Diskussion zu Prävention. Über Chance und Dilemma diskutieren (v.re.) Soziologe Franz Kolland Hauptverbandsvorsitzende Ulrike Rabmer-Koller, Sektion Public Health im Gesundheitsministerium Pamela Rendi-Wagner, Vizepräsident der österreichischen Ärztekammer Karl Forstner und Vizepräsident der Apotheker Christian Müller-Uri. Moderation: Karin Pollack

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Lebensstil kann krankmachen. Die steigenden Zahlen von Patienten mit Diabetes, Bluthochdruck und Kreuzweh sind der Beweis dafür. Österreichs Gesundheitsexperten sind besorgt und diskutieren über Potenzial und Schwierigkeit von Krankheitsprävention.

Wien – Die Lebenserwartung der Österreicher steigt. Doch während die Menschen immer länger leben, erhöht sich die Zahl der Jahre, in denen sie in Gesundheit leben, nicht. Es gibt 600.000 Diabetiker, 1,5 Millionen Bluthochdruckpatienten, 1,75 Millionen haben Rückenbeschwerden. Rechtzeitig handeln, Gesundheit fördern, Krankheiten vermeiden: Das ist die Formel für Gesundheitsförderung. Prävention stand im Mittelpunkt der von STANDARD und dem Hauptverband der Sozialversicherungsträger organisierten Diskussionrunde im Vorfeld des Weltgesundheitstages am 7. April.

Ungesunde Sozialisierung

Soziologe Franz Kolland von der Universität Wien sagt, dass viele Österreicher nach dem Motto "Wer weiß, ob ich das noch erlebe" handeln. Kolland verortet dieses Verhalten in der katholisch geprägten Kultur unseres Landes, das immer noch vom Glauben an ein Leben nach dem Tod geprägt ist. "Die Menschen denken nicht gerne an das, was morgen ist", so Kolland.

Ein Phänomen, das sich auch auf die Politik umlegen lässt. Nur zwei Prozent der Gesundheitsausgaben werden aktuell für Prävention verwendet. "Das ist der Haken an der Gesundheitsförderung", sagt Pamela Rendi-Wagner, Sektionsleiterin im Gesundheitsministerium, "den Benefit von Prävention sieht man erst nach 15 bis 20 Jahren, das ist für die Politik nicht reizvoll. Investiere ich in ein neues MRT-Gerät, sehe ich das Ergebnis sofort."

Hauptverbandsvorsitzende Ulrike Rabmer-Koller sieht neben dem Staat vor allem die Bürger und Bürgerinnen in der Verantwortung. Sie will die Gesundheitskompetenz und das Bewusstsein in der Bevölkerung erhöhen, das soll schon bei Kindern und Jugendlichen beginnen, denn dort würden die Grundsteine gelegt. "Mit Prävention soll es so funktionieren wie mit der Mülltrennung damals", erklärt sie, "die haben wir als Kinder in der Schule gelernt und dann an unsere Eltern zu Hause weitergegeben."

Irrationale Patienten

Das Problem, glaubt der Vizepräsident der österreichischen Ärztekammer Karl Forstner, sei nicht das Fehlen von Information, sondern die schwierige Aufgabe, Wissen so zu vermitteln, dass sie zu einer Verhaltensänderung beim Patienten führt. "Hier im Publikum sitzen bestimmt einige Raucher", sagt er in Richtung der 130 Gäste, "ich bin sicher, dass es niemandem hier an Informationen fehlt, was die Gefahren des Rauchens betrifft."

Ähnliches berichtet auch Rendi-Wagner: "Nachhaltige Verhaltensänderungen sind ab einem bestimmten Alter fast unmöglich. Auch ich habe Patienten gesehen, die nach einer Kehlkopfkarzinom-OP noch im Spital sofort wieder eine Zigarette geraucht haben."

Dass Bewusstsein für Prävention bei vielen Menschen fehlt, weiß auch der Vizepräsident der Apothekerkammer Christian Müller-Uri: "Eine Impfung ist die wohl beste Prävention überhaupt, weil sie Krankheiten verhindert. Trotzdem werden viele Infektionskrankheiten in der Bevölkerung nicht ernst genommen."

Fatale Werbewirkung

Soziologe Kolland befürchtet, Prävention könnte "in der Mittelschicht hängen bleiben". Rabmer-Koller hält entgegen, dass sich alle sozialen Schichten gesund ernähren könnten, und nennt zwei Beispiele: "Wasser ist gratis und gesund, Cola kostet etwas und ist ungesund. Die Basis einer gesunden Ernährung kann sich jeder leisten. Auch für Bewegung braucht es nicht unbedingt ein teures Fitnessstudio", sagt sie. Für ein gesundes Leben müssten positive Anreize gesetzt werden.

Und zwar in vielen Bereichen der Gesellschaft. "Jeder Minister ist ein Gesundheitsminister", zitiert Moderatorin Karin Pollack vom STANDARD die Generaldirektorin der WHO Margaret Chan und gibt ein wichtiges Stichwort. "Unsere Umgebung hat wesentliche Auswirkungen auf unser Leben, der Gesundheitsbereich hat nur zehn bis 20 Prozent Einfluss", sagt Rendi-Wagner. Und auch Kolland glaubt, dass es viele Hebel gibt, etwa bei Werbebestimmungen für ungesunde Lebensmittel oder aber auch in der öffentlichen Infrastruktur: "Aufzüge und Rolltreppen sieht man überall zuerst, Treppen sind hingegen gut versteckt." Es müsse gelingen, auch in anderen Ressorts Betroffenheit für gesundheitliche Anliegen zu schaffen, sagt Rendi-Wagner, "alle Bereiche müssen sich verantwortlich fühlen". (Bernadette Redl, 9.4.2016)