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Rachel Cusk schreibt Romane und Sachbücher, die aufregen.

Foto: Reuters

Wien – Dreimal ist Rachel Cusk am deutschsprachigen Markt schon gefloppt. Erst mit Aufs Land (1997), zuletzt mit Arlington Park (2007) und Die Bradshaw Variationen (2011). Während sie das hiesige Publikum scheinbar kaltlässt, erhitzt sie anderswo aber die Gemüter. Im englischsprachigen Raum wird Cusk für ihren experimentellen Stil und ihre unbequeme Herangehensweise an eingerichtete Leben ebenso gefeiert ("knallhart", "brutal ehrlich", "beißend intelligent") wie auch schon mal zur "meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens" erklärt. Jetzt hat Suhrkamp beschlossen, es mit ihr zu versuchen, und Outline herausgebracht.

Es ist der achte Roman der 49-jährigen Kanadierin, die seit ihrer Kindheit in England lebt. Man könnte ihn als Fortsetzung ihres 2012 veröffentlichten, autobiografischen Bandes Aftermath: On Marriage and Separation lesen, in dem sie auf ihr Hausfrau-und-Mutter-Leben in finanzieller Sicherheit, aber ohne Freiheit blickt, das im Scheitern ihrer Ehe mündete.

Im Zentrum von Outline (im Original 2014 erschienen) steht nun eine Frau, die Ehe und Familie hinter sich gelassen hat: keine Sicherheit mehr, dafür so etwas wie Freiheit. Die führt sie von London nach Athen, wo die Autorin ein Schreibseminar geben soll. Die Begegnungen dieser Reise – laut Klappentext der "Auftakt zu einer Trilogie, einer weiblichen Odyssee im 21. Jahrhundert" – sind Stoff des Buches. Seine Themen: Last und Gnade von Familie, Liebe, Herkunft sowie die (Un-)Möglichkeiten der Repräsentation von Wirklichkeit in der Literatur. Outline ist auch ein Künstlerroman.

Wozu die Mühe?

Von all dem erzählt Cusk ohne Umschweife. Schlank sind ihre Sätze – geradezu unglaubwürdig klar und distanziert für Figuren aus Fleisch und Blut. Doch das ist Absicht. Gemeinhin bezeichnet der Begriff Outline nämlich einen Entwurf, eine Skizze. "Wozu sich die Mühe machen und ein umfangreiches, komplexes Theaterstück über Eifersucht schreiben, wenn Eifersucht es mehr oder weniger zusammenfasste?", heißt es an einer Stelle über die Kraft der einfachen Benennung. Dieser vertraut Cusk.

Zum anderen spricht der Titel die Notwendigkeit an, die Erzählung des eigenen Lebens irgendwie zu organisieren. Von sich selbst gibt Faye als Ich-Erzählerin dabei aber wenig preis. Auch mangelt ihr an Plänen, sie wird zu einer Art Negativform ihrer Umgebung. Über weite Strecken baut sich Outline aus (in-)direkten Reden auf. Lose verbunden wechseln einander die auskunftsfreudigeren Gegenüber kapitelweise ab, festgepinnt wie Insekten, um seziert zu werden.

Mitdenken statt mitfühlen

Von Konkretem kommt die Autorin dabei spielend leicht zu Grundlegendem, reißt mit wenigen Worten ganze menschliche und soziale Panoramen auf. Es sei "absolut tödlich, wenn jemand etwas mit Intelligenz beobachtet und diese Beobachtung zugleich aber durch Humor neutralisiert", meinte Cusk jüngst in einem Interview mit der Welt. Beiläufig beweist sie jenen aber doch. Etwa in der Beschreibung eines Mannes, dessen Frau mit dem Stuhl umkippt, woraufhin er "offensichtlich eher beschämt als besorgt war". Bravo!

Es ist eine Freude, einer so klugen Erzählerin zu folgen. In die Schreibklasse, zum Dinner, auf das Boot des buhlenden Sitznachbarn aus dem Flugzeug. Zugleich reflektiert zu sein und im gehobenen Plauderton daher zu kommen – darin besteht die Kunst von Cusks Zeilen und Gedanken. Zwar mitunter konstruiert und etwas upperclass, sagen sie aber viel. (Michael Wurmitzer, 6.4.2016)