Schätzungsweise acht Prozent des menschlichen Genoms stammen von Viren. Forscher vermuten, dass diese viralen Überreste maßgeblich an der Entwicklung unserer angeborenen Immunreaktion beteiligt sind.

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Salt Lake City – Viren haben einen schlechten Ruf: Sie sind der Auslöser von Krankheiten, Seuchen, Epidemien und Tod. Doch: "Ohne Viren gäbe es wohl keine Menschen", hat bereits der Doyen der heimischen Virologie, Franz X. Heinz, bei seiner Abschiedsvorlesung im November 2015 betont.

US-Forscher kommen nun in einem kürzlich veröffentlichten Artikel im Fachblatt "Science" zu einem ähnlichen Schluss. Will konkret heißen: Etwa acht Prozent der menschlichen DNA bestehen aus Überresten von Viren, die über eine Infektion ihr Erbgut in das Genom unserer Vorfahren einschleusten. Diese Retroviren können sich nur auf diese Weise vermehren: Infizieren sie Zellen der Keimbahn, werden sie zu endogenen Retroviren, die von Generation zu Generation weitervererbt und so Teil des Erbguts werden.

Die biologische Bedeutung dieser uralten "DNA-Schnipsel" für die Genregulation sei bislang nur unzureichend untersucht worden, schreiben die Wissenschafter um Edward Chunong von der School of Medicine der University of Utha in Salt Lake City.

Ohne Retroviren keine Immunantwort

Die Forscher konnten nun zeigen, dass die viralen Überreste bei der menschlichen Immunreaktion einen wesentliche Rolle spielen dürften. Dazu identifizierten die Wissenschafter in Gen-Datenbanken virale Überreste, die durch sogenannte Interferone aktiviert werden. Diese (Glyko-)Proteine entfalten eine immunstimulierende Wirkung, wenn Bakterien oder Viren in den Körper eindringen. Edward Chunong und sein Team fanden solche viralen Überreste vor allem in der Nähe von Genen, die an der Immunantwort beteiligt sind. "Das war ein Zeichen für uns, dass einige dieser Elemente an der Aktivierung der Immun-Gene beteiligt sind", sagt Co-Autor der Studie Cédric Feschotte.

Eines der endogenen Retroviren (MER41), das vermutlich vor Millionen Jahren einen Vorfahren des Menschen infizierte, nahmen die Wissenschafter nun genauer unter die Lupe. Entfernten sie verschiedene Varianten von MER41 aus menschlichen Zellen, fehlte die Aktivierung zahlreicher Immungene nach einer Interferon-Stimulation entweder gänzlich oder sie fiel zumindest deutlich schwächer aus.

Zudem konnten die Humangenetiker zeigen, dass die Immunantwort von Zellen auch nach einer viralen Infektion deutlich geringer war, wenn das endogene Retrovirus zuvor entfernt wurde. Das Fazit der Forscher: "Die Interferon-Antwort ist wie ein Alarmsystem der Zelle. Wir haben herausgefunden, dass einige der wichtigsten Schalter in diesem System von alten Viren abstammen."

Ohne Retroviren keine Plazenta

Franz X. Heinz zufolge leisteten Retroviren auch bei der Entstehung der Planzenta einen entscheidenden Beitrag. "Der Trophoblast der Plazenta – ein vielzelliges Gebilde – bildet die Barriere zwischen der Mutter und dem Fötus." Die Ausbildung dieser Trennschicht, die gleichzeitig auch durchlässig sein muss, wird durch sogenannte Syncytine-Proteine gesteuert. "Die Syncytine sind nichts anderes als Abkömmlinge von endogenen – also im Erbgut eingebauten – Retroviren." Der logische Schluss daraus: Ohne sie gäbe es tatsächlich keine Menschen. (red, 14.3.2106)