Show" von Stephen Colbert bearbeitete John Sparrow, ein Neuer, einen Gartengriller mit seinen Beserln (siehe Video). Das ging sich aus.

The Late Show with Stephen Colbert

Horns of Dilemma

Stilistisch setzte sich die Band zwischen die Stühle von Country, Punk, Blues und Folk, dazu kam Ganos Vorliebe für Gospel. Aufgefettet wurde ihr sehr direkter Sound von den Horns of Dilemma, einem Bläsersatz, der immer wieder einmal kontrolliert ausrastete. Neben dem epochemachenden Debüt zählen die Folgealben "Hallowed Ground" (1984), "The Blind Leading The Naked" (1986) sowie 3 (1989) und "Why Do Birds Sing" (1991) zu den zentralen Werken der Femmes.

Danach war die Luft ein wenig raus, versuchte sich die Band in Stilen, die ihr nicht lagen. Es folgten Trennung, Reunion und ein Gerichtstermin.

Im Jahr 2007 verklagte der in Tasmanien lebende Brian Ritchie Gordon Gano, weil er der Fastfood-Kette Wendys erlaubte, mit dem Violent-Femmes-Song "Blister In The Sun" zu werben. Ritchie war davon angeekelt, die Wortwahl seinem Bandkollegen gegenüber von entsprechender Offenheit. Zudem klagte er ihn auf eine Neuaufteilung der Songrechte. Die Violent Femmes schienen Geschichte zu sein. Mit profanen Problemchen hatte es begonnen, mit solchen schien es zu enden. Aber nicht.

Bereits im Jahr darauf veröffentlichten die Femmes eine Coverversion des Welthits "Crazy" von Gnarls Barkley, die ihrerseits den Violent-Femmes-Titel "Gone Daddy Gone" gecovert hatten. Dann herrschte Stille. Ab 2013 trat die Band plötzlich wieder live auf, wobei Gano stets betonte, er habe keine Ambitionen, neue Songs zu schreiben. Da hat er sich in sich getäuscht. Und das ist schön. Denn "We Can Do Anything" zeigt die Violent Femmes in bestechender Form.

Natürlich (und hoffentlich) sind die Probleme von 50-Jährigen nicht mehr dieselben wie früher. Doch die Perspektive, aus der sie betrachtet werden, die hat sich nicht verändert. In Ganos Quengelei widerspiegeln sich Faszination und Ekel wie ehedem. Etwa wenn er in "Issues" singt, dass er nichts von den Problemen einer Freundin hören will. So angewidert, wie er "Issues" ausspricht, schreit das nach einer neuen Grammy-Kategorie. Philip Roths Roman "Sabbaths Theater" in drei Minuten.

In dieselbe Kerbe schlägt "Untrue Love", in dem Gano seiner Gattin offenbart, dass er ihre Stimme nicht mehr hören kann. Nicht am Telefon, nicht von Angesicht zu Angesicht. "My untrue love is true", singt er da – nicht ohne den eigenen Schmerz offenzulegen. Die Musik der Femmes, das zeigt sich, funktioniert heute noch wie vor 33 Jahren. Ritchie sieht das in dem Umstand begründet, dass die Band sich nie in Soundkostüme stecken ließ, die einer bestimmten Zeit zuzuordnen wären. Ihre Besetzung sei von Anbeginn zeitlos gewesen: Bass, Gitarre und ein halbes Schlagzeug, schon geht die Post ab.

Die geheime Stärke

Wobei sich Gano auf "We Can Do Anything" auch wieder eine Ballade gönnt. Das ist die geheime Stärke dieses beträchtlich in die Breite gegangenen Mannes. Auf fast allen Femmes-Alben gibt es so eine. Hier ist es "What You Really Mean", ein bittersüßes Gstanzl. Dafür instrumentiert die Band üppiger, fährt Klavier und Orgel auf und ergeht sich in Schönheit. Und auch das Ende des Albums ist groß. Ein Instant-Klassiker, der Hoffnung macht. Immerhin heißt das Lied "I'm Not Done". So sei es. (Karl Fluch, 1.3.2016)