Die Berater Wagner (links) und Kühbauer bieten unter anderem gewaltpräventive Workshops an.

STANDARD: Auf welchen Wegen kommen Männer und Burschen in Ihre Beratungsstelle?

Wagner: Es gibt Männer und Jugendliche, die aus eigener Motivation zu uns kommen. Und dann gibt es – vor allem unter Jugendlichen – auch jene, die über Institutionen wie Jugendämter, Schulen oder Wohngemeinschaften für junge unbegleitete Flüchtlinge oder andere Wohngemeinschaften zu uns kommen. Und in beiden Gruppen gibt es jene, die uns zugewiesen werden, zum Bespiel im Zuge einer Verurteilung wegen häuslicher oder jugendlicher Gewalt. Sie haben dann die Auflage, an einer Antigewalttherapie teilzunehmen.

Kühbauer: Und diese Jugendlichen, die Täter werden, waren und sind in vielen Fällen selbst von Gewalt betroffen. Das sind oft Leute, die viel aushalten und schlucken, und dann kommt es zur Rollenumkehr zum Thema. Wir versuchen, sehr früh anzusetzen, und arbeiten unter anderem mit Frauenhäusern zusammen und betreuen Kinder, die dort mit ihren Müttern leben, weil sie von häuslicher Gewalt betroffen sind.

STANDARD: Sie gehen auch in Schulen?

Wagner: Wir bieten unter anderem Workshops in Gewaltprävention an. Oft wenden sich auch Schulen an uns, wenn es bereits Anlassfälle gab. Das ist dann weniger Prävention, sondern Intervention. Ein weiteres Beispiel ist der "Boys' Day". Das ist ein vom Sozialministerium initiierter und finanzierter Aktionstag beziehungsweise eine gendersensible Berufsorientierungskampagne für Burschen, um ihnen Berufe aus dem Sozial- und Gesundheitsbereich vorzustellen.

Kühbauer: An diesem Aktionstag organisieren wir Schnuppertouren, an denen Burschen in einem Altenheim oder einem Kindergarten den Alltag erleben können, ähnlich wie es an einem "Töchtertag" oder "Girls' Day" möglich ist.

STANDARD: "Gewaltprävention" ist das Wort, das in der Selbstbeschreibung Ihrer Beratungsstelle am häufigsten vorkommt.

Kühbauer: Gewaltprävention ist eine große Überschrift, unter der ganz viele Themen Platz finden. Es geht immer wieder um Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit in den Köpfen der Burschen und Männer. Wir stellen uns nicht hin und fragen: "Na, wie ist euer Männerbild?", aber nach spätestens zehn Minuten in so einem Workshop hat man eine Meldung, in der es ums Thema Männerbild geht: seien es Autos oder was sonst ein Mann braucht; wer macht die Hausarbeit? und so weiter. Wir beschäftigen uns mit diesen oft vorgefertigten Bildern.

Wagner: Unter der Überschrift "Gewaltprävention" geht es vor allem um Sensibilisierungsarbeit, also um die Frage "Wie kenne ich das, und könnte es auch ein bisschen anders sein?". Darunter fallen Themen wie: Wo beginnt Gewalt eigentlich, Hausarbeit aber auch Karenz, es geht häufig um eine Übernahme der Verantwortung für das eigene Tun und Handeln.

STANDARD: Sie haben in Ihrer Beratungsstelle jahrzehntelange Erfahrung. Hat sich das Verständnis davon, wie ein Mann sein sollte, im Lauf der Zeit geändert?

Kühbauer: Das muss man die Forscherinnen und Forscher fragen. Wir beziehen unseren Eindruck aus der Arbeit mit Burschen, und da kommt es auf den Kontext und auf die Gruppe an, mit der wir arbeiten. In einem Workshop mit Schülern der Kindergartenpädagogik spielt sich die Genderdebatte auf einem anderen Niveau ab als beispielsweise in einer polytechnischen Schule.

STANDARD: Ist es also eher eine Frage der sozialen Schicht oder auch eine Altersfrage?

Wagner: Das würde ich so auch nicht sagen. Da muss man auch aufpassen, dass man nicht in Vorurteilen verhaftet bleibt. Die Themen sind eigentlich überall ähnlich. Nur weil wir zum Beispiel in einer polytechnischen Schule im zehnten Bezirk sind, heißt das nicht, dass nicht spannende Auseinandersetzungen entstehen. Und auch im bürgerlichen achten oder siebenten Bezirk ist man oft mit Aussagen konfrontiert, die man so nicht erwartet hat. Eine Veränderung, die ich im letzten Jahrzehnt schon deutlich sehe, ist die Bedeutung des Internets und der sozialen Medien. Die Zugänglichkeit von Pornografie zum Beispiel ist eine ganz andere als vor zehn Jahren. Die Jugendlichen haben durch die sozialen Medien aber auch einen unmittelbareren Zugang zu gesellschaftspolitischen Diskussionen wie jenen über die Wirtschaftskrise oder über die Flüchtlingsfrage, die sie sehr wohl beschäftigen.

STANDARD: Sind die jungen Leute politisch interessiert?

Wagner: Sie sind sehr politisch. Die derzeitige Flüchtlingskrise ist natürlich auch bei ihnen ein großes Thema. Sie werden auch mit Fanatismus oder mit dem IS konfrontiert, das sind alles Einflüsse von außen.

STANDARD: Ist Radikalisierung – in welcher Form auch immer – ein Thema Ihrer Arbeit?

Kühbauer: Es gab im Jahr 2015 eine vom Zentrum Polis (Serviceeinrichtung zur politischen Bildung in der Schule, Anm.) organisierte Workshopreihe zum Thema "Selbstbewusste Kinder und Jugendliche brauchen keine destruktiven Ideologien", und auch in diesem Jahr machen viele Institutionen, auch die Männerberatung Wien, Workshopangebote zum Thema Respekt, Zusammenleben und Gleichstellung von Frauen und Männern. Es ist aber so, dass bereits radikalisierte oder fanatisierte Jugendliche nicht bei uns landen, sie sind ja leider schon anderswo. Bei uns ist es kaum Thema. Ich würde aber sagen, dass wir mit unserem Ansatz der Sensibilisierung einen wichtigen Beitrag auch zu diesem Thema leisten, weil wir Fragen stellen und zeigen, es gibt zu jedem Thema unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Zugänge. Wir wollen das Über-den-Tellerrand-Schauen fördern.

STANDARD: Das ist ein Thema, das momentan auch in der politischen Debatte sehr aktuell ist. Dort läuft es eher unter dem Stichwort "Werteschulung für Flüchtlinge". Sie arbeiten auch mit jungen unbegleiteten Flüchtlingen in Wohngemeinschaften. Finden Sie, dass derartige Schulungen für die jungen Männer sinnvoll sind?

Wagner: Ich würde gerne eine Gegenfrage stellen: Wie lange würde es brauchen, um Werte, die Sie sich ein Leben lang angeeignet haben, wieder zu verwerfen, nur weil jemand kommt und sagt, vergessen Sie das jetzt alles?

Kühbauer: Oder auch die Frage: Von welchen Werten reden wir überhaupt? Es gibt gewisse Rahmenbedingungen, an die sich alle halten müssen. Das sind zum Beispiel rechtliche Rahmenbedingungen. Zu uns kommen alle, die uns vom Gericht zugewiesen werden, und das sind sowohl Jugendliche ohne als auch mit Migrationshintergrund.

Wagner: Wir wollen mit unserer Arbeit generell niemandem etwas aufs Auge drücken. Unterschiedliche Werte sind in Ordnung, solange nicht andere verletzt und unterdrückt werden. Egal um welches Thema es geht und in welchem Kontext sie arbeiten, wir versuchen nie, den Jugendlichen irgendetwas aufzuzwingen oder zu sagen, so hast du zu denken. Wenn sexistische oder gewalttätige Aussagen getätigt werden, bin ich zwar nicht froh, aber doch dankbar, dass sie geäußert werden, denn damit können wir dann arbeiten. (Olivera Stajić, 10.3.2016)