Ich berührte das salzige Wasser und hielt die Schale an mein Ohr. Plötzlich kam die Welle einer ozeanischen Feinheit." So lautet die Zeile eines von Dominique Crenns Gedichten. Die amerikanische Spitzenköchin mit französischen Wurzeln schenkt ihren Gerichten und Zutaten die nötige Aufmerksamkeit, um dann die Speisekarte in Form eines poetischen Textes niederzuschreiben. Inspirieren lasse sie sich dabei von der Natur, Menschen, Literatur und Kunst, wie sie selbst sagt.

In ihrem Restaurant Atelier Crenn, nahe dem Yachthafen von San Francisco, müssen Gäste vor allem eines mitbringen: viel Zeit. Und diese können sie sich, neben dem Essen, mit der Entschlüsselung von Crenns Gedichten vertreiben. Die tatsächliche Menüabfolge erhält man nämlich erst am Ende. Schlecht für Allergiker – gut für Abenteuerlustige.

Dominique Crenn
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

Die Köchin, die nie eine klassische Kochlehre absolvierte, hat ihre Liebe für die Kunst von ihrem Vater mitbekommen, der Maler war. Die Verbindung zwischen ihren Speisen und den Gedichten liegt für sie auf der Hand.

"Das Leben ist Poesie. Essen ist ein Dialog und schafft Verbindung. Es ist eine Art von Sprache. Es ist genauso gefühlvoll, wie ein Gedicht zu schreiben. Das ist meine Art, Verbindung zum Essen herzustellen und zu den Menschen, für die ich koche. Auf Französisch klingen die Gedichte natürlich viel schöner. Aber ich kann mittlerweile auch ganz gut auf Englisch schreiben", scherzt die weltweit gefragte Köchin und serviert den ersten Gang: Thunfisch auf hauchdünnem Buchweizen-Chip mit Paprika und Sesam.

Thunfisch auf Buchweizen-Chip mit Paprika und Sesam.
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

13 Gänge für das Restaurant Ikarus

Mit dem Küchenteam des Salzburger Restaurants Ikarus hat sie für März ein 13-gängiges Menü zusammengestellt, bei dem neben den besten Zutaten die Zubereitungsart eine wesentliche Rolle spielt.

Als Molekularköchin möchte Crenn aber nicht bezeichnet werden. "Der Begriff wird so inflationär verwendet. Eigentlich ist es ja schon Molekularküche, wenn man Wasser kocht. Ich denke, wir brauchen die unterschiedlichen Techniken, um das Essen weiter zu entwickeln. Meistens sind die Methoden gar nicht so neu. Sous- vide zum Beispiel ist im Moment sehr populär. Eigentlich ist es aber uralt. Wichtig ist, dass man offen ist für Vielfalt", sagt die Spitzenköchin, die als erste Frau in Amerika mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. Diese Vielfalt spiegelt sich auch in ihren Gerichten wider.

Crenn mit Ikarus-Küchenchef Martin Klein.
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

Alles außer gewöhnlich

Sie sucht nach dem Besonderen und serviert zum Beispiel Abalone (Seeohren) mit Alge und dünn geschnittenem Speck. Bei der Bearbeitung der Irismuschel, wie die Abalone auch genannt wird, braucht es viel Fingerspitzengefühl, muss sie doch mit Schwung und trotzdem ganz sanft, in einem Geschirrtuch eingewickelt, weichgeklopft werden. Die Belohnung für die schweißtreibende Arbeit folgt spätestens, wenn dieses verletzliche Ding schlussendlich sein ganzes Meeres-Aroma entfaltet und ganz sanft auf der Zunge zergeht.

"Du kannst der beste Koch der Welt sein. Wenn du keine guten Zutaten hast, wird es nichts", ist Crenn überzeugt und spricht dabei ihre Produzenten an. "Wir Köche bekommen das ganze Lob der Gäste. Doch dieses Lob gebührt den Produzenten und Bauern. Das sind die Leute, die uns helfen, uns zu entwickeln." Über die Auswahl der Produkte von Ikarus-Executive Chef Martin Klein ist die Köchin mehr als erfreut. Ihre Augen glänzen, als Klein das getrocknete und geräucherte Rehherz über die Entenleber auf roten Rüben hobelt.

Entenleber auf roten Rüben mit Rehherz
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

Die österreichische Küche sei für Crenn hingegen sehr ungewöhnlich. So habe sie noch nie zuvor ein Wiener Schnitzel gegessen. "Ein Test der anderen und wilden Seite" – das wäre der Titel des Gedichts, müsste sie eine Speisekarte mit österreichischem Essen schreiben. "Österreich ist sehr traditionell, und ich mag ja normalerweise eher Sachen, die unkonventionell sind. Aber diese Bodenständigkeit hat eine gewisse Stärke. Das mag ich."

Tauschen würde die Sterneköchin aber wohl nicht, wohnt sie doch in einer der spannendsten Städte der USA, was Essen betrifft. "Es ist diese Vielfalt, die mich so fasziniert an San Francisco. Wir haben tolles Gemüse und großartige Weine. Die Stadt liegt nah an Südamerika. Sehr viele Asiaten leben in San Francisco, die die Küche mit beeinflussen", sagt Crenn und kommt aus dem Schwärmen nicht mehr heraus.

Im Restaurant Ikarus dirigiert Dominique Crenn die Küchenmannschaft und wirkt dabei tiefenentspannt.
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7

Damit will sie wohl sagen, dass amerikanische Küche viel mehr ist, als das, was wir gemeinhin als US-Food bezeichnen. Das Essen in den USA werde immer besser, und amerikanische Köche werden in ein paar Jahren auf der ganzen Welt gefragt sein, ist Crenn überzeugt und serviert den letzten Gang. Brombeere auf Sauerampfermousse und Tannenpulver. (Alex Stranig, RONDO, 14.3.2016)

Brombeere auf Sauerampfer und Tannenpulver
Foto: Helge Kirchberger / Red Bull Hangar-7