Die DVD "Ronni Rocket – Wie das ADHS siegt und wie es scheitert" ist im Carl-Auer-Verlag erschienen und kann am Institut für Systemische Therapie (www.ist.or.at) bestellt werden. Kostet € 24,95.

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Kinder im 21. Jahrhundert haben es nicht leicht: Sie sind vielen unterschiedlichen Reizen ausgesetzt, sollten sie aber in Ruhe verarbeiten und ihren Eltern keine Probleme machen. Die sind meist ohnehin durch die Anforderungen der modernen Leistungsgesellschaft überfordert und haben am Ende des Tages wenig Nerven für die Kindererziehung: fürs Grenzensetzen und -einhalten, fürs Toben im Freien oder fürs Ertragen schwieriger Phasen. "Wir erleben sehr oft, dass Eltern erleichtert sind, wenn ADHS endlich eine Erklärung für das Verhalten ihrer Kinder ist", sagt Sabine Völkl-Kernstock, klinische Psychologin an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Med-Uni Wien, wo viele ADHS-Kinder behandelt werden, und warnt gerade deshalb vor einer voreiligen Pathologisierung. Die neue DVD Ronni Rocket soll ein Hilfsmittel gegen Überforderung sein.

"Eine Puppe personifiziert im Video ADHS", erklären die Psychotherapeutinnen Astrid Just und Leonore Petrowitsch, die am Institut für Systemische Therapie (IST) in Wien arbeiten. Für sie ist es das vierte Projekt dieser Art. Nach Magersucht, Depression und Schizophrenie hat das IST für dieses Projekt erstmals mit der Med-Uni Wien kooperiert. Zusammen mit Sabine Völkl-Kernstock und ihrer Kollegin Doris Koubek wurden Fallbeispiele gesammelt und daraus das Drehbuch entwickelt.

Ins Chaos steuern

Ronni Rocket stellt die Symptome von ADHS dar, erklärt, was es mit Kindern macht und wie sich Unruhe und Grenzgänge auf Eltern und Lehrer auswirken. "ADHS macht Kinder zu etwas Besonderem", hört man Ronni im einstündigen Video zum inter- viewenden Psychotherapeuten sagen. Zuseher erleben, wie Ronni alles gleichzeitig spürt, wie er durch seine Originalität die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und wie er im Sinne des Spaßhabens sein Umfeld ziemlich schnell aus der Balance bringen kann. "Am Ende streiten Lehrer und Eltern, und wenn die Großeltern dann auch noch dazukommen, habe ich mein Ziel erreicht", hört man Ronni als Verkörperung von ADHS sagen.

Dieses unkonventionelle Konzept der psychiatrischen Wissensvermittlung funktioniert tatsächlich hervorragend. Als Zuseher entwickelt man zeitweise wirkliche Aggressionen gegen die von Stefan Gaugusch gestaltete Puppe. Ganz unumstritten ist die Darstellungsform nicht. "Wir wurden manchmal dafür kritisiert, Störungsbilder als feindlich darzustellen, natürlich hat ADHS auch positive Seiten, weil Kinder dadurch sehr kreativ und begeisterungsfähig sind", sagt Astrid Just. Die Darstellungsform sei aber der Methode der Externalisierung verpflichtet, einer Technik, die Betroffene vom Störungsbild trennt und sich in der systemischen Psychotherapie als guter Weg bei der Problemlösung bewährt hat. "Wir behandeln wenn möglich immer die gesamte Familie", sagt Just und betont, dass Kinder Ronni Rocket ab dem zehnten Lebensjahr anschauen können. Betroffene Kinder, Eltern, Lehrer, Kindergartenpädagogen und interessierte psychiatrische Laien sollen damit neue Einblicke im Umgang mit ADHS bekommen. "Geduld mag ich nicht, und mit Eltern, die ihre Gefühle benennen und darüber sprechen können, komme ich nicht gut zurecht", jammert Ronni im Film.

Gegenimpulse setzen

"Die Verhaltensänderung in familiären Strukturen ist in den meisten Fällen die größte Herausforderung", kann Psychologin Sabine Völkl-Kernstock aus ihrer täglichen Erfahrung mit Familien berichten. "Eher loben als keppeln, Grenzen setzen und Protest aushalten, keine gegenseitigen Schuldzuweisungen", nennt Völkl-Kernstock ein paar wichtige Leitsätze. ADHS-Kinder bringen nämlich nicht selten Eltern gegeneinander auf ("Von mir hat er diese Art nicht") beziehungsweise auch Eltern gegen Lehrer ("Kein Wunder, bei diesem Elternhaus").

An der Klinik betrachte man, so die Psychologin, das Phänomen aus Sicht des biopsychosozialen Modells. Gene, Lebenssituation und Gesellschaft spielen stets zusammen. "Das ist auch der Grund dafür, dass ein Krankheitsbild so präsent werden kann", sagt Völkl-Kernstock. Aus der Praxis weiß Astrid Just: Nicht alles, was vermeintlich als ADHS bezeichnet wird, entspricht den definierten Kriterien der Erkrankung. ADHS hat viele Facetten, Ronni Rocket ist der gelungene Versuch, Familien in der Deeskalation mit ihren überfordernden Kindern zu unterstützen. (Karin Pollack, 19.3.2016)