Eine Gedenkbotschaft nach den Anschlägen von Brüssel: "Angst darf nicht siegen."

Foto: afp/EMMANUEL DUNAND

Ich kann die Aussagen der EU-Politiker, Staats- und Regierungschefs nicht mehr hören. Nach jedem Anschlag hören wir: "Schwere Stunde ... Angriff auf unsere Freiheit ... Werden den Terror bekämpfen ... Lassen uns nicht einschüchtern ... Werden entschlossen handeln ... Sind mit unseren Gefühlen bei den Angehörigen".

Keine Kooperation, keine gemeinsame Politik

Fünf von 28 EU-Staaten melden ihre "Terror-Datei" zentral ein, 23 verweigern das bis heute. Nachrichtendienste und Polizei verweigern unter sich den Austausch von Daten und meist auch die Kooperation, sogar auf nationaler Ebene. Die EU verfügt über keine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, nicht einmal eine gemeinsame Außenpolitik bekommt man hin.

Rückkehrer aus dem Jihad können aus Kapazitätsgründen nicht überwacht werden. Es gibt keine gesetzliche Möglichkeit, sie aus dem Land zu werfen, ihnen die Staatsbürgerschaft abzuerkennen; noch besser: Die leben sogar auf unsere Kosten hier. So gut wie alle EU-Staaten versagen in der Integrationspolitik, die Entstehung von Parallelgesellschaften wurde jahrelang negiert.

Immer mehr Unfreiheit

In manchen Regionen Europas entstehen de facto rechtsfreie Räume, die Polizei traut sich in manche Grätz'ln nicht einmal mehr hinein.

Unsere Freiheit wird schrittweise immer weiter eingeschränkt, mehr Überwachung führt zu mehr Unfreiheit, aber nicht zwingend zu mehr Sicherheit. Man kann Freiheit nicht mit Unfreiheit verteidigen.

Kampf gegen Flüchtlinge

Wir stecken Menschen, die vor denselben Terroristen fliehen, die in Brüssel, London, Paris und sonstwo ihre Taten verüben, in Lager und verweigern ihnen die Aufnahme. Flüchtlinge werden offensichtlich konzertierter bekämpft als Terroristen.

Salafisten werben auf offener Straße Kämpfer für den Jihad an, in Kindergärten wird IS-Ideologie gelehrt (staatlich finanziert), die Staaten tun: nichts. Man kann einzelne Irre nicht aufhalten. Man kann den Zulauf stoppen. Europas Politik produziert den Zulauf geradezu.

Gesellschaft einen – tun wir nicht

Wer die Spaltung der Gesellschaft aufhalten und so den Plan der Terroristen durchkreuzen will, muss die Gesellschaft einen. Das ist Arbeit, kostet Zeit und Geld. Tun wir nicht. Bildung, Integration, ein Komplettversagen. Wir reden von Hilfe vor Ort – und leisten sie nicht.

Wir kooperieren mit Staaten wie Saudi-Arabien, dessen wahhabitische Religion identisch mit der IS-Ideologie ist. Wir haben ein Saudi-Zentrum in Wien. Wir haben zugesehen, wie Saudi-Arabien in ganz Europa Salafisten finanziert. Wie deppert kann man sein?

Keine Zukunftsperspektive

Wir reden von den katastrophalen Lebensumständen in betroffenen Regionen, haben diese mitverursacht und tun dies heute noch. Wir entziehen durch unsere Politik – man denke nur an die Agrarexporte, die dazu führen, dass europäische Lebensmittel billiger verkauft werden als vor Ort produzierte! – ganzen Ländern eine Zukunftsperspektive.

Wir regeln das Aussehen von Gurken, die Beschaffenheit von Glühbirnen, erlassen Allergenverordnungen und sehen in einer offenen Olivenölkanne ein Problem für unsere Welt. Das kann Europa. Nein, falsch. Das können unsere politischen Eliten.

Entschlossenes Handeln – bei der Bankenrettung

Würden wir bei Flüchtlingskrisen, sozialen Unruhen, Bürgerkriegen so entschlossen handeln wie bei der Rettung von Banken, ach, Europa, was wären wir glücklich.

Wir reden von Europa und agieren nationalistisch, bei der Flüchtlingskrise, bei Sonderregelungen für die Briten, bei der Aufteilung von Flüchtlingen, beim verweigerten Austausch der oben beschriebenen Terror-Datei. Wir sind Maulhelden geworden. Unsere Taten stehen mit dem, was wir sagen, nicht mehr in Einklang. Es sind ganze Welten dazwischen.

Schluss mit Sonntagsreden

Es gibt keine einfache Lösung. Es gibt keine Strategie, die man mal schnell so zu Papier bringt. Die Probleme sind komplex, einzelne Maßnahmen werden nicht greifen. Egal, ob Grenzen dicht oder mehr Überwachung, das löst gar nichts.

Reden wir über unser Versagen. Reden wir über das Warum. Reden wir über mögliche Strategien im Kampf gegen diese furchtbare Entwicklung. Aber bitte: Schluss mit den Sonntagsreden. Sonst werden noch viele dieser "Freiheit verteidigen ... Anschlag auf uns alle ... Müssen was tun ... Beileid den Opferfamilien"-Reden gehalten werden, ohne dass diese etwas ändern würden. Verdammt noch einmal. Europa, erwache! Sonst gehst du unter. (Rudolf Fußi, 23.3.2016)